Wieder einmal hat ein Referendum die Europäische Union in eine tiefe Krise gestürzt. Die wesentliche Ursache, die in dieser Ablehnung zum Ausdruck kommt, ist der tiefe Spalt zwischen der Bevölkerung und den politischen Eliten. Diese werden in zunehmendeen Maße unfähiger, für ihre politischen Projekte Mehrheiten zu schaffen. Eine Erklärung der AIK zum Ausgang des Referendums in Irland.
Die irischen Wahlberechtigten haben mit relativ deutlicher Mehrheit den Lissabon-Vertrag abgelehnt und die EU in eine erneute Krise gestürzt. Irische Bauern und Arbeiter (die besseren Viertel in Dublin haben mit „Ja“ gestimmt) haben die Aufrufe von Gewerkschaften und Bauernverbänden ignoriert, sich praktisch dem gesamten Establishment widersetzt und einen Vertrag abgelehnt, der Aufrüstung und liberale Marktwirtschaft de facto in Verfassungsrang heben wollte.
Das zentrale Motiv für die irische Ablehnung war keineswegs ein antieuropäisches, kein chauvinistisch-nationalistisches. Katholische Abtreibungsgegner oder ultraliberale Unternehmer (die um das Fortbestehen des irischen Steuerdumpings gefürchtet haben), waren keine ausschlaggebende Gründe für die Ablehnung. Den irischen Nein-Wählern geht es zentral um den Erhalt ihrer nationalen Souveränität gegenüber einem bürokratischen Apparat, tatsächlich um die Verteidigung der Demokratie. Wenn Voggenhuber oder Swoboda behaupten, die EU schütze uns vor der Globalisierung, dann mögen sie das vielleicht selbst glauben. Für alle Anderen ist es aber offensichtlich, dass die EU das entscheidende Instrument der Globalisierung, der neoliberalen Durchdringung darstellt. Irland hat nicht „Europa“ abgelehnt, sondern die Maastricht-EU mit ihren Großmachtsträumen, ihren Konzernen und Generälen. Einmal ganz abgesehen davon, dass die EU nicht „Europa“ ist – ohne Russland und die Türkei läuft jede Europa-Idee auf einen Klub westlicher Großmächte und deren Entourage hinaus.
Die große Bedeutung des Nein-Votums liegt nicht in der Ablehnung des Vertrages an sich. Man kann den Eurokraten durchaus glauben, wenn sie sagen, dass der Hauptinhalt des Vertrages ein einfacheres Funktionieren der EU-Institutionen ist und relativ wenig an entscheidenden Dingen ändert. Die zentrale Bedeutung liegt – wie nach den Referenden in Frankreich und den Niederlanden 2005 – in der gewaltigen Kluft, die sich zwischen den politischen Eliten und dem Rest der Gesellschaft aufgetan hat. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Instrument des Referendums ursprünglich zur Kontrolle der Massen und zum Ausschalten von politischen Minderheiten gedacht war. Und heute sind die versammelten politischen Eliten nicht mehr in der Lage ihre entscheidenden politischen Projekte mehrheitsfähig zu halten. Es wird behauptet, die Iren hätten den Vertrag gar nicht gekannt, den sie abgelehnt haben. Kann sein, die meisten der Ja-Stimmen werden sich wohl auch nicht durch mehrere Hundert Seiten juristischen Kauderwelsch gequält haben. Kann sein, ändert nichts, ganz im Gegenteil: es geht nicht um einzelne Punkte, einzelne Absätze, oder Formulierungen. Das „Nein“ ist keine konstruktive Opposition. „Nein“ heißt, dass den Eliten (die praktisch geschlossen für die Annahme plädiert haben) nicht mehr vertraut wird. Wir halten das Misstrauen für berechtigt.
Antiimperialistische Koordination, 16. Juni 2008