Die Verhaftungswelle gegen Tierrechtsaktivisten in Österreich zeigt das gefährliche Potenzial, das in dem …§ 278a steckt. Mit diesem juristischen Instrument steht politischer Aktivismus immer unter dem Verdacht einer kriminellen Organisation. Dabei zeigen sich deutliche Parallelen zu …§ 278b, der terroristischen Verinigung.
Am 21.5. stürmten Sonderkommandos der Polizei 23 Wohnungen, Büros und Häuser in Wien, Niederösterreich, der Steiermark, Salzburg und Tirol, deren Inhaber in Verbindung mit der Tierschutzszene stehen. Im Zuge dieser Hausdurchsuchungen wurden 10 Personen festgenommen und über sie die Untersuchungshaft verhängt.
Das Vorgehen der Polizei war dabei ein äußerst brutales, von gerammten Türen bis zu Schusswaffen im Anschlag. Die Hausdurchsuchungen galten dabei auch Organisationen, wie die „VGÖ – Vegane Gesellschaft Österreichs“, die sich völlig apolitisch verhalten und deren einzige Tätigkeit im Verbreiten von Infos besteht, wo vegane Kost zu beziehen ist.
Am darauffolgenden Tag streuten die zuständige Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt und das Landespolizeikommando NÖ die Information, dass die Festgenommenen im Zusammenhang schwerster Straftaten verhaftet worden wären und nannten „Brandstiftung“ und „Gasanschläge“. Vorwürfe, wie sich weiter zeigen wird, die zwischenzeitlich zurückgezogen werden mussten, aber selbstverständlich ihre Wirkung medial entfalteten. Einige der Betroffenen befinden sich in Hungerstreik und eine rasche Entlassung aus der Untersuchungshaft scheint unwahrscheinlich.
Verhaftet wurden die 10 Betroffenen aufgrund des Paragraphen 278a. Die Absätze b und c dieses Paragraphen definieren Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Der Paragraph 278a wurde bereits 1993 erlassen und stellt die Bildung und Teilnahme an einer kriminellen Organisationunter Strafe.
Die Gefahr des Paragraphen zeigt sich aber in den Ziffern 2 und 3. Auszug Ziffer 2 „… Streben nach erheblichem Einfluss auf Politik und Wirtschaft“. Ziffer 3 erklärt als strafbar „… Abschirmung gegen Strafverfolgungsmaßnahmen…“, wobei die Judikatur seither „Gründung von Scheinfirmen“, „häufigen Wechsel von Wertkartenhandys“ oder die „Verwendung von Codes bei der internen Kommunikation“ dazu zählt. Dass diese Bestimmungen nicht nur grotesk, sondern brandgefährlich sind, zeigt sich jetzt! Welchen Zweck sollte jegliche politische Arbeit verfolgen, als „erheblichen Einfluss auf Politik und Wirtschaft“ zu erlangen?
Die Informationen, die seit der Verhaftung der 10 Betroffenen in kleinen Randnotizen an die Öffentlichkeit gelangten, sprechen eine deutliche Sprache: Die Tageszeitung „DER STANDARD“ sprach davon, dass von Seiten der Pelz- und Kürschnerindustrie bzw. des Handels massiv Druck auf die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ausgeübt wurde, gegen die TierschutzaktivistInnenszene vorzugehen, da sich deren politische Arbeit geschäftsschädigend auswirke.
Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beruft sich auf eine Notwendigkeit zum Handeln, da „die Straftaten von 2005 auf 2006 stark angestiegen seien“. Es handelt sich hier um einen Anstieg von 24 auf über 40. Nein, nicht Straftaten. Anzeigen!
Und diese Anzeigen beziehen sich in der großen Mehrheit auf derart kapitale Delikte, wie Verkleben von Autoschlössern von Repräsentanten, Beschädigung von Pelzen (Buttersäureanschlägen), Demonstrationen auf der Straße vor Wohnhäusern von Tierfabriksrepräsentanten und dem schnellen Betreten von Firmenbüros und Verteilen von Flugzetteln.
Welche zutiefst gefährliche Groteske diese Rechtsanwendung in Österreich bewirken kann, von Strafrechtstatbeständen, die der Bevölkerung unter ganz anderem Vorzeichen verkauft wurden, zeigt der Vorwurf der Demonstrationen vor Wohnhäusern. Diese wurden unter dem Titel von „Beharrlicher Verfolgung (Stalking)“ angezeigt.
Leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir die massive Auswirkung auf jeglichen politischen Aktivismus dieses Paragraphen bereits 1993 unterschätzten! Wenn die Medien (korrekt) berichteten, dass den 10 Verhafteten keine einzige Straftat nachgewiesen werden kann, führt das leider aufgrund der Gesetzeslage nicht zu deren Entlastung. Gelingt der Anklagebehörde der Nachweis, dass eine kriminelle Organisation vorliegt, ist alleine die Teilnahme an der Vorbereitung dieser bereits strafbar.
D.h. es geht nicht um Individuen zurechenbare Straftaten, seien es mutmaßlich begangene oder mutmaßlich geplante, sondern um politische Intention, die in Form von Zusammenschlüssen zum Ausdruck kommt. Mit dem …§ 278a kehrte das Meinungsdelikt zurück.
Wie sehr hier, in Fortschreibung des „Islamistenprozesses“ gegen Mohammed M. und Mona S. vergangenen Herbst, staatliche Organe Gesetze nach Gutdünken auslegen, um vor jeder außerparlamentarischer politischer Arbeit abzuschrecken und wie sehr leider dieser Richtung bereits in den Gesetzen angelegt ist, zeigt der Umstand, dass die entstandene Judikatur auf Basis der …§…§ 278 und 278a zwischen krimineller Vereinigung und krimineller Organisationen unterscheidet. Eine kriminelle Vereinigung setzt mindestens drei Mitglieder voraus, wohingegen die Rechtssprechung von einer kriminellen Organisation ab zehn Personen spricht. Letztere ist mit einem höheren Strafmaß bedroht.
Welch Schelm würde sich etwas dabei denken, dass jetzt haargenau 10 Personen verhaftet wurden?!
Als außerparlamentarische Zusammenarbeit politischer AktivistInnen, als die wir uns verstehen, kann es darauf nur zwei Antworten geben: Erstens gilt unsere volle Solidarität den Betroffenen und zweitens muss der Kampf mit allen politischen Mitteln zur Beseitigung dieses Unrechtsparagraphen und Paragraphen des Vernichtungsversuchs jedes verbliebenen kleinen Rests von Demokratie aufgenommen werden!
von R. Loidl, Juni 2008