Erklärung von Initiativ e.V., 27. Mai 2008
Die Auseinandersetzungen im Libanon der letzten Wochen haben zum fast völligen Zerfall des unter Protektorat der USA und Israels stehenden regierenden Blocks unter Siniora geführt. Damit wurde dem Bestreben, die Hizb-Allah als stärkste antiimperialistische Kraft im Libanon auszuschalten, einen Bärendienst erwiesen.
Die Auseinandersetzungen am 07.05.08 (die Hizb-Allah unterstützte den Generalstreik gegen die Wirtschaftspolitik der Sinora-Regierung für eine allgemeine Lohnanhebung im Libanon) waren der Anlass für das verfassungswidrige Siniora-Regime, mit der Entwaffnung der Hizb-Allah zu beginnen und den Libanon so ganz den amerikanischen Vorstellungen unterzuordnen. Den Hintergrund bildet das nach dem gescheiterten Angriffskrieg 2006 erweiterte Mandat der UNIFIL (Interimstruppe der Vereinten Nationen in Libanon), das mit der Resolution 1701 den „Waffenschmuggel“ der Hizb-Allah eindämmen soll.
Auf einer Kabinettssitzung am 06.05.08 wurde beschlossen, das Telekommunikationsnetz der Hizb-Allah für illegal zu erklären und abzuschalten. Zum anderen sollte der Sicherheitschef Brig. Gen. Wafiq Shuqeir des internationalen Flughafens von Beirut abgesetzt werden. Er weigerte sich, den Forderungen amerikanischer und israelischer Geheimdienste nach Übermittlung von Passagierdaten nachzukommen. Mit der politischen Rückendeckung aus dem Westen sowie der amerikanischen und europäischen Truppenpräsenz – infolge des Waffenstillstandsabkommens nach dem israelischen Angriffskrieg 2006 – schien der regierende Block zu der Überzeugung gekommen zu sein, die patriotische Opposition unter Führung der Hizb-Allah würde die offene Konfrontation nicht wagen.
Doch der Generalstreik, der wiederholt von den mit der Regierung verbundenen Falangisten angegriffen wurde, schlug um in eine Front zur Verteidigung der libanesischen Souveränität und beantwortete die offene Kriegserklärung gegen die patriotische Opposition mit der Abriegelung des Flughafens und aller wichtigen Verbindungsstraßen in und nach Beirut, der Besetzung des TV-Senders „Future TV“ und des Zeitungsgebäudes der „Al-Mustaqbal“. Beides sind Organe des regierenden Blocks und im Besitz des Milliardärs Hariri, der als eigentlicher Führungskopf der von den USA und Europa gestützten Regierung gilt. Während die libanesischen Streitkräfte in die Auseinandersetzung nicht eingriffen, brachte Sinora eine aus Sicherheitsfirmen aufgestellte „Miliz“ und die christlichen Falangisten (1) in Stellung. Diesen meist unter dem Vorwand des Objektschutzes nach Beirut gebrachten jungen Männern wurde dort befohlen, die Einheiten der Hizb-Allah anzugreifen. In einer kurzen militärischen Auseinandersetzung am 08.05 und 09.05.08 in Beirut besetzten die Einheiten der Hizb-Allah West-Beirut. Nachdem offensichtlich wurde, dass der Siniora-Regierung die Kontrolle über die Ereignisse zu entgleiten begann, versuchte diese durch einen Kompromiss zu retten was zu retten war. Siniora machte die Rücknahme des Beschlusses zur Abschaltung des Telekommunikationsnetzes von der Auflösung der Sitzblockade vor dem libanesischen Parlament abhängig, die die patriotische Opposition zur Durchsetzung ihrer Forderung nach Neuwahlen seit über einem Jahr durchführt. Dieses von Nasrallah als „Erpressung“ bezeichnete Angebot wurde von der Führung der Hizb-Allah umgehend zurückgewiesen. Nach wie vor forderte sie die bedingungslose Rücknahme der Beschlüsse vom 06.05.08. Vor dem Hintergrund der Besetzung Westbeiruts und der militärischen Niederlage der Siniora-Kräfte verlagerten sich die Auseinandersetzungen in den Norden des Libanon. Dort ging die Drusen-Miliz als Teil des proamerikanischen Blocks gegen Hizb-Allah Anhänger vor, wobei 4 Menschen verschleppt, gefoltert und anschließend getötet wurden. Auch hier ging die Hizb-Allah, nun aber unterstützt von Amal und baathistischen Milizeinheiten, gegen die Hochburgen Dschumblatts (2) vor und besetzte alle wichtigen Stellungen um den Mount Libnon. Die Drusen wurden anschließend von der Hizb-Allah und der libanesischen Armee entwaffnet.
Um die Kämpfe zu beenden und den Weg für eine politische Lösung durch die Arabische Liga zu eröffnen, setzte das Oberkommando der libanesischen Armee die Dekrete vom 06.05.08 außer Kraft.
Die libanesische Opposition um die Hizb-Allah, Amal sowie die „Freie Patriotische Bewegung“ (CPL) des christlichen Generals Aoun gehen aus den jüngsten Auseinandersetzungen gestärkt hervor. In dem Abkommen von Doha, das auf Vermittlung der Arabischen Liga am 21.05.08 zustande kam, wurden alle wesentlichen Forderungen der Opposition nach einer demokratischen Reform im Libanon erfüllt. Vereinbart wurde eine Wahlrechtsreform und die stärkere Beteiligung der Opposition an der Regierung. Auch wenn dies noch kein Durchbruch ist im Bestreben, das 1926 von Frankreich installierte konfessionelle System abzuschaffen, wie es von der Hizb-Allah gefordert wird, so ist doch der gestiegene Einfluss auf die jetzige Regierung ein wichtiger Schritt, um den amerikanisch-europäischen Einfluss zurück zu drängen. Auch die Wiedereinsetzung des Sicherheitschefs am Beiruter Flughafen stärkt die nationalen Kräfte innerhalb der Armee.
Für die USA und Israel ist die Einigung ein herber Rückschlag in ihrem Bestreben, den Libanon unter ihre Kontrolle zu bekommen und die Hizb-Allah auszuschalten. In den USA hatte man offensichtlich gehofft, die Situation zu nutzen, um Israel erneut dazu animieren zu können, auf Seiten des Hariri-Dschumblatt-Siniora-Blocks in die Kämpfe einzugreifen. Ein entsprechender amerikanischer „Befehl“ wurde von der israelischen Armee brüsk zurückgewiesen. Ein solcher Schritt wäre nach dem Desaster von 2006 innenpolitisch schwerlich zu vermitteln gewesen, vor allem angesichts des Risikos eines offenen Ausgangs für die israelische Armee.
Hierzulande herrschte während der Ereignisse im Libanon die übliche antiislamische Desinformationskampagne. Zum einen wurden sie in den deutschen Medien als Teil eines syrisch-iranisch gesteuerten Angriffs auf die libanesische Regierung oder als der Beginn eines konfessionellen Bürgerkrieges gewertet, in dem die schiitische Hizb-Allah gegen den sunnitischen Bevölkerungsteil vorgeht. An einer aufklärenden Berichterstattung in Deutschland scheint wenig Interesse zu bestehen. Wäre es anders, so würde man in der Bundesregierung in arge Bedrängnis kommen, zu erklären, warum eine auf demokratische Reformen drängende Bewegung wie die Hizb-Allah, deren sozial-politisches Programm ein Bündnis anführt, das von der christlichen „Freien Patriotischen Bewegung“ (CPL), den Drusen unter Führung Talal Arslan und selbst der libanesischen KP getragen wird, weiterhin als „terroristische Organisation“ eingestuft wird. Auch würde es die deutsche Beteiligung an der amerikanisch-europäischen Kanonenboot-Diplomatie vor der libanesischen Küste und im Süden des Libanons entlarven, die bis heute mit deutschen Marine-Einheiten den amerikanischen Einfluss abzusichern hilft. Hintergrund bildet auch hier eine UN-Resolution, hinter welcher sich das Ziel verbirgt, den gescheiterten Angriffskrieg Israels gegen den Libanon 2006 nun im Kostüm der UNO umzusetzen und die Hizb-Allah zu entwaffnen.
Die deutsche Bundesregierung scheint wie in Afghanistan mit der Beteiligung an der Aushöhlung der libanesischen Souveränität und allgemein in der Beteiligung an der militärischen Absicherung der Pax Americana das beste Mittel zu sehen, um die eigenen Interessen zu sichern. Damit hölt sie zunehmend das Grundgesetz und das Völkerrecht, in dessen Rahmen sie zu handeln verpflichtet ist und das sie zu schützen geschworen hat, aus. Sie hofft bei militärischer Beteiligung an den amerikanischen Abenteuern ein entsprechend großes Stück von der Beute der unterworfenen Länder abzubekommen.
Der Artikel 26 des deutschen Grundgesetzes (3), welcher die Vorbereitung sowie jegliche Beteiligung an einem Angriffskrieg und damit selbstverständlich jede Mittäterschaft Deutschlands an einem solchen unter Strafe stellt, hat weder die rot-grüne Kriegsverbrecherregierung 1999 nach dem Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien vor Gericht gebracht, noch wird er die aktuelle Bundesregierung dazu veranlassen, ihre verbrecherische Komplizenschaft im Antiterrorkrieg der USA zu beenden.
Die Hizb-Allah war und ist im Libanon die entscheidene Kraft, die politisch und militärisch gewillt ist, die libanesische Nation vor den Angriffen der israelischen Armee zu schützen und die libanesische Souveränität zu verteidigen. Das sie dies auf eine breite politische Basis zu stützen gewillt ist, beweist ihre Forderung nach Neuwahlen und nach einer Überwindung des anachronistischen Wahlsystems, das Stimmen nicht nach demokratischen Willensbekundungen seiner Bürger verteilt, sondern nach religiösen Konfessionen.
Initiativ e.V., 27.05.08
(1) Die Falangisten (Kata’ib) haben im libanesischen Bürgerkrieg (1975-1990) auf Seite der israelischen Invasoren gegen die arabische nationale Befreiungsbewegung gekämpft. Diese unter Führung Pierre Gemayel 1936 gegründete politische Formation, deren Vorbild die spanischen Faschisten waren, führte mit Hilfe der israelischen Invasoren 1982 Massaker in den palänensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila durch.
(2) W. Dschumblatt ist Führer der Sozialistischen Fortschrittspartei des Libanon, die dem pro-westlichen Lager angehört.
(3) Änderung des Strafgesetzbuches: Das Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998 (BGBl. I S. 3322), zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. April 2007 (BGBl. I S. 513) mit Wirkung vom 18. April 2007, wird wie folgt geändert: …§ 80 wird wie folgt gefasst: „…§ 80 Vorbereitung eines Angriffskrieges: Wer einen Angriffskrieg oder die Beteiligung an einem Angriffskrieg (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) vorbereitet, auslöst oder durchführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.“