Zum Prozess gegen 27 Bürger- und
Menschenrechtsaktivisten, die in verschiedenen Gruppen der
Dachorganisation Gestoras Pro
Amnistàa-Askatasuna (Bewegung Pro-Amnestie – Freiheit)
aktiv waren und sind. Die Verhandlung ist mittlerweile abgeschlossen, der
Staatsanwalt hat für 21 Angeklagte zehn Jahre Haft gefordert, für weitere drei
der Angeklagten 13 Jahre, gegen drei Personen wurde die Anklage fallen gelassen.
Der Prozess fand vor dem umstrittenen spanischen Sondergerichtshof Audiencia
National statt. Im Herbst 2008 wird das Urteil verkündet.
Einer der 21 Angeklagten, die nach der Urteilsverkündung im
Herbst mit bis zu zehn Jahren Haft rechnen müssen, ist Julen Arzuaga, ein
erfahrener baskischer Menschenrechtsaktivist, Rechtsanwalt und Koordinator der
Menschenrechtsgruppe Behatokia. Im folgenden ein Interview mit ihm.
Interview mit Julen Arzuaga, Rechtsanwalt und einer der 27 Angeklagten im Prozess 33/01
von Alvar Chalmeta, Redaktion der Zeitung Diagonal, 14. Mai 2008
Übersetzung: Uschi Grandel, http://www.info-nordirland.de/, 10. Juli 2008 (Erläuterungen in Klammern)
DIAGONAL: Was sind die Anklagepunkte? Sind alle ähnlich?
JULEN ARZUAGA : Die Anklage steht im Zusammenhang mit politischem Dissent und lautet in den meisten Fällen auf Zugehörigkeit (zu ETA). Das hat einen einfachen Grund. (Der Ermittlungsrichter am spanischen Sondergerichtshof Audiencia National) Garzà³n hatte ursprünglich vor zu differenzieren. Er wollte einzelnen Personen Delikte wie Kollaboration und Zugehörigkeit je nach unterschiedlichen Verantwortlichkeiten in den Organisationen, in denen die Betreffenden aktiv waren, zuordnen. Er stellte aber schnell fest, dass eine Anklage wegen des Verbrechens der Kollaboration eine individuelle Schuldzuweisung erfordert. Es ist zu klären, welcher Art die Kollaboration war – einem Mitglied der ETA ein Auto zur Verfügung stellen, oder eine Summe Geld geben. Nachdem er herausgefunden hatte, dass es solche Aktivitäten nicht gab, änderte er seine Anklage auf Zugehörigkeit, ein wesentlich schwammigerer Straftyp. Folgt man den rechtlichen Auslegungen der letzten Zeit, ist eine Zugehörigkeit zu den Strukturen einer bewaffneten Organisation – auf wundersame Art – gegeben durch eine diffuse, unkonkrete Struktur, die sich erweitert oder reduziert, und schliesslich gibt es Zugehörigkeit auch ohne sie in irgendeiner Art und Weise auszuüben, eingeschlossen die unwissentliche Zugehörigkeit, die ausschliesslich durch eine ideologische Nähe der betreffenden Personen abgeleitet wird. Deswegen lautet die Beschuldigung „Zugehörigkeit (zu ETA)“. Alle Anklagen sind identisch mit identischem Strafmass.
(Im Juni 2008 wurde die Beweisaufnahme formal abgeschlossen, der Staatsanwalt fordert nun das identische Strafmass von 10 Jahren für 21 der 27 Angeklagten, für drei Angeklagte fordert er 13 Jahre, für drei Angeklagte liess er die Anklage fallen.)
DIAGONAL: Ist dies ein weiteres Beispiel für Ermittlungen, die auf ‚Polizeiberichten‘ basieren?
JULEN ARZUAGA : Ja, die Grundlage für die Anklage ist unsere Verbindung mit der (baskischen Bewegung) Gestoras Pro Amnistàa-Askatasuna (Bewegung Pro-Amnestie – Freiheit) und der Interpretation, dass nach ihrer Meinung die diese Bewegung bildenden Organisationen zu ETA gehören. Die Dokumente, auf die sie ihre Ermittlungen stützen, wurden bei der Durchsuchung der Büroräume von Gestoras beschlagnahmt und bei einer illegalen Durchsuchung unserer Anwaltskanzlei sichergestellt. Die Zusammenstellung der Dokumente erfolgte auf immer dieselbe Art: sie wurden von den „Polizeiexperten“ selektiv ausgewählt, übersetzt, manipuliert und reinterpretiert. Ihr Stil ist mittlerweile bekannt und besteht aus allgemeinen Anklagen wegen Aktivitäten, die ein Delikt darstellen können oder auch nicht, die eine Verdrehung unserer Worte aber so scheinen lässt. Ein Beispiel hierfür ist, zum Unterhalt politischer Gefangener beizutragen. Oder Taten, die angeblich illegal seien, aber nicht individuell zugeordnet werden. Ein Beispiel ist die Anschuldigung „das Mitgefühl (auszunutzen), das durch die angebliche Verletzung der Rechte der ETA-Gefangenen entsteht, um neue Freiwillige zu werben, die die operative Struktur der ETA erneuern“. Wer hat wann, wo und wie solche Anwerbungen versucht?
Alle Angeklagten haben in mehreren Organisationen der baskischen Bewegung Pro Amnistàa gearbeitet, in unterschiedlicher Weise. Wir alle sind – oder waren zumindest – öffentliche Sprecher, verantwortlich für verschiedene Bereiche, in verschiedenen Gebieten – 30 Jahre Aktivität und Aufklärung, 30 Jahre Unterstützung für die Opfer des Staatsterrorismus, für Folteropfer, für die Familien der Gefangenen …
DIAGONAL: Am ersten Verhandlungstag habt Ihr bekanntgegeben, dass Ihr auf eine Verteidigung verzichtet. Warum?
JULEN ARZUAGA : Es ist klar, dass wir nicht einem gewöhnlichen Prozess entgegensehen. Unsere Aktivitäten im Rahmen der Bewegung Pro Amnistàa waren öffentlich und transparent, wir haben uns nie gescheut, unsere Meinung zu sagen, eines unserer elementarsten politischen Rechte wahrzunehmen. Natürlich im Wissen, dass diese Meinung und unsere Aufklärung gewöhnlich unbequem für denjenigen ist, der sie äussert. Deshalb werden wir nicht zulassen, dass sie über die Ausübung unsere politischen Rechte urteilen. Sie werden uns verurteilen, weil sie der politischen Vorgabe der (spanischen Regierungspartei) PSOE folgen, das ist klar. Glaubt denn jemand, dass wir irgendeine Möglichkeit haben – auf rechtlichem Wege – nach all den Anstrengungen im Fall Haika-Segi oder im Verfahren 18/98 (Zwei frühere Massenprozesse gegen baskische Jugendorganisationen und soziale Bewegungen)? Erinnern wir uns an die Ergebnisse? Dieser Weg wurde bereits ausprobiert. In diesem Verfahren werden wir nur die Möglichkeiten nutzen, unsere Aktivitäten bekanntzumachen und unsere Meinung über die Unterdrückung durch den Staat und konkret die Unterdrückung durch dieses Gericht zu äussern.
DIAGONAL: Aber die Legitimität des Gerichts anzuzweifeln, wird seine Entscheidung nicht ändern …
JULEN ARZUAGA : Der Staat hat verschiedene Instrumente der Unterdrückung. Während diese historisch hauptsächlich durch Polizei und Sicherheitskräfte erfolgte, wird in der letzten Zeit deutlich, dass die repressive Rolle in erster Linie von den Gerichten im allgemeinen und der Audiencia Nacional im besonderen übernommen wurde. Die Einmischung dieses Gerichtshofs in die Politik hat einen Einfluss auf die Bürgerrechte und die politischen Rechte derjenigen, die diesem Gericht unterworfen werden. Ich glaube, dass dieses Sondergericht nichts anderes ist, als ein Hammer gegen Ketzer, ein Instrument der Repression gemäß den letzten Strategien und Erfordernissen des (spanischen) Staates. Es gibt zahllose Erklärungen, die sich gegen dieses Gericht wenden, vom Parlament in Vitoria, von internationalen Juristen, aus der baskischen Gesellschaft … die die Auflösung fordern. Wir können und wollen nicht noch ein weiteres Mal durch diese Mühle – auch wenn wir die ersten sind, die ein neues Vorgehen ausprobieren. Wir wollen unsere Ablehnung (des Gerichts) durch unsere Haltung unterstreichen, wir werden uns nicht im klassischen Sinn juristisch verteidigen, wir werden uns weigern, auszusagen, Beweise zu diskutieren, Gutachten vorzulegen, in Summe uns an einer gerichtlichen Farce beteiligen, die diesem Gericht eine Art demokratische Glaubwürdigkeit verleiht. Deshalb haben wir unsere Beweismittel zur Verteidigung von 218 auf 14 reduziert.
Die ideologische und politische Schlacht in diesem Gericht ist nicht die Legalität der Bewegung Pro Amnistàa, sondern die Illegalität der Repression. Wir haben einen weiteren Schritt in Richtung der Delegitimation dieses Gerichtshofs gemacht. Wir werden sehen, wie wir die Ablehnung artikulieren, welche Kräfte wir damit innerhalb und ausserhalb der Audiencia Nacional bündeln, um deren repressive Aktionen zum ersten Mal zu beenden. Zu diesem Zweck wollen wir uns mit all denen zusammenfinden, die auch der Meinung sind, dass dieser Sondergerichtshof, weit davon entfernt, Recht zu sprechen, politische Racheakte ausführt.