Österreichs Kurs im Kampf gegen den Terror, aus Intifada Nr. 25
Mit einem Schuldspruch für beide Angeklagten in allen Anklagepunkten und 4 Jahren Haft für Mohamed Mahmoud bzw. 22 Monaten Haft für Mona Salem Ahmed ging am 12.März 2008 in Wien der erste Prozess in Österreich gegen den „islamischen Terrorismus“ zu Ende – ein Prozess, auf den die Bezeichnung „skandalös“ in mehrfacher Hinsicht zutrifft.
Bereits die Ermittlungsmethoden vor der Verhaftung der beiden Angeklagten waren höchst umstritten – zu Recht, wie sich dann beim Prozess zeigte. Es gab zwar einen richterlichen Beschluss für eine Audio- und Videoüberwachung von Mohamed Mahmouds Zimmer, eine Genehmigung für die Installation von Überwachungssoftware zum Zweck der Erfassung sämtlicher Tastaturanschläge am Computer war aber nie erteilt worden – für ein Eindringen in die Wohnung zu diesem Zweck hätte es auch gar keine gesetzliche Grundlage gegeben. Somit wären nach momentaner Gesetzeslage die Ergebnisse der Computer-Überwachung nicht als „Beweise“ zulässig gewesen. Den Rechtschutzbeauftragten des Justizministeriums, Dr. Strasser, störte das nicht. Er vertrat als Zeuge vor Gericht die Auffassung, die Maßnahmen wären aus mehreren Gründen unbedenklich gewesen. Zum ersten bedeute ja ein Lausch- und Spähangriff (also die Audio- und Videoüberwachung des Zimmers) sowieso einen viel tieferen Eingriff in die Privatsphäre und setze eine weitaus schärfere Verdachtslage voraus als die Überwachung des Computers. Darüber hinaus müsse vermieden werden, dass bei der Telekommunikation die Technik dem Gesetz davonlaufe. Strasser wörtlich: „Ich habe den Standpunkt vertreten, dass die Rücksichtnahme auf Zielsetzungen einer in naher Zukunft in Kraft tretenden Rechtsform bewährte Rechtsanwendung ist.“ Strasser berief sich also nicht auf bestehendes Recht, sondern auf Mutmaßungen über eine mögliche künftige Rechtslage und rechtfertigte damit de facto die Tatsache, dass man beim Einbruch in die Wohnung der Familie Mahmoud auch gleich Maßnahmen gesetzt hatte, die keine gesetzliche Grundlage hatten. Strasser räumte immerhin ein, dass am Computer zumindest Dinge, die nicht in den Bereich der Telekommunikation fallen, auch nicht überwacht werden dürften. Bei einer Überwachung aller Tastaturanschläge lasse es sich, so Strasser, aber natürlich nicht vermeiden, dass auch solche Dinge überwacht werden – ein entscheidender Punkt in Zusammenhang mit einem wesentlichen Teil der Anklage. Der Antrag des Verteidigers beider Angeklagter, Dr. Lennart Binder, die Ergebnisse der Tastaturüberwachung nicht als Beweise zuzulassen, da sie ungesetzlich zustande gekommen seien, wurde vom Gericht mit der gleichen Selbstverständlichkeit zurückgewiesen, mit der man die merkwürdigen Rechtfertigungen des Rechtschutzbeauftragten akzeptierte. Macht diese Vorgangsweise Schule, ist es um den Rechtsstaat Österreich bald endgültig geschehen.
Schlag gegen Verteidigung
Gleich zu Prozessbeginn folgte der nächste Willkürakt: Richter Dr. Norbert Gerstberger interpretierte die Bestimmungen der Strafprozessordnung in einer Weise, die es ihm ermöglichte, Mona Salem Ahmed ihrer elementarsten Verteidigungsrechte zu berauben und sie wegen „unziemenden Verhaltens“ aus der Verhandlung auszuschließen, da sie sich weigerte, ihren Gesichtsschleier abzulegen. Die Tatsachen, dass die Identität der Zweitangeklagten davor bereits einwandfrei festgestellt worden war und dass Salem Ahmeds Ausschluss sogar von Experten im Justizministerium als ungerechtfertigt gesehen wird, zeigen
deutlich, dass auch hier wieder die politischen Interessen höher standen als der Rechtsstaat. Am letzten Prozesstag goss Gerstberger dann noch mehr Wasser auf die Mühlen des primitivsten antiislamischen Chauvinismus, indem er den Gesichtsschleier als „Fetzen“ bezeichnete. Die Aussagen der beiden Hauptangeklagten und mehrerer Zeugen, die Behörden hätten die Aussagen, die sie bei ihren Vernehmungen gemacht hatten, verdreht, wurden vom Vorsitzenden mit der Bemerkung weggewischt,
das sei nicht relevant für das Verfahren, außerdem möge man aufpassen, wen man mit solchen Behauptungen belaste. Auch Einwände, bei den Verhaftungen und in der Haft seien die Angeklagten misshandelt worden (Mona Salem Ahmed wies in einer schriftlichen Stellungnahme nochmals darauf hin, dass sie dabei sogar ihr Kind verloren hat), wurden vom Gericht für gegenstandslos erachtet. Darüber, in welchem Geist gegen die Angeklagten vorgegangen wurde und auf welche Art die Anklage zustande gekommen war, durften sich die Geschworenen also kein vollständiges Bild machen.
Politischer Prozess
Die Behauptung von Staatsanwalt Dr. Michael Klackl, es handle sich keineswegs um einen politischen Prozess, wurde vom Gericht während der Verhandlung mehrfach eindrucksvoll widerlegt. Vorsitzender Gerstberger ließ keine Gelegenheit aus, um politische Diskussionen zu führen – nicht nur mit dem Hauptangeklagten, sondern auch mit mehreren Zeugen, die ebenfalls – wie auch die Angeklagten – der
Meinung waren, der Kampf gegen illegale Besatzung sei legitim, auch wenn Terror gegen Zivilpersonen davon ausgeschlossen sei – übrigens eine Auffassung, die mit dem Völkerrecht übereinstimmt. Dabei ließ Gerstberger keinen Zweifel an seiner Überzeugung, der Irakkrieg habe zu Freiheit und Demokratie geführt – eine Überzeugung, mit der er zwar nicht nur in Österreich wenig Zustimmung finden wird, die ihn aber zum geeigneten Vorsitzenden eines durch und durch politischen Prozesses machte, in dem die politischen Ansichten der beiden Angeklagten zur Untermauerung der Anklage dienten. Gerstbergers Ausspruch: „Die Gesinnung ist natürlich Prozessgegenstand“ spricht Bände. Wenn die politische Meinung eines Menschen ein Indiz dafür sein soll, ob dieser eine Straftat begangen hat oder nicht, ist es nur noch ein kleiner Schritt dahin, dass die Meinung selbst unter Strafe gestellt wird. Dazu passt auch eine weitere willkürliche
Biegung der Gesetze durch die Anklage, die unter anderem auch auf „Mitgliedschaft in einer erroristischen
Vereinigung“ lautete. Nach Auffassung von Staatsanwalt Klackl ist dazu nicht mehr die Planung und/
oder Ausführung terroristischer Aktionen nötig, sondern es genügt dabei bereits die „propagandistische Aufbereitung des Nährbodens“. Diese Ansicht stimmt eindeutig nicht mit der Definition im Strafgesetzbuch überein, und sie lässt darüber hinaus auch genügend Spielraum dafür, dass politische Solidarität mit dem völkerrechtlich legitimen Widerstand gegen Besatzung künftig leichter kriminalisiert werden kann als bisher.
Keine Schuldbeweise
Doch auch in den anderen Anklagepunkten (Nötigung und versuchte Nötigung der Republik Österreich, Beteiligung an den Verbrechen einer kriminellen Organisation, Aufforderung zur Begehung von Straftaten,
Auswahl von Zielen für Terroranschläge) konnten keinerlei Schuldbeweise vorgelegt werden. Die Anklage konzentrierte sich im Wesentlichen auf das berühmte Drohvideo, in dem Österreich zum Abzug seiner Soldaten aus Afghanistan aufgefordert wird und an dessen Produktion Mohamed Mahmoud angeblich mitgewirkt hat, sowie auf einen Text mit Überlegungen über mögliche Anschlagsziele, den Mahmoud an seinem Computer geschrieben haben soll. Eine Beteiligung am Drohvideo konnte in keiner Weise nachgewiesen werden. Die Aussage Mahmouds, man habe ihm den Text des Videos zugeschickt, er
habe sich aber gegen eine Veröffentlichung ausgesprochen und außerdem gar nicht gewusst, dass der Text in einem Video verwendet werden sollte, konnte durch nichts widerlegt werden. Im Fall der Anschlagspläne hatte man mit der Überwachung der Tastaturanschläge festgestellt, dass ein Text mit entsprechenden Überlegungen in Mahmouds Computer eingetippt worden war. Darauf, dass er an andere Personen abgeschickt oder sonst irgendwie weitergegeben worden wäre, deutet aber absolut nichts hin. Darüber hinaus fällt ein Text, der nie abgeschickt wurde, wohl auch nicht inden Bereich der Telekommunikation,
womit die behördliche Verwertung des Textes ohnehin schon ungesetzlich gewesen sein dürfte Bei Mona Salem Ahmed gründete sich die Anklage überhaupt nur darauf, dass sie Texte von Widerstandsgruppen übersetzt und ins Internet gestellt hat. Kein einziger dieser Texte war aber überhaupt nur in der Anklageschrift erwähnt worden. Der Anklage genügte offenbar die Tatsache, dass die Texte zum Teil auf der Internetseite der Globalen Islamischen Medienfront (GIMF) veröffentlicht wurden, die seitens der Anklage schnell
einmal als „Terrororganisation“ definiert wurde, obwohl sie nicht einmal auf der „Terrorliste“ der EU, die
in dieser Hinsicht normalerweise äußerst zügig agiert, zu finden ist. Ein (bei der Verhandlung ebenfalls vorgeführtes) Fernsehinterview, in dem sich Mahmoud vermummt als Sprecher der GIMF ausgegeben und die GIMF als medialen Arm des Widerstandes bezeichnet hatte, wurde von der Anklage groß zum „Beweis“ aufgeblasen, beweist in Wirklichkeit aber keinerlei Schuld in irgendeinem Anklagepunkt und auch sonst keine Straftat. Auch die vom Richter permanent wiederholte Vorhaltung, auf den Computern der beiden Angeklagten habe man Videos von Geiselhinrichtungen durch Mujaheddin- Gruppen gefunden, sind kein Beweis für die Begehung von ungesetzlichen Handlungen durch die Angeklagten selbst. Mahmouds Hinweis, auf seinem Computer seien ebenso Videos von Folterungen und anderen Verbrechen
durch die US-Armee zu sehen, wurde vom Richter selbstverständlich als irrelevant abgetan.
Die gerichtliche Willkür zeigte sich unter anderem auch darin, dass die Aussage eines Sachverständigen des deutschen Bundeskriminalamts, die Stimme des Sprechers im Drohvideo sei niemandem zuordenbar, den Richter nicht etwa zur Schlussfolgerung veranlasste, es deute also nichts darauf hin, dass Mohamed Mahmoud der Sprecher sei. Gerstberger meinte vielmehr, wenn die Stimme nicht identifizierbar sei, könnte es ja auch die des Angeklagten sein. Dem Einwand Mahmouds, der Akzent des Sprechers deute auf eine marokkanische Herkunft hin, während seine Familie aus Ägypten stamme, schien man weniger Bedeutung beizumessen.
Durch Quantität Fakten schaffen
Mohamed Mahmoud wurde bei der Verhandlung insgesamt 3 mal laut – in 2 Fällen, weil er die „Beweisführung“ (im Punkt der Anschlagspläne und bei der für die Schuldfrage völlig irrelevanten Vorführung der erwähnten Geiselvideos) als unfair empfand und einmal, weil ihm von der Justizwache mit unnötiger Brutalität die Handschellen an seiner verletzten Hand angelegt wurden. In allen 3 Fällen lenkt der mediale Wirbel um Mahmouds Wutausbrüche davon ab, dass er, wie bereits dargelegt, in der Sache im Recht war.
Dr. Hans Zeger, Obmann der ARGE Daten, hatte bereits vor dem Prozess die Einschätzung geäußert,
man versuche hier, durch Quantität Fakten zu schaffen, während die tatsächlichen Hinweise auf Straftaten
äußerst dünn gesät seien. Den Geschworenen wurde 4 Prozesstage lang vor Augen geführt, dass die Angeklagten politisch auf der Seite des Widerstandes gegen die Besatzung im Irak, in Palästina und in Afghanistan stehen. Darüber hinaus wurde viel über Vorgänge in Internetforen gesprochen – Dinge, die für Menschen, die keine Experten für Internetforen sind, eher verwirrend als aufklärend sein dürften. Dabei zeigt sich, dass Mohamed Mahmoud eine Fülle von Kontakten geknüpft und gute Kenntnisse über viele Gruppen und Personen hatte – für eine Straftat gab es hingegen null Beweise. Dennoch geriet der Prozess zu einer klassischen Umkehr der Beweislast, da die Verteidigung permanent – und leider erfolglos – darauf hinweisen musste, dass die Fülle an Informationen offenbar über eine bewerkenswerte Leere an Beweisen hinwegtäuschen sollte. Alles andere als eine Verurteilung der beiden Angeklagten wäre für Politik und Behörden zweifellos eine Katastrophe gewesen. Schließlich ging es bei diesem Prozess darum, die Erweiterung der polizeilichen Bespitzelungsbefugnisse zu rechtfertigen, indem man einen „großen Erfolg gegen den Terrorismus“ präsentierte. Dr. Zegers Einschätzung bestätigte sich auf eindrucksvolle Weise und
führte schließlich zu einem Urteil, das im Fall von Mona Salem Ahmed sogar dem Staatsanwalt zu hoch war und das auf Rechtsstaat und Meinungsfreiheit unabsehbare Auswirkungen haben kann. Die Urteile waren bei Redaktionsschluss noch nicht rechtskräftig.
Gunnar Bernhard