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Schreckgespenst EU-Kritik

2. Juli 2008

Erklärung der Antiimperialistischen Koordination (AIK) zum „Schwenk“ der SPÖ in der Volksabstimmungsfrage

Die Proteste von zehntausenden Menschen gegen die Ratifizierung des EU-Reformvertrages durch das österreichische Parlament im April haben nun eine unerwartete Nachwirkung gefunden. Die in Meinungsumfragen im freien Fall befindliche SPÖ hat in einem Brief des neuen Führungs-Duos Gusenbauer/Feymann an die Kronen Zeitung mitgeteilt, „dass zukünftige Vertragsänderungen, die die österreichischen Interessen berühren, durch eine Volksabstimmung in Österreich entschieden werden sollen.“ Der Hintergedanke der SPÖ-Spitze dabei braucht nicht tiefer analysiert zu werden: Angesichts der unsicheren Zukunft der Koalitionsregierung und der Erosion von enttäuschten Wählerschichten in Richtung FPÖ hofft man, mit diesem Schwenk Sympathiepunkte bei jenen 80 % der österreichischen Bevölkerung zu bekommen, die sich in Umfragen für eine Volksabstimmung zum EU-Vertrag ausgesprochen haben. Auch innerparteilich konnte man damit offensichtlich – mit Ausnahme der eingeschworenen liberalen Eliten im SP-Klientel von Franz Vranitzky über die SP-nahen Künstler bis hin zu den EU-Parlamentariern – Konsens erzielen. Zumindest propagandistisch kam die neoliberale SP-Regierungsspitze der Unzufriedenheit der Basis mit der sozialdemokratischen Verwaltung des ÖVP Programms einen Schritt entgegen.

Dass die Sozialdemokratie damit nicht zur EU-Kritik oder gar Gegnerschaft gewechselt ist und auch nicht gedenkt, praktische Schritte zu setzen, um ihre demokratiepolitische Vergewaltigung der Souveränität durch die strikte Weigerung eine Volksabstimmung durchzuführen, als diese im April von der Bevölkerung lautstark gefordert wurde, wieder gutzumachen, braucht wohl auch nicht näher erläutert zu werden. Hatte Gusenbauer doch in einer ersten Reaktion auf das irische Nein zum Reformvertrag eine möglich zweite Abstimmung der Iren zur Diskussion gestellt, nach dem Motto, nur ein den Herrschenden genehmes Volksabstimmungs-Resultat ist ein gutes und akzeptables Resultat.

Wesentlich interessanter als der sozialdemokratische Versuch, den Anschluss an die „Kernwählerschichten“ aus der arbeitenden Bevölkerung nicht zu verlieren, ist die Reaktion des liberalen Establishments. Ein Flut der Empörung über den „SP-Populismus“, die „Anbiederung an Krone-Leser und FPÖ-Wähler“ ging durch die Medien. Der Koalitionspartner ÖVP versammelt den Koalitionsausschuss und fordert das Eingreifen von oben durch den Bundespräsidenten. Selbst die Erwähnung des sozialen und demokratiepolitischen Unmutes der Bevölkerungsmehrheit mit der EU und die Einforderung eines nationalstaatlichen demokratischen Legitimationsinstrumentes für weit reichende europäische Entscheidungen (wobei die Verfassung/Reformvertrag ohnedies eher ein symbolischer Akt der Sanktionierung einer ständigen EU-Realpolitik des Sozial- und Demokratieabbaus und der Militarisierung ist) stellt ein Meinungstabu dar, das in die Nähe des totalitären Populismus gerückt wird.

Der „objektive Hintergrund“ der SPÖ-Proklamation liegt ohne Zweifel in der Unzufriedenheit wachsender Teile der Bevölkerung mit den sozialen Zuständen in Österreich und der Arroganz einer politischen Elite, für die die imperialistische Geopolitik (Tschad, Afghanistan) und die Konzerninteressen, die über die EU durchgesetzt werden, längst zum wahren Souverän geworden ist. Dass dieser Unmut in der SPÖ-Spitze keinen Vertreter hat, sondern nur einen demagogischen Nutznießer, tut seiner Legitimität genauso wenig Abbruch wie der soziachauvinistische Anti-EU-Kurs der Strache-FPÖ. (Dass auch diese für eine Machtbeteiligung ihre sicher überzeugtere und die Wähler überzeugendere rechtspopulistischen EU-Kritik zugunsten des herrschenden neoliberalen Konsens aufzugeben bereit ist, hat schon Jörg Haider 2000 vorgemacht.)

Die Demonstrationen für eine Volksabstimmung und gegen den EU-Reformvertrag, seit langem wieder eine soziale Bewegung in Österreich, die auch Teile der Unterschichten in den aktiven Protest mit einbezogen hatte, hatten ein antagonistisches Potential in sich, eine Dynamik, die eine institutionelle Einbindung und pragmatische Mäßigung erschweren. Der liberale Aufschrei angesichts des SPÖ-Schwenks unterstreicht nur noch einmal den Schrecken, den eine über die EU-Frage artikulierte soziale Protestbewegung dem neoliberalen Establishment einflösst. Unabhängig vom Erfolg oder Misserfolg der SPÖ, mit ihrem „Schwenk“ Wähler zurückzugewinnen, und unabhängig von Straches chauvinistischer Kanalisierung der EU-Ablehnung; ihr systemkritisches Moment gegen die Auslieferung der Gesellschaft an die asoziale Europäische Konzerngemeinschaft durch die politischen Spitzen des Landes schreit nach einem kompromisslosen antikapitalistischen Projekt gegen die herrschenden Zustände. Einem Bündnis, das den sozialen und politischen Interessen aller Unterschichten in Österreich verpflichtet ist und dem ein tiefgreifender Bruch mit dem System der Globalisierung mehr bedeutet als Aufstieg und Teilnahme am elitären Zirkel der politischen Verwalter des euro-amerikanischen Konsens.

29. Juni 2008

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