Site-Logo
Site Navigation

„Ein Vorwand um zu verteufeln“

3. Juni 2008

Die Kampagne Gaza muss leben war immer wieder Diffamierungen vonseiten des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes ausgesetzt. Im Zentrum stand dabei die Frage des Antisemitismus und seinem Verhältnis zur Kritik an Israel. Peter Melvyn, Mitglied von den Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost und Teil des Personenkomitees Gaza muss leben, nimmt in diesem Brief an das DÖW Stellung zu den Vorwürfen.

Sehr geehrte Frau Dr. Bailer-Galanda !

Als langjähriges Mitglied des DÖW – und kürzlich des Personenkomitees der Aktion Gaza muss leben – war ich erstaunt, dass das DÖW als eines der Intervenierenden gegen diese humanitäre Aktion genannt wurde. Sie erklärten zwar, dass dies nicht das DÖW war, sondern einige Mitarbeiter, doch in diesem Falle dürften sie nicht im Namen des DÖW intervenieren, sondern als Einzelpersonen. Ich lese in den DÖW Mitteilungen April 2008, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus zu einem der zentralen Aufgabenbereiche des DÖW gehört. Ich verstehe nicht ganz, wie dieser Bereich mit der ursprünglichen Aufgabe des DÖW (S. 4 der Mitteilungen) den „Widerstand der ÖsterreicherInnen zu erforschen“ in Einklang zu bringen und dem DÖW zugeordnet ist.

Nun ist es mal so. Die wissenschaftliche Aufarbeitung des Antisemitismus ist natürlich von Nutzen, da dies ein unerschöpfliches Thema ist. Andrerseits finde ich den heutigen Antisemitismus in Europa im Vergleich zur Zwischenkriegszeit und zur herrschenden Islamophobie ein ziemlich marginales Phänomen. Im DÖW ist aber daraus eine Aktion entstanden, die vom Antisemitismus besessen zu sein scheint: Mitarbeiter des DÖW gehen mit Beschuldigungen des Antisemitismus allzu leichtfertig um. Die leiseste Kritik an der Politik Israels gegenüber den Palästinensern wird nämlich von diesem Teil des DÖW sofort als „antisemitisch“ angeprangert und als eine Infragestellung des Existenzrechts Israels gedeutet. Kritik an den USA aufgrund des Krieges im Irak oder früher in Vietnam oder an der Unterdrückung des Widerstands der Tschetschenen oder der Tibeter bedeutet ja nicht, dass damit das Existenzrecht der USA, Russlands oder Chinas bezweifelt wird. Oder das Frankreichs im Algerienkrieg? Man könnte eigentlich annehmen, dass eine Institution, die sich mit dem österreichischen Widerstand befasst, Sympathien hätte für den Widerstand den andere Völker gegen Besatzung und Unterdrückung leisten oder leisteten – warum nicht für den des palästinensischen Volkes? Jedes Volk hat, gemäss einer Resolution der Vereinten Nationen, das Recht auf Widerstand, auch mit Waffen, gegen eine Besatzung seines Landes. Warum gibt es daher diese einseitige Parteinahme für die Besatzungspolitik Israels seitens von Mitarbeitern des DÖW?

In den DÖW Mitteilungen wird auf Seite vier „Antizionismus“ mit „Antisemitismus“ gleichgesetzt. Es scheint unlogisch den Begriff „Zionismus“ heute noch zu verwenden, denn sein Ziel, die Schaffung eines Staates für Juden, ist seit 1948 verwirklicht. Das „anti“ bezieht sich auf seine Nachfolger, die Regierungen des Staates Israel und ihrer Politik. Warum soll dieser Staat, der in seinem Hinterhof ein Volk von 3,5 Millionen besetzt hält, nicht dafür kritisiert werden können? Der Aktion Gaza muss leben wird „Hamasnähe“ vorgeworfen. Doch geht es dabei um eine humanitäre Aktion und um einen Protest gegen die kollektive Bestrafung von Gazas Bevölkerung, die auch von der Kommissarin Ferrero-Waldner verurteilt wurde und nicht um eine Unterstützung der Hamas. Es gibt seitens der Aktion Gaza muss leben keine Stellungnahme zu dem innerpalästinensischen Konflikt. Persönlich empfinde ich es als Heuchelei, wenn jeglicher Kontakt mit der demokratisch gewählten Hamas – ob das Resultat der Wahlen einem passt oder nicht – verurteilt wird, wo doch gleichzeitig Verhandlungen mit ägyptischer Vermittlung, laut der israelischen Zeitung Haaretz, stattfinden, und, gemäss einer Erhebung, 64 Prozent der Israelis sowie die Meretz-Partei und einige ehemalige Geheimdienst- und Armeechefs Verhandlungen mit der Hamas fordern.

Die Angriffe auf unsere Aktion seitens des DÖW und der Israelitischen Kultusgemeinde richten sich vor allem gegen die AIK. Die AIK ist keine Mitveranstalterin der Aktion – es ist ein Personenkomitee – obwohl unter den Unterstützern der Aktion sich auch AIK-Mitglieder befinden. Die AIK mag, wie Sie sagen, „ultralinks“ sein – ich weiss nicht was Ihre Kriterien dafür sind und übrigens kann dies ja in einem demokratischen Staat durchaus zum politischen Spektrum gehören. Das heisst aber noch lange nicht, dass die AIK deswegen „antisemitisch“ ist, auch wenn dies hundertmal von der www.juedische.at ausposaunt wird. Ausser man stellt jegliche Kritik an der Politik Israels ins antisemitische Eck, wie es DÖW Mitarbeiter tun … Es scheint mir als wäre der Fokus auf die AIK nur ein Vorwand, um von der Verantwortung Israels für die Lage in Gaza abzulenken und Andersdenkende zu verteufeln.

Mit freundlichen Grüssen,

Mmag. Peter Melvyn,
Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost (European Jews for a Just Peace, Österreich)
www.nahostfriede.at

Thema
Archiv