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Linkes Bündnis beschließt Wahlantritt

25. Juli 2008

Am 19. Juli fand im Wiener Amerlinghaus ein bundesweites Treffen des
kürzlich gegründeten Linksprojektes statt. Die zentrale Frage dieses
Bündnisses verschiedener Organisationen der außerparlamentarischen
Linken und von Aktivisten sozialer Bewegungen war die Frage des
Wahlantritts bei den Nationalratswahlen im September. Nach einer
mehrstündigen Debatte entschieden sich die etwa 100 Teilnehmer des
Treffens für einen Antritt unter dem Listennamen LINKE.


Wahlantritt: Eine richtige Entscheidung

Von einem gesamtpolitischen Gesichtspunkt der politisch-sozialen Situation in Österreich und der derzeitigen Konjunktur nach dem Scheitern der rot-schwarzen Etappe neoliberaler Verwaltung des Landes ist dieser Schritt zweifellos positiv. Die soziale Unzufriedenheit ist angesichts der massiven Preissteigerungen angestiegen, die politische Ablehnung der großen Systemparteien hat eine neue Höhe erreicht und wird bei den September-Wahlen voraussichtlich neben der FPÖ auch Kleinparteien und -listen zugute kommen. Die politische Artikulation dieser oppositionellen Stimmung erfordert eine Wahlalternative, vor allem da die gesellschaftliche Situation derzeit keine größeren sozialen Kämpfe als Ausdruck der Unzufriedenheit erwarten lässt. Dieses Phänomen fehlenden Widerstandes trotz sozialem Abwärtstrend und einer ablehnenden Stimmung gegen die Politikerkaste ist ein charakteristischer Trend der heutigen (mittel-)europäischen Gesellschaften. Der Klassenkampf findet seinen Ausdruck nicht in der reinen Form des sozialen Kampfes organisierter Gruppen, sondern in unterentwickelteren, individualisierteren Formen. Negativ sind dies alle Arten des soziale Zerfalls aber auch des chauvinistisch-kulturkämpferischen Sozialpopulismus eines Strache, der viele SP-Wähler aus der Arbeiter- und Unterschicht anzieht. Im Positiven ist es eine verallgemeinerte, wenn auch nicht bewusste, d.h. mit einem alternativen Projekt verbundene, Ablehnung des Status Quo und des Establishments, die auch für eine intelligent positionierte linke Alternative punktuelle Möglichkeiten bietet. Eine einmalige Denkzettelwahl gegen die Großparteien, von der die LINKE profitieren kann, kann durchaus als Katalysator für den Aufbau eines alternativen Pols wirken, der den systemoppositionellen Kräften einen Ausbruch aus der gesellschaftlichen Isolation ermöglicht.

Risiken ideologischer Verkürzung

Die Problematik des Linksprojekts liegt damit weniger in seinen Aussichten, bei den Wahlen einen Achtungserfolg zu erzielen. Dieser ist ohnedies nur teilweise von den eigenen Kräften und einer geeigneten politischen Positionierungen abhängig, sondern wesentlich von einem partiellen Aufbrechen der Medienzensur gegenüber linksoppositionellen Initiativen, was in einer Konjunktur der „Kleinparteien“ diesmal ansatzweise möglich scheint, wie das bisherige Echo auf die Pressekonferenzen des Linksprojektes auch zeigt. Die Schwierigkeit ist vielmehr die zu erwartende allgemeinpolitische Positionierung des Linksprojektes aufgrund der dominierenden Kräfte aus dem trotzkistischen Bereich. Diese bringen zweifellos zwei positive Elemente in das Bündnis ein: 1.) aktivistisch jugendliche Militante, die auch das Treffen am 19. Juli zahlenmäßig dominierten und 2.) einen grundlegenden ideologischen Radikalismus, der sich von den vielfach anti-politischen Kräften des zivilgesellschaftlichen NGO-Milieu abhebt. Problematisch ist jedoch der stark ideologische Charakter der Einschätzung der politischen Stimmung in der Bevölkerung und der daraus abzuleitenden Forderungen. Dieser hat zwei Wesenselemente: 1.) die Präjudizierung eigener ideologisch-identitärer Prinzipien der linken (Mittelschicht)-Kultur. Dies führt unbewusst zu einem präventiven Ausschluss jenes überwiegenden Teils der Gesellschaft, insbesondere der Unterschichten, die natürlicherweise nicht in dieser Kultur sozialisiert wurden. Die gesellschaftlichen Widersprüche können sich nicht a priori „politisch korrekt“ im Bewusstsein der ausgeschlossenen Schichten artikulieren. Vielmehr ist es Aufgabe der Linken, die real existierenden Bruchpunkte insofern zu entwickeln, dass ihre rohe Widerspiegelung im Denken zu klarem (Klassen)bewusstsein wird. Aufgrund dieses Ansatzes ist kein Zufall, dass das Zielpublikum des Linksprojekts eher in „enttäuschten Sozialdemokraten und Grünen“ gesehen wird, denn in jenen, deren elementarer Hass auf die Großparteien durchaus auch vom Strache-Sozialpopulismus kanalisiert werden kann. Doch gerade hier muss sich konkreter linker Kampf gegen die chauvinistische Rechte um die Unterschichten bewähren. Auch die Bewegung für eine Volksabstimmung zum EU-Verfassungsvertrag war als echte Volksbewegung keine, in der die linke Kultur dominierte. Jedoch war sie ein real-existierender Bruch breiter Schichten mit den Herrschenden, ein „Aufbruch“ im Denken und damit ein unerlässlicher Ansatzpunkt zur Positionierung der LINKEN als konsequenteste Alternative. 2.) äußert sich der ideologische Charakter der dominierenden Kräfte in der Überschätzung der Sprengkraft sozialer/gewerkschaftlicher Forderungen. Deren Überbetonung ergibt sich aus dem veralteten Gesellschaftsbild einer existierenden Arbeiterbewegung, die um ihre Rechte kämpft, von ihren „Vertretern“ verkauft wird (was tatsächlich zutrifft) und damit nach jenen Ausschau hält, die diese sozialen Rechte einfordert. Wie bereits in einem vorherigen Text dargestellt, muss man jedoch von einer gänzlich neuen gesellschaftlichen Situation ausgehen, die wir als Amerikanisierung auch der Armut bezeichnen. Verarmung, Marginalisierung, Ausbeutung ist nicht mehr mit einer politisch-kulturell abgegrenzten Klassenbewegung verbunden, hat kein „historisches Projekt“ mehr, auf das sie sich – wenn auch reformistisch deformiert – bezieht, in das sie ihre Hoffnung legt. Die Reaktion der Unterschichten auf ihre soziale Herabdrückung ist viel „unorganischer“, sprunghafter, schwankend zwischen totaler Opposition und Reintegration, individueller Verzweiflung und kollektivem Ausbruch.
Die kaum, und nur zum Teil aufgrund fehlender Zeit für die geplanten inhaltlichen Debatte, angesprochenen Themenstellungen der EU-Volksabstimmung, der Entdemokratisierung durch den neoliberalen Bipolarismus (Mittel-Links vs. Mitte-Rechts) und die Untergrabung von Grundrechten, des Kampfes gegen NATO, EU-Armee (Tschad) und US-Präsenz in Europa (Raketenstationierung) sowie für die Neutralität sind Bereiche, in denen potentielle politischen Bruchlinien zwischen den Menschen und den herrschenden Eliten liegen. Es sind zentrale Elemente für die Profilbildung einer umfassenden Systemopposition gegen das politisch-soziale Establishment, die nur in ihrer Totalität glaubwürdig und attraktiv sein kann, nicht jedoch in einer weitgehend sozialreformerisch-gewerkschaftlichen Reduktion. Nicht zu vergessen sind auch jene kritischen Bereiche wie der chauvinistische anti-islamische Kulturkampf und die Auswirkungen des Anti-Terrorfeldzuges in den europäischen Demokratien (Überwachungsstaat), die heute bereits für weite Sektoren des migrantischen Bereichs und auch für linke/antiimperialistische Opposition eine fortschreitende Gefahr darstellen.

Neue gesellschaftliche Sektoren in ein breites Bündnis integrieren!

Diese Fragestellungen werden für die Positionierung der LINKEn im Wahlkampf von wesentlicher Bedeutung sein, sind es doch realpolitische Konfrontationen mit strategischem Gewicht. Unabhängig von der wahlpolitischen Ausrichtung stehen sie aber umso mehr in dem weitergehenden Ziel einer linken Neuformierung und -positionierung gemeinsam mit radikalen und umfassenden Forderungen im sozialen Bereich im Mittelpunkt.
Der offene Charakter des Linksprojektes und die zu hoffende Einbindung und Erweiterung um weitere organisierte als auch individuelle Kräfte aus neuen politischen, sozialen und kulturellen Zusammenhängen, kann durchaus noch Anstöße für eine vertiefte und radikale Profilbildung einer neuen gesellschaftlichen Linksopposition bringen. Dies erfordert entsprechende Strukturen, die die permanente Einbindung und das Antreiben der inhaltlichen Debatte und Formulierung fördern. In ihrer derzeitigen Größe kann und muss sich das Linksprojekt diese einbindende Organisationsform leisten, ansonsten läuft es tatsächlich Gefahr sich unter dem „objektiven Druck“ des Wahltermins in einen verfrühten „zentralistischen Praktizismus“ zu rutschen, der die strategischen Aufgaben der kurzfristigen Herausforderung, die es zu bewältigen gilt, opfert.
Insofern ist jenen zuzustimmen, die das Wahlbündnis LINKE als nur einen Aspekt in dem weiterreichenden Projekt betonten und auf die langfristige Aufgabe eines oppositionellen gesellschaftlichen Blockes hinwiesen, einer Zielstellung an der sich die Antiimperialistische Koordination sowohl in seinem praktischen als auch unerlässlichem theoretischen Aufbau beteiligen wird.

Antiimperialistische Koordination, AIK
Wien, 23. Juli 2008

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