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Recht behalten heißt nicht zu siegen

6. Mai 2008

Eine kritische Bilanz der antiimperialistischen Bewegung, aus Intifada Nr. 25

Die antiimperialistische Bewegung hat ihre Finger in die klaffende Wunde dieser Welt gelegt. Der Konflikt zwischen der imperialistischen Oligarchie und den subalternen Klassen der Peripherie ist heute der Motor der
Geschichte. Zeit dafür Bilanz zu ziehen und die Perspektiven der Bewegung im Westen auszuloten.

Mitte der Neunziger Jahre, als die Welt noch unter dem frischen Eindruck des Zusammenbruchs des Kommunismus stand, meldeten sich plötzlich Widerstandsbewegungen gegen die liberalistischen
Angriffe an der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems zu Wort. Es war klar, dass es sich nicht um Ausläufer von etwas Altem, sondern um Vorboten von etwas Neuem handelte. Das meist beachtete Ereignis dabei war der zapatistische Aufstand 1994 in Mexiko. Er setzte der damals kursierenden These vom Ende
der Geschichte selbst ein Ende. Die Idee, nach dem offensichtlichen Ende der Arbeiterbewegung den Antiimperialismus ins Zentrum zu rücken, war damals schon herangereift: Nur von den antiimperialistischen Widerstandsbewegungen konnte ein starker Antagonismus ausgehen, der kräftig genug ist, das imperialistisch-kapitalistische System, das gerade einen seiner größten Siege in der Geschichte errungen hatte, zu erschüttern. In diesem Kontext machte die Antiglobalisierungsbewegung ihre ersten Schritte. Ihre Haltung war aber von Anfang an zwiespältig. Auf der einen Seite repräsentierte sie im Westen selbst den ersten ernsthaften Protest gegen die seit 1989/91 allmächtige liberalistische Oligarchie. Sie richtete sich gegen die extremsten Auswüchse des ungefesselten Liberalismus, die ihr durch die Revolte der unterdrückten Völker vor Augen geführt wurden. Auf der anderen Seite wollte und konnte sie mit den Prämissen des Liberalismus nicht brechen. Obwohl vom Widerstand der „Verdammten dieser Erde“ inspiriert, lehnte sie diesen als den Post-1989/91-Werten nicht entsprechend ab. Die linksliberale westliche
Mittelklasse beanspruchte die Führungsrolle für sich selbst. Das erste Schlachtfeld für den neuen Antiimperialismus war der Nato-Krieg gegen Jugoslawien, der 1999 kulminierte. Für Serbien Seite bezogen zu haben, bedeutete die Exkommunikation aus der Antiglobalisierungsbewegung. Für diese stellte sich die westliche Aggression als Polizeiaktion im Rahmen der Clintonschen Neuen Weltordnung dar, um verbliebene böse Geister aus der Vergangenheit auszutreiben. Nationaler Widerstand gegen das kapitalistische Empire durfte nicht existieren, geschweige denn bewaffneter. Dem liberalistischen global village wurde die Globalisierung von unten entgegengestellt. Beiden ist gemein, dass sie das Recht von peripheren, subalternen Nationen auf Widerstand gegen das imperialistische Zentrum als Nationalismus
ablehnen. Der Zusammenbruch der Illusion von der Globalisierung mit menschlichem Antlitz sollte jedoch nicht lange auf sich warten lassen. 9/11 ist das Symbol für das Ende der harmonischen liberalistischen Globalisierung, wie sie sowohl Clinton als auch Negri in ihrer jeweils spezifischen Form vertraten. Die Ausrufung des permanenten Präventivkrieges der USA gegen die Widerstandsbewegungen machte den universalistischen Liberalismus obsolet, eben auch in seiner linken Variante. Indem er den „Terrorismus“ angriff, erkannte Bush indirekt die Widerstandsbewegungen, insbesondere die islamischen, als Hauptfeind ihres globalen Herrschaftssystems an. Es entsprach der inneren Logik der Antiglobalisierungsbewegung, eine äquidistante Position zu beziehen, die sich in dem Slogan „Weder Krieg, noch Terror“ ausdrückte. Damit befand sie sich zwischen den Fronten. Nachdem sie zur Kenntnis nehmen musste, dass sie entgegen ihrer Hoffungen den Irak-Krieg nicht hat aufhalten können, löste sie sich in wenigen Jahren gemeinsam mit ihrem
Anspruch auf die Führungsrolle in Luft auf.

Auf der Seite des irakischen Widerstands
Die antiimperialistischen Bewegung bezog von Anfang Seite mit den Widerstandsbewegungen, den islamischen mit eingeschlossen. Das begann mit der wiederbelebten palästinensischen Intifada, setzte sich mit dem afghanischen Widerstand, der von den Taliban geführt wird, fort und fand seinen Höhepunkt mit dem
sich entfaltenden irakischen Widerstand nach der US-Invasion 2003. Dessen Intensivierung forderte die imperialen amerikanischen Pläne, wie sie unter den Auspizien der Neokonservativen entworfen worden waren, heraus. Schließlich falsifizierte er sogar deren ultramilitaristische Prämissen, die jedes politische Hindernis mit der exzessiven Anwendung ihrer überlegenen Militärmacht hinwegfegen wollen. Die antiimperialistische Bewegung wurde zum Wortführer der Unterstützung des irakischen Widerstands. Mit bescheidenen Mitteln konnte ein großes Echo hervorgerufen werden, insofern man die Finger in eine offene Wunde legte. Die Bedeutung der Kampagne lässt sich an den Gegenreaktionen ermessen. In einer massiven medialen Kampagne von ganz rechts bis ganz links sollte beispielsweise das „Antiimperialistische Lager“ als terroristisch kriminalisiert werden, was in den Verhaftungen einiger italienischer Mitglieder im Jahr 2004 kulminierte. Die Initiative von 44 US-Kongressabgeordneten, die das Verbot der Organisation forderten, zeigt, dass selbst die Spitzen des Empires die Bewegung als politisch gefährlich einstuften. Hatte die antiimperialistische Bewegung im Kampf um Jugoslawien lediglich eine Zeugenrolle gespielt, insofern sie das Vorhandensein von einigen Aufrechten bezeugte, so wurde sie in der Irak-Frage zu einem wirklichen politischen Player, der auch Erfolge zu verzeichnen hatte. So konnte zumindest die Legitimität des Widerstands als Ausdruck des Willens zur Selbstbestimmung eines überwältigenden Teils des irakischen Volkes in einem beträchtlichen Sektor der öffentlichen Meinung etabliert werden Die tiefe Kluft zwischen dem westlichen Anspruch, der Herold der Demokratie zu sein, und dem offensichtlichen Neokolonialismus im Irak war einfach zu groß. Natürlich war das nur auf der Basis des unversöhnlichen Widerstands des irakischen Volkes möglich. Doch die antiimperialistische Bewegung in Europa leistete einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Gleichung Widerstand = Terrorismus und die damit einhergehende Kriminalisierung nicht ohne Weiteres Fuß fassen konnte, wie dies in den USA geschah.
Von einem politischen Standpunkt aus gesehen (nicht von einem rein militärischen) erreichte der irakische
Widerstand 2004 seinen höchsten Punkt, als sich nämlich eine Allianz zwischen den Verteidigern Fallujas
und den Volksmilizen, die andere sunnitische Städte kontrollierten, auf der einen Seite, und dem von Muqtada as Sadr geführten schiitischen Aufstand in Najaf auf der anderen Seite abzeichnete. Das beflügelte die Hoffnungen auf eine umfassende politische Front des Widerstands, die konfessionelle Grenzen überschreiten würde. Aber die Dinge entwickelten sich anders. Entlang des historischen Bruchs zwischen den Konfessionen, der nicht nur bis auf Saddam zurückgeht, sondern dessen Wurzeln über die britische und osmanische Herrschaft bis auf das Abbasiden-Kalifat zurückverfolgbar sind, konnte ein Keil in die irakisch-arabische Nation getrieben werden. Den Rahmen dafür gab der amerikanische Versuch der Dreiteilung in Schiiten, Sunniten und Kurden ab, während die salafistischen (1) und takfiristischen (2) Komponenten des Widerstands die Spirale der sektiererischen Konflikte antrieben. Diese waren ihrerseits durch die gewalttätige „Debaathisierung“ provoziert worden, die als antisunnitischen aufgefasst worden war. Die Reaktion der schiitischen konfessionalistischen Kräfte, die mit der von den USA installierten Regierung in Verbindung standen, ließ nicht lange auf sich warten. Mit diesem sich entwickelnden konfessionellen Bürgerkrieg verband sich die Frage der geostrategischen Rolle des Iran – gegen Teheran oder unter seinem Schutz? Die Antwort darauf, die auch eine tiefe historische Dimension hat, spaltet das irakische Volk zutiefst.
Die Sackgasse, in der sich gegenwärtig der irakische Widerstand befindet, bedeutet aber nicht automatisch einen Erfolg für die USA. Vielmehr handelt es sich um ein strategisches Patt, das nur durch das Ringen zwischen Washington und Teheran entschieden werden wird. Jedenfalls hat mit der fatalen Spaltung des Widerstands dessen globale Anziehungskraft stark gelitten. Der Zusammenstoß zwischen den USA und dem Iran ist heute die dominante Frage und der entscheidender Test für das „Amerikanische Reich“. Dessen Autoren, die Neokonservativen, haben den Höhepunkt ihrer Macht sicherlich überschritten. Ihre extreme Offensive hat dank des wachsenden Widerstands, allen voran des irakischen, an Antrieb eingebüßt. Damit
ist aber das strategische Projekt der globalen amerikanischen Vorherrschaft nicht gebrochen. Ein massiver
Militärschlag mit dem Ziel des „regime change“ im Iran ist durchaus möglich, sei es als Vorwärtsverteidigung
der Neocons oder abgesichert durch das traditionelle Establishmentdes US-Regimes. Dieses scheint mit der zu Ende gehenden Präsidentschaft Bushs zunehmend an Einfluss zu gewinnen. Es hat zur Lösung des antagonistischen Widerspruchs mit dem Iran aber ebenso wenig ein Zaubermittel zur Verfügung. Zwar wird es viel aktiver versuchen, einen Konsens unter den imperialistischen Mächten über das Vorgehen gegen den Iran zu erzielen, aber auch für diese so genannten Realisten bleibt der Krieg die ultima ratio zur Beseitigung eines unliebsamen Regimes. Die festere Basis der Realisten nach innen wie nach außen macht sie zur Kriegsführung gegen den Iran vielleicht sogar geeigneter als Bush und seine Neokonservativen. Ohne einen Regimewechsel in Teheran, der allem Anschein nach nur militärisch erzielt werden kann, ist eine Verschiebung hin zu einer stärken multipolar ausgerichteten Welt unvermeidlich. Aber selbst das bedeutet nicht, dass die USA ihre Führungsrolle verlieren würden. Würde sich Washington auf einen Kompromiss
mit Teheran einlassen, hätte dies enorme Konsequenzen für die Kräfteverhältnisse in der Region und der Welt. Es würde unvermeidlich zu einer gewissen Anerkennung der Widerstandsbewegungen in Palästina
und dem Libanon sowie der Duldung eines bestimmenden Einflusses Teherans in Bagdad führen.

Recht behalten und dennoch verlieren
Die Analyse des antiimperialistischen Widerstands als einzige antagonistische Kraft gegen das kapitalistischimperialistische Zentrum hat sich als richtig herausgestellt. Die antiimperialistische Bewegung konnte einige Schlachten erfolgreich schlagen, aber sie gehen daraus dennoch geschwächt hervor.
Wesentlicher Grund dafür ist, dass Rückzug und Niedergang der westlichen Linken noch immer andauert.
Die Antiglobalisierungsbewegung war in dieser Hinsicht keine Trendumkehr, sondern ein weiterer Schritt in einem Prozess, der zur Auslöschung eines antagonistischen politischen Subjekts im Westen geführt hat. Während die Antiglobalisierungsbewegung sich in Nichts aufgelöst hat, akzentuiert sich die Transformation der historischen Linken in einen Sozialliberalismus, der sich, verkleidet unter Menschenrechten und Humanität, als Vorreiter des Imperialismus betätigt. Der letzte Ausdruck dieses Phänomens ist das beständige Wachstum der Islamophobie in allen sozialen Schichten und über alle politischen Demarkationen hinweg. Unter dem Vorwand der Verteidigung der Werte der Aufklärung reiht sich auch die
Linke in den Kreuzzug gegen den Islam ein. Wir stehen vor der Wiederbelebung der „mission civilicatrice“
des Imperialismus, mit der Islamophobie als ihrer transversalen vereinigenden Ideologie. Auf der Ebene der Verteidigung des irakischen Widerstands konnte ein Teilerfolg errungen werden, insofern als die Position, darin den Wunsch nach Realisierung der Selbstbestimmung zu sehen, gesellschaftlich ein gewisses Gewicht erlange. Doch die Eliten wechselten einfach das Schlachtfeld. Indem sie die Karte der Islamophobie spielen, sichern sie sich die Unterstützung der breiten Masse der Bevölkerung für den Präventivkrieg, wo mit Hilfe der Sicherheitshysterie en passant auch die innere Opposition angegriffen werden kann (siehe Guantanamo und den Patriot Act). All das muss im Kontext des kapitalistischen Booms der letzten fünf
Jahre gesehen werden, der die durch die liberalistischen Attacken hervorgerufenen Effekte zwar kaum dämpfte, aber einem politisch-kulturell dominanten Mittelstand den Wohlstand sicherte, zumindest in den zentralen imperialistischen Mächten. Oppositionstendenzen, einschließlich des rechten Sozialpopulismus, wie sie in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre in ganz Europa entstanden, wurden teilweise reabsorbiert und geschwächt. Unter diesen Bedingungen wird eine sich abzeichnende zyklische Krise nicht automatisch eine antagonistische Antwort hervorbringen. Mehr als früher tendiert sozialer Unmut dazu sich in chauvinistischen, antiislamischen Formen auszudrücken. Sich verschärfende soziale und politische Konflikte bieten dennoch antagonistischen antiimperialistischen Kräften gewisse Ansatzpunkte, wenn auch durchaus begrenzte. In diesem Zusammenhang ist es nicht verwunderlich, wenn das antiimperialistische Projekt, trotz seiner Stichhaltigkeit, nicht die gleiche Anziehungskraft, wie sie zum Beispiel der Kommunismus früher hatte entwickelt hat. Während Letztere den unvermeidlichen Sieg versprach, zeichnet der Antiimperialismus vorerst
Szenarien von Widerstandskämpfen, deren Ausgang obendrein noch ungewiss ist. Zudem ist klar, dass der antiimperialistische politische Islam keine Plattform bietet, die im Westen in antagonistischen Milieus angenommen werden könnte.

Neuer Universalismus der Befreiung
Die islamisch geprägten Widerstandsbewegungen zählen heute zu den wichtigsten Herausforderern der imperialistischen Hegemonie. Die entscheidende Frage ist, wie eine Verbindung zwischen ihnen und anderen antiimperialistischen und antagonistischen Bewegungen hergestellt werden kann. Zweifellos muss ihnen eine politische Plattform vorgeschlagen werden, die sich an alle Unterdrückten richtet, unabhängig von deren kulturellen und religiösen Hintergrund. Auf der anderen Seite kann eine solche Plattform diese Zugehörigkeiten nicht ignorieren, sondern muss sietolerieren und akzeptieren. Die zahlreichen Widersprüche, die aus dieser Problemlage resultieren, können nicht durch einen Rückgriff auf den Sozialismus oder Kommunismus gelöst werden. Eine globale Allianz der Kräfte des Widerstands muss in der Lage sein, die unterschiedlichsten antiimperialistischen Kämpfe auf der Basis eines universellen Programms als kleinster gemeinsamer Nenner zu vereinigen, dessen zentrale Bestandteile neben dem Antiimperialismus, die nationale Selbstbestimmung, die Volksmacht sowie die soziale Gleichheit sind.

Antiimperialistische Front
Für diesen strategischen Vorschlag einer antiimperialistischen Front wurden bereits zahlreiche Vorstöße gemacht. Da waren die jährlichen antiimperialistischen Sommerlager in Assisi, Italien, die zur Darstellung und zum Austausch dienten. Da gab es den Versuch eine antiimperialistische Alternative zum Weltsozialforum (WSF) zu bilden, ohne den Dialog mit dessen radikalem Flügel zu vergessen. Das wichtigste Ereignis dieser Art war Mumbai Resistance 2004, die antiimperialistische Konferenz, die
parallel zum Weltsozialforum 2004 stattfand. Auf dem Weltsozialforum 2006 bestätigte der venezolanische
Präsident Chávez diese Linie, in dem er selbst zur Bildung einer antiimperialistischen Front aufrief. Dann sind da noch die Versuche zum Aufbau einer Allianz in Unterstützung des irakischen Widerstands zu nennen.
So wichtig all diese Initiativen waren und zur Bildung eines antiimperialistischen Netzwerks dienten, können
sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine antiimperialistische Front im vollen Sinne noch in weiter Ferne
liegt. Die politische Grundlage der jeweiligen Kooperation bleibt vorerst auf konkrete Ereignisse beschränkt
und nimmt noch nicht umfassenden Charakter an. Als der irakische Widerstand besondere Zugkraft entwickelte, gewann die Unterstützerkoalition an Profil. Sobald im Irak tiefgreifende Probleme sichtbar wurden, zerfiel sie wieder. Diese Unreife spiegelt sich sowohl in organisatorischer als auch materieller
Hinsicht wider. Wahrscheinlich bleibt es einem historischen Sieg im antiimperialistischen Kampf vorbehalten, die Vorbedingungen für eine wirklich operative internationale antiimperialistische Front zu schaffen.

Neue Formen für Europa
Was Europa betrifft, so muss man sich auf eine schwierige Periode einstellen, die vom weiteren Niedergang der antagonistischen Kräfte gekennzeichnet sein wird. Erwartet werden können Proteste jener sozialen Schichten, die von der liberalistischen Dampfwalze marginalisiert werden oder zumindest ihren bisherigen Status verlieren. Die wiederholten Revolten in den französischen Vorstädten sind ein anschauliches Beispiel für diese Tendenz. Aber auch etwas besser gestellte Gruppen werden ihre sozialen Forderungen präsentieren, wenn auch in einer weniger radikalen Weise. Die deutsche Linkspartei kann dazu als Beleg dienen, auch wenn deren Reintegration ins System bereits vorgezeichnet ist. Vielleicht wird es in Teilen der gebildeten Mittelklassen auch Opposition gegen den Kampf der Kulturen geben Um auf diese fragmentierten und sektorialen Proteste Einfluss nehmen zu können, muss die antiimperialistische Bewegung nach neuen Formen, nach einer neuen Sprache und Kultur suchen. Dazu gibt es allerdings keine fertigen Rezepte und es bedarf eines experimentellen Herangehens – das jedoch nicht in die empiristische Falle tappen darf. Das Experimentieren darf nicht pragmatisch erfolgen, sondern muss innerhalb eines wohldefinierten theoretischen Rahmens stattfinden, der das politische Ziel, die konkret aufbrechenden Konflikte in bewusster Weise gegen die kapitalistisch-imperialistische Oligarchie zu orientieren, nicht aus den Augen verlieren
soll. Gegen die Amerikanisierung unserer Gesellschaft muss ein neues Projekt der Kollektivität und
menschlichen Solidarität gesetzt werden. Deren conditio sine qua non ist die Verbindung mit und Unterstützung für die antiimperialistischen Widerstandsbewegungen in der Peripherie. Aber es bleibt ein ungelöster strategischer Widerspruch. Um all diese Ideen zu verwirklichen, diese Projekte voranzutreiben, bedarf es disziplinierter und kultivierter Aktivist/innen, die nur schwer aus den Milieus der oben beschriebenen neuen Oppositionen herauswachsen können. Der Abstand zwischen einer äußerst dünnen
politischen Elite und den unzufriedenen Massen ist dazu verdammt weiter zu wachsen – eben nicht nur
in Bezug auf die herrschenden Eliten, sondern auch was die antiimperialistische Bewegung betrifft.

Wilhelm Langthaler
(1) Als Salafismus bezeichnet man jene Strömung im sunnitischen Islam, die die Zustände unter der Herrschaft des Propheten Mohamed zur Richtschnur für die heutige Gesellschaft machen will. Sie ist heute überwiegend politisch militant, aber es gibt auch durchaus staatstragende Strömungen wie beispielsweise der saudische Wahhabismus.
(2) „Takfir“ bedeutet die Exkommunikation von Muslimen als Ungläubige (pl. Kuffar / sg. Kafir), die nicht die Interpretation der Salafisten teilen. Unter Takfirismus versteht man heute die extreme Zuspitzung dieses
Prinzips, das selbst die Tötung von Aktivisten konkurrierender salafistischer Gruppen legitimiert.

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