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Feindbild Islam

6. Mai 2008

Ursachen und Funktion der Islamophobie, aus Intifada Nr. 25

Die Feindschaft gegenüber dem Islam sitzt heute extrem tief im Westen. In seinem „Kampf der Kulturen“ stellte Huntington bereits in den Neunziger Jahren besorgt fest, dass jedes zweite in Brüssel geborene Kind ein
Moslem sei. Und an der Basis des amerikanischen Konservativismus ist es de facto allgemein bekannt, dass die Moslems sich anschicken Europa zu überrennen – nur wären die Europäer zu dekadent (oder zu schwul), um der Gefahr ernsthaft entgegenzutreten.

Es ist nicht notwendig sich in die geistigen Abgründe der amerikanischen Rechten vorzuwagen, um das Feindbild Islam zu finden: auch in Europa ist es überall präsent. Der Papst beruft sich gegen den Islam auf die Aufklärung. Deutschnationale wie die FPÖ haben „daham statt Islam“ und „freie Frauen statt Kopftuchzwang“ plakatiert. Alice Schwarzer warnt, neokonservative Ex-Linke schreiben vom Islamofaschismus. Vom rassistischen Rechtspopulismus, zu Teilen der Kirche, der alten Linken und dem liberalkonservativen Mainstream: man fühlt sich bedroht.

Huntington und der Papst
Das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Ratzinger, hat in seiner „Regensburger Rede“ am 12. September 2006 den Islam massiv als nicht mit der Aufklärung in Einklang zu bringen angegriffen, während das Christentum durch seine Formung durch die griechisch-hellenistische Philosophie in Einklang mit Vernunft und Moderne stehe. Das ganze eingeleitet von dem Zitat eines byzantinischen Kaiser „zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat und Du wirst nur Schlechtes und Inhumanes finden“: Zumindest atmosphärisch ein weiter Rückschritt vom zweiten Vatikanischen Konzil, das 1964 den Islam als einen möglichen Weg zum (Seelen)Heil bezeichnete und damit die Tür zum religiösen Dialog geöffnet hat. (Dialog ist nämlich schwierig, wenn man eigentlich der Überzeugung ist, dass die Gesprächspartner auf ewig der Hölle verfallen sind.) Regensburg ist interessant. Im Angriff gegen den Islam vereint Ratzinger zwei eigentlich völlig gegensätzliche Strömungen – und kann gerade deswegen zunächst in das Zentrum der Analyse gestellt werden: Die spezifische Verwendung der Vernunft im Rückgriff auf die griechische Philosophie ist tatsächlich ein Doppelspiel: einerseits schwingt der rationale Gottesbeweis mit, der dabei völlig in mittelalterlicher Tradition steht. Dieser ist philosophisch seit Kant in argen Schwierigkeiten und führt obendrein ein Rückzugsgefecht gegen die moderne Wissenschaft, das kaum zu gewinnen ist. Nichts desto weniger gibt es zahlreiche Strömungen der Kirche, die diesem immer noch anhängen – siehe etwa das Eingreifen des Wiener Kardinals Schönborn in die amerikanische „Intelligent design“-Debatte, wo der schwierige Versuch unternommen wird, einen externen Schöpfer des Lebens (entweder Gott oder – wir
sind in den USA – Außerirdische) durch naturwissenschaftliche Argumente zu beweisen. Auf der anderen
Seite positioniert der Papst das Christentum als Teil (oder sogar Zentrum und Ursprung) des „vernünftigen“
und „aufgeklärten“ Westen. Aufklärung und Mittelalter, Christentum und Vernunft: das sind die Linien an
denen an einer antiislamischen Einheit gebastelt wird.
Die Feindschaft gegen den Islam wird dabei instrumentalisiert und verstärkt: von den USA und ihren Verbündeten im permanenten Krieg gegen den Terror. Huntington geht dabei so weit ganz offen zu behaupten, der Islam sei ein idealer Feind, gegen den Amerika zu sich selbst finden, die nationale Einheit herstellen und die Herausforderung der Einwanderung meistern könne. (siehe: „Who we are“. Im Wesentlichen anschaulicher, offener und brutaler noch, als der „Kampf der Kulturen“) Der Papst sucht nach einer neuen gesellschaftlichen Rolle für die Kirche. Aber solche Instrumentalisierung ist nur möglich, wenn schon zuvor tiefe gesellschaftliche Strömungen vorhanden sind, die sich instrumentalisieren lassen.

Der Kreuzzug, die Einheit Europas, Islamophobie und Antisemitismus
Tatsächlich finden wir das Motiv der „Einheit Europas“ gegen den „islamischen Feind“ in der Geschichte
immer wieder. So entsteht der Kreuzzugsgedanke im ausgehenden 11. Jahrhundert gemeinsam mit der „Gottesfriedensbewegung“. Die bewaffnete Pilgerfahrt nach Spanien (gegen die Mauren), oder in das heilige Land wird als Alternative zu den endlosen feudalen Fehden propagiert. Auch während des 100-jährigen Krieges zwischen Frankreich und England wird das Kreuzzugsmotiv als möglicher Friedensbringer bemüht (freilich wenig erfolgreich). Die ganze Idee von „Europa“ im Mittelalter steht im engen Verbund mit dem Christentum und funktioniert in Abgrenzung gegenüber den „Anderen“. Die Anderen: Seit dem Hochmittelalter ist das der Islam. (Erst seit dem Hochmittelalter, davor hat man keinen besonderen Unterschied zwischen verschiedenen unbequemen Nachbarn gemacht.) Konflikte werden dabei religiös-ideologisch aufgeladen. Das osmanische Reich ist keine Bedrohung wie andere auch, in Spätmittelalter und früher Neuzeit kündet der „Türkensturm“ die nahe Apokalypse an. Und sollte man sich tatsächlich einmal gegen die Türken zusammenschließen, benötigte man dafür Namen wie „Heilige Allianz“ – das spanisch/venezianisch/ päpstliche Bündnis, das die Flotte des Sultans bei Lepanto besiegte. Freilich: Gerade für die frühe Neuzeit muss man feststellen, dass die Kreuzzugsrhetorik von einer abweichenden Realpolitik begleitet war,
die eher dem Prinzips eines Gleichgewichts der Mächte gefolgt ist: der französische König war gegen die Habs-burger immer wieder de facto mit dem Sultan verbündet, aber allzu offen wurde das nicht gesagt.
In der europäischen Geschichte gibt es also ein altes Motiv vom „Feind Islam“. Der Kampf gegen die
Moslems erzeugt Europa als Einheit, die Muslime selbst sind dabei zu oft nicht nur „Feind“, sondern auch Gegenstand mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Apokalyptik, einer Naherwartung des Endes der Welt. Erst
die kolonialen Eroberungen des 19. Jahrhunderts schwächen diese Strömung ab. Interessant ist, welche Strömungen hier zusammenfallen: Dominanz des Papstes, Einheit Europas, Kampf gegen den Islam, Judenverfolgung: das sind die Eckpunkte der Kreuzzugsbewegung. Der später so bezeichnete „Erste Kreuzzug“ sieht Massaker an Juden vor allem in Frankreich und dem Rheinischen Gebiet, den Abschluss
der „Reconquista“ Spaniens bildet die weitgehende Vertreibung der Juden und Muslime, welche im osmanischen Reich Schutz suchen und bekommen. Am Ende der Reconquista finden wir möglicherweise auch den Anfangspunkt des modernen europäischen Rassismus. Die spanische Inquisition entsteht, um die Ränke eigentlich bereits getaufter Muslime und Juden aufzudecken (es gab viele, die dem Bekehrungsdruck nicht widerstanden), denen nicht getraut wurde. Dabei entwickelt sich das Konzept
der „limpieza de sangre“, der Reinheit des Blutes: Christlich-europäisch war man fortan nicht mehr nur durch die Taufe, sondern auch durch die Abstammung durch das „Blut“. Islamophobie und Antisemitismus
weisen dabei zahlreiche strukturelle Ähnlichkeiten auf, gerade in der heutigen Islamophobie findet sich so
manches, das den europäischen Antisemitismus des 20. Jahrhunderts ausmachte: die grundlegende Andersartigkeit der Auszugrenzenden. Deren große Macht und die diffuse Bedrohung, die von ihnen ausgeht. Das Motiv der Verschwörung: Wie früher die Juden sind heute die Moslems untereinander
verschworen, durch enge Bande zusammengehalten, Bande die angeblich viel enger sind, als die des
„zerstrittenen“ Westens. Und die Muslime würden einen Plan der Weltherrschaft verfolgen. Freilich nicht
alle von ihnen, aber doch einige und der Rest gibt diesen Deckung. Das ist nicht ganz so absurd wie die jüdische Weltverschwörung, denn es gibt tatsächlich Gruppen, die ein weltweites Kalifat wollen. Der Punkt ist allerdings, dass die Muslime grundsätzlich als Kollektiv betrachtet werden, in dem der terroristische „Schläfer“ eben einen Teil darstellt. Der Punkt ist auch, dass das Feindbild Islam den Blick auf tatsächliche Kräfteverhältnisse verdeckt und Ursache-Wirkungs- Ketten verdreht: Tatsächlich sind Palästina, der Irak und Afghanistan besetzt (nicht Rom, Großbritannien und Portugal), tatsächlich wird der Iran massiv bedroht, tatsächlich ist der politische Islam wohl eher eine Reaktion auf imperiale Großmachtspolitik und hat in der Regel mehr defensiven Charakter.

Islamophobie als Legitimationsideologie
Die Islamophobie ermöglicht es heute wieder – wie schon zur Zeit der Kreuzzüge – ein westliches Kollektiv zu schaffen. In Abgrenzung von den Anderen findet der Westen zu sich selbst und legt die Selbstzweifel ab, die ihn im 20. Jahrhundert befallen haben: angesichts der Irrationalität und Gewaltbereitschaft, die vom
Islam ausgehe, wird der Westen zum Hort des Friedens und der Aufklärung: die Freiheit des Individuums,
die Demokratie, die Emanzipation der Frau, wirtschaftlicher Wohlstand, Frieden zwischen den Nationen. Ein
solches Selbstbild ist in den heutigen westlichen Gesellschaften zum Allgemeingut geworden. Eine extrem
einseitige Wahrnehmung der westlichen Zivilisation: Jahrhunderte religiöser Intoleranz, zwei Weltkriege,
Jahrhunderte von Kolonialismus und Sklaverei – das wird weggewischt. Für bestehende Probleme möchte man keine Verantwortung übernehmen. In der Entwicklungsdebatte dominieren heute wieder Modelle, die der Ausbeutung durch die Industriestaaten und einer ungerechten internationalen Arbeitsteilung keine Verantwortung für das Elend der 3. Welt geben. Die Verantwortung für das Morden am Balkan bekommt eine allgemein mangelnde Zivilisiertheit und einzelne „unbelehrbare Nationalisten“. Wo der Westen so gar nicht friedensliebend auftritt, etwa im Irak, da geht es den Apologeten dieser Politik um die Verbreitung „allgemeiner Werte“, von „Menschenrechten“ und „Demokratie“ (das ist freilich nichts Neues: das faschistische Italien hat Abessinien überfallen, um dort die Sklaverei zu beenden). Aber auch die Gegner
des Irakkrieges werden in der Regel nicht von tieferen Zweifeln befallen: Der Westen bleibt gut, aufgeklärt und demokratisch – nur George Bush ist unzurechnungsfähig. Interessant: Eines der schlimmsten
imperialistischen Verbrechen, der Völkermord an den Juden während des 2. Weltkriegs, wird heute zum Kronzeugen eigener Überlegenheit umgedeutet. In einer doppelten Operation: Schritt eins: erst wird Auschwitz aus der Geschichte herausgetrennt: Der Antisemitismus hat nichts mehr zu tun mit den Mythen europäischer Überlegenheit, die den Kolonialismus gerechtfertigt haben, hat nichts mehr zu tun mit der „zivilisatorischen Mission der Weißen Rasse“, ob derer man alle anderen unterwerfen darf. Und der Faschismus, der die Konzentrationslager betrieben hat, hat nichts mehr zu tun mit dem europäischen
und deutschen Bürgertum, das nach Möglichkeiten gesucht hat, die Arbeiterbewegung auszuschalten. Faschismus und Antisemitismus sind heute aus einem Anfall kollektiven Wahns entstanden, „singulär“ also nicht vergleichbar und nicht einzuordnen.Schritt eins ist wichtig, sonst könnte man auf die Idee kommen Parallelen zu ziehen, zwischen den alten und den neuen Überlegenheitsmythen. Schritt zwei: Eine aufgeblasene Gedenkkultur Wir erinnern uns ununterbrochen des Holocaust (nachdem wir bis
in die 80er Jahre versucht haben ihn zu vergessen), dadurch sind wir vor Wiederholung gefeit. Mehr noch: das Holocaustgedenken offenbart ja unsere Läuterung. Jetzt kann der Hinweis auf Auschwitz verwendet werden um Serbien zu bombardieren, den Irak mit Munition aus Uran zu verseuchen und die „besondere Verantwortung“ gegenüber Israel lässt jedes Verbrechen der israelischen Politik als unter besonderen Umständen begangen erscheinen. Die Feinde des Westens haben in der Darstellung der Medien die Tendenz mit dem Nationalsozialismus zu verschmelzen: Islamofaschismus. In einer solchen Stimmung fallen die Bomben relativ rasch. Hier scheint der Kern der Islamophobie zu liegen: Ein neuer Mythos
westlicher Einheit und Überlegenheit. Angesichts eigener Überlegenheit wird der Feind zum irrationalen Unmenschen. Es darf nicht gefragt werden, ob islamistische Bomben in London oder Madrid möglicherweise aus der Logik eines globalen Krieges kommen. Der innere Antrieb des muslimischen
Widerstandes ist einfach „der Islam“. Der Blick auf ganz elementare Überlegungen von Kräfteverhältnissen,
Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit wird blockiert. Man könnte es zum Beispiel einfach „ungerecht“ finden,
dass Kinder in Gaza unter israelischer Blockade verhungern, während ein paar Kilometer weiter in
Israel ein westeuropäischer Lebensstandard herrscht. Statt dessen: Mythen eigener Überlegenheit, Zynismus, die Unterdrückten, die letztlich selbst schuld sind an ihrer Situation und aus ihrem Elend erst entkommen können, wenn sie die Überlegenheit der westlichen Zivilisation anerkennen. (Im konkreten Fall: Leute wählen) die dem US-Präsidenten genehm sind und sich vor der israelischen Besatzungsmacht in den Staub werfen. Vielleicht lässt dann Nike dort Schuhe zusammenschneidern.) Wir schließen hier. Die Islamophobie hat lange Wurzeln – bis weit ins Mittelalter. Sie war bereits damals Teil westlicher Identität, un wird es heute wieder (im 19. Jahrhundert war sie hinter einen allgemeineren Rassismus zurückgetreten). Sie ist dabei ein Aspekt einer westlichen Kolonialideologie: Ein Überlegenheitsmythos. Gefährlich im Hier und Jetzt, als Rechtfertigung für Kriege und rassistische Ausgrenzung. Gefährlich auch für die Zukunft. Solche Ideologien können sich radikalisieren, mit schrecklichen Konsequenzen. Das hat die Geschichte mehr als einmal erlebt. Falls das „Wehret den Anfängen“ irgend einen konkreten Sinn haben soll, dann wäre es jetzt angebracht.

Stefan Hirsch

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