Seit Jahren führt das „Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes“ (DÖW), gegen die „Antiimperialistische Koordination“ (AIK) eine Verleumdungskampagne, die uns antisemitisches Gedankengut unterstellt. Diese Besudelungen haben nun einen neuen Höhepunkt erreicht:
Der APA vom 16.5.08 ist Folgendes zu entnehmen: „Die wissenschaftliche Leiterin des DÖW, Brigitte Bailer-Galanda, erklärte gegenüber der APA: ‚Die AIK kann dem ultralinken, antisemitischen Umfeld zugeschrieben werden.‘ Sie habe in den letzten Jahren ‚Positionen vertreten, Sympathien für den Holocaust, die in ihrer Art als antisemitisch bezeichnet werden können.'“
Wir halten hierzu unmissverständlich fest: Weder die AIK als Organisation noch einzelne Mitglieder vertreten in irgendeiner Weise Positionen, die Sympathien für den Holocaust zeigen. Bailer-Galanda hat das frei erfunden bzw. vorsätzlich konstruiert. In unzähligen Stellungnahmen und Aktionen haben wir unsere Verurteilung des Holocaust und unsere antifaschistische und antirassistische Haltung unter Beweis gestellt, sind auf die Straße gegangen, als antifaschistisches Engagement noch nicht zum guten Ton der Mainstream-Gesellschaft gehörte, sondern als Linksradikalismus angesehen wurde. Der Antifaschismus von unten ist nicht nur unsere politische Tradition als Organisation, sondern auch eine persönliche. In unseren Reihen und unter unseren Freund/innen und Sympathisant/innen finden sich mehrere jüdische und/oder kommunistische Holocaust-Überlebende und Nachkommen von Holocaust-Opfern.
Woher also dann die haltlosen und inakzeptablen Vorwürfe? DÖW & Co verfolgen mit ihrer Verleumdungskampagne konkrete politische Zielsetzungen: Kritik an der Politik Israels und der mit Israel verbündeten Mächte soll diffamiert und damit mundtot gemacht werden. Die Neuinterpretation des Antisemitismusbegriffs ist ein wesentliches Instrument der politischen Strategie von DÖW & Co. Es geht keineswegs mehr um die Diskriminierung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden. Der Begriff „Antisemitismus“ soll vielmehr zum Synonym des Eintretens für die elementaren Menschenrechte der Palästinenser/innen gemacht werden. Um Israel über jedwede Kritik bzw. auch nur Beurteilung erhaben zu machen, muss die politische Ideologie des Zionismus unantastbar gemacht werden. Was dem im Wege steht – und seien es die schieren Menschenrechte der ursprünglich auf dem Territorium des heutigen Israel lebenden Menschen – muss in den Augen der Öffentlichkeit als grundsätzlich illegitim erscheinen. Das elementare Menschenrecht auf Selbstbestimmung wird so zum Antisemitismus, die Selbstverteidigung gegen Besatzung und Landraub zum Terrorismus uminterpretiert.
Im Streben, Israel über jede Kritik erhaben zu machen, werden selbst die moderatesten Kritiker/innen Israels mit der Antisemitismus-Keule erschlagen. Nämlich auch jene, die sich darauf beschränken, die eklatantesten Menschenrechtsverletzungen Israels an den Palästinenser/innen zu verurteilen. Wenn dies Jüdinnen und Juden tun, so werden sie als von jüdischem Selbsthass geplagte Personen bezeichnet.
Warum DÖW & Co die AIK mit besonderem Hass verfolgen, ist leicht erklärt: Wir treten für ein Ende des zionistischen Kolonialismus überhaupt und einen demokratischen Staat aller Bewohner/innen Palästinas ein, ungeachtet dessen, ob sie Araber/innen oder Jüdinnen und Juden, Kolonisierte oder Kolonisten sind – genauso so wie in Südafrika. Ein exklusiv jüdischer Staat, wie es Israel per definitionem ist, kann nur auf dem Ausschluss und der Vernichtung der arabischen Bevölkerung errichtet und erhalten werden. Wir sind gegen Apartheid und Kolonialismus – allen Menschen gebühren gleiche Rechte ohne Ansehen der Hautfarbe, Religion, Nationalität oder Geschlecht. Wir befürworten einen gemeinsamen Staat, in dem die arabische und die jüdische Bevölkerung gleichberechtigt nebeneinander leben. Wir akzeptieren nicht, dass die Vertreibung von rund einer dreiviertel Million Palästinenser/innen als vollendete Tatsache gilt, die nicht rückgängig gemacht werden darf, und wir akzeptieren nicht die systematische Diskriminierung der verbliebenen arabischen Bevölkerung in Israel. Diese Position vertreten wir, seit und solange es die AIK gibt, und wir werden sie nicht ändern, nur weil bestimmte Leute das Konzept eines Staates, in dem Jüdinnen und Juden, Araber/innen und andere Menschen gleichberechtigt nebeneinander leben, als „antisemitisch“ verleumden.
Die Diskussion um eine gerechte Lösung für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten ist alt, das Spektrum der Meinungen breit gestreut. Wer, wie die AIK, aus der Tradition der marxistischen antifaschistischen und Arbeiter/innenbewegung kommt, weiß, dass, so kontrovers dieses Diskussion auch geführt wurde, die Gleichsetzung von Kritik an Israel mit Antisemitismus niemals Teil dieser Diskussion war. Sie ist vielmehr ein rezentes Phänomen, das erst in den Jahren nach Ausbruch der zweiten Intifada 2000 und der Aggression der USA gegen den Irak an Raum gewann und sich schließlich – dank einer intensiven Kampagne unter Beteiligung von DÖW & Co. – in der öffentlichen Meinung durchsetzen konnte.
Die jüngste Verleumdung des DÖW an die Adresse der AIK, nämlich der Vorwurf „Sympathie mit dem Holocaust“, geht über den bisherigen Rahmen des diffamierenden und instrumentalisierenden Gebrauchs des Antisemitismus-Begriffs hinaus. Diese strafrechtlich relevante Aussage von Bailer-Galanda ist nicht nur frei erfunden, sondern auch konstruiert. Sie zeigt – jenseits des Delegitimierungswunsches gegenüber der AIK – eine Weiterentwicklung in der politischen Strategie von DÖW & Co auf. Es sei nicht nur antisemitisch, auf die Legitimität der Existenzansprüche der Palästinenser/innen hinzuweisen. Dies zu tun, scheint neuerdings zu bedeuten, Sympathien mit dem Holocaust zu haben. Einem phantasierten Holocaust, der – in die Zukunft projiziert – sich aus den reinen Existenzansprüchen der Palästinenser/innen und insgesamt der arabischen und muslimischen Menschen im Nahen Osten erklären würde.
Die wissenschaftliche Haltlosigkeit dieser Position liegt auf der Hand. Es handelt sich zweifelsfrei um eine neuerliche Uminterpretation eines Begriffs – diesmal des Begriffs „Holocaust“ – mit konkreten politischen Zielsetzungen, die diesen Begriff zum Bestandteil einer neuen globalen Herrschaftsideologie machen sollen. Die ideologische Operation erfolgt ungefähr anhand folgender Linie:
Zuerst wurde der Holocaust der Geschichte enthoben, zu einem Ereignis gemacht, das nicht historisch eingeordnet, nicht kontextualisiert, nicht verglichen, letztlich nicht verstehbar gemacht werden darf. Der Holocaust wurde mystifiziert, gleichsam zum absolut Bösen entrückt. Er darf heute nicht mehr als Folge des imperialistischen Kapitalismus verstanden werden. Sein Ende durch den Sieg über den Faschismus verdanken wir nicht der antifaschistischen Bewegung und insbesondere den Kommunist/innen und auch nicht der Sowjetunion, sondern einzig und allein dem heute dominanten US-Imperialismus. (Darum ist die AIK, die in der der Tradition des antifaschistischen Widerstands von unten stehen, in den Augen von DÖW & Co. antisemitisch, während sich jene, die mit Hitler-Deutschland kooperierten, es gegen die Sowjetunion lenken wollten, die Judenvernichtung gewähren ließen, nach dem Zweiten Weltkrieg die alte Nazi-Apparatur gegen den Osten rehabilitierten, als erste die Atombombe ohne jegliche militärische Notwendigkeit einsetzen, heute als Antifaschisten feiern lassen.)
Zweiter Schritt in der ideologischen Operation ist die Projektion des Holocaust nach außen. Der neue Holocaust droht nicht mehr von Seiten des Westens, wo er stattgefunden hat, sondern von außen. Den Holocaust, den machen immer die anderen. Der Westen schützt indes nur den „Staat der Holocaust-Überlebenden“, – übrigens nicht aus Altruismus oder als Übung der Vergangenheitsbewältigung, sondern um dahinter seine imperialen Interessen zu verstecken. Die europäische Verantwortung für den Holocaust wird auf die Befreiungskämpfe gegen den westlichen Imperialismus abgeschoben. Indes geht es aber nicht nur um die Legitimierung des Zionismus, obwohl dieser das Leitmotiv abgibt. Sondern es ist die Verdrehung des Antifaschismus überhaupt, der die neuen Hitler immer dort entdeckt, wo westliche imperiale Interessen militärisch durchzusetzen sind. Es handelt sich um eine raffinierte Neuformulierung der alten „mission civilisatrice“. Wenn wir nicht mehr die schal gewordene Zivilisation bringen können („export of democracy“ hieß es im Irak), dann verhindern wir zumindest das absolut Böse, nämlich den Widerstand gegen die westliche Vorherrschaft in der Welt.
Und damit sind wir am Endpunkt der Konstruktion angelangt. Wer Sympathien mit dem Widerstand derjenigen, die der karibisch-algerische Arzt und Intellektuelle der algerischen Befreiungsbewegung Frantz Fanon als „Verdammten dieser Erde“ bezeichnete, mit den antiimperialistischen Volksbewegungen hegt, der ist letztlich der „Sympathien mit dem Holocaust“ verdächtig. Um diesen „neuen Holocaust“ zu verhindern, redet man der atomaren Auslöschung des Iran das Wort. Aber das ist dann kein Holocaust, sondern, im Gegenteil, die Rettung vor diesem.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass DÖW & Co sich nicht nur auf Antiimperialist/innen und Israel-Kritiker/innen eingeschossen haben, sondern mit der impliziten Unterstellung an die gesamte arabisch-islamische Welt antisemitisch zu sein, den islamophoben Chauvinismus anheizen. Die palästinensische Bevölkerung leistet gegen Israel Widerstand, nicht weil sie gegen Jüdinnen und Juden ist. Die Geschichte zeigt im Gegenteil, dass die islamische Welt über Jahrhunderte Fluchtraum für verfolgte Jüdinnen und Juden aus dem christlichen Europa war. Die Palästinenser/innen leisten Widerstand gegen Israel, weil sie von und in diesem Staat diskriminiert bzw. permanent von ihm aus ihren Gebieten vertrieben werden, und nicht deshalb, weil Israels heutige Mehrheitsbevölkerung jüdisch ist.
Die Islamophobie ist die gegenwärtige funktionale Entsprechung des historischen Antisemitismus. Wenn sich das DÖW schon nicht auf seinen Auftrag, den antifaschistischen Widerstand zu dokumentieren, konzentrieren will, dann wäre es seine Aufgabe in antifaschistischer Tradition die stetig anwachsende Islamophobie anzugreifen anstatt israelische Interessen zu vertreten und die Kriegstrommeln zu rühren.
Abschließend noch ein Wort zu den Methoden der seit Jahren laufenden Verleumdungskampagne. Während die AIK, den heute als „politisch korrekt“ bezeichneten Methoden der fairen politischen Auseinandersetzung verpflichtet, DÖW & Co. immer wieder zum sachlichen Dialog aufgefordert hat, arbeitet die Verleumdungskampagne mit Verdrehungen, falschen Behauptungen, Verbreitung von Halbwahrheiten oder offenen Lügen sowie Einschüchterung und Diffamierung von Personen. Darauf sei verwiesen, nicht um Mitleid ob der unlauteren Vorgangsweise der Verleumdungskampagne zu erheischen, sondern vielmehr um die Frage aufzuwerfen: Wie schwach müssen die inhaltlichen Argumente der Verleumder sein, wenn sie die sachliche Diskussion scheuen, und wie glaubwürdig sind sie in ihrem antifaschistischen Anspruch, wenn sie sich Methoden bedienen müssen, die Österreich aus seiner austro- und nazifaschistischen Vergangenheit kennt?
Wir haben viele Jahre lang rein politisch auf die ungerechtfertigten Vorwürfe reagiert. Wir haben, wie erwähnt, den Dialog gesucht und die Kampagnenführer immer wieder zur Diskussion eingeladen. Auf Argumente wurde immer nur mit hasserfüllten Verleumdungen reagiert. Mit der Aussage von Bailer-Galanda ist allerdings ein Punkt erreicht, an dem wir uns rechtliche Schritte vorbehalten, sollte es nicht umgehend zu einer Rücknahme dieser Aussage und einer Distanzierung von den Vorwürfen kommen.
Antiimperialistische Koordination (AIK)
Mai 2008
Unter diesem Link bieten wir eine kommentierte Dokumentation unserer Aktivitäten und Positionierungen, die unmissverständlich zeigen, dass wir weder antisemitisch sind, noch Sympathie mit dem Holocaust hegen.