Afghanistans politische Häftlinge melden sich zu Wort
Das Policharkhi-Gefängnis am Rande Kabuls gehört zu den berüchtigtsten
Haftanstalten, die direkt von der afghanischen Regierung geführt
werden. Im Gegensatz zu den amerikanischen Lagern wie beispielsweise am
Flughafen Bagram, nehmen sie jedoch für sich in Anspruch sich an die
Gesetze zu halten.
Aber bereits im Jahr 2005 bezeichnete der von der UNO beauftragte
unabhängige Experte Cherif Bassiouni die Haftbedingungen als „unter dem
Standard“ und berichtete von überbelegten Zellen, unsachgemäßer
Fesselung, fehlenden Sanitäranlagen und nicht vorhandenen Fenstern bei
Minusgraden.
2006 brach dann eine Gefängnisrevolte aus, bei der sechs Häftlinge
getötet wurden. Ursache war unter anderem, dass die Gefängnisleitung
orangefarbene Anzüge, wie sie aus Guantanamo bekannt sind, einführte.
Nach der Niederschlagung des Aufstandes sagte Olivier Moeckli,
Vertreter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, dass sich die
Haftbedingungen noch weiter verschlechtert hätten.
Die genaue Anzahl der Insassen ist unbekannt, sie dürfte sich jedoch
auf mehrere Tausend belaufen. Zunehmend handelt es sich um Gefangene
aus dem Widerstand gegen die westliche Militärpräsenz. Während die
„großen Fische“ der Taliban und anderer bewaffneter Gruppen von den
Amerikanern selbst festgehalten werden, füllt sich Policharkhi mit
einfachen Kämpfern. Auch aus Guantanamo werden immer wieder Gefangene
überstellt, die die US-Militärs als nicht hochrangig genug einstufen.
In einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Aufruf datierend von April
2008 fordert nun ein „Komitee der politischen Häftlinge“ die
Anerkennung als solche. „Jeder weiß, dass 80% der Insassen politische
Gefangene sind, doch das despotische Regime Karzais bezeichnet sie als
einfache Kriminelle oder Terroristen.“
Das Komitee dürfte von einem Kern linker Häftlinge gegründet worden
sein, deren Bewegung in Afghanistan heftig verfolgt wird. So steht auf
Beteiligung an kommunistischen Organisationen die Todesstrafe. Es
beteiligen sich scheinbar jedoch auch Gefangene des islamischen
Widerstands, die die große Mehrheit der Häftlinge stellen.
Das Komitee beklagt weiter das Fehlen jeder Rechtsstaatlichkeit und
fordert: „Allen Häftlingen muss ein fairer Prozess zukommen und ein
Verteidiger gestellt werden. Die Geheimprozesse müssen ein Ende haben.“
Sebghatullah Mojaddedi, der Sprecher des Ältestenrates, des Oberhauses
des afghanischen Parlaments, der an Verhandlungen mit den Häftlingen
beteiligt war, räumte juristische Unzulänglichkeiten ein.
Die Vorwürfe des Komitees gehen jedoch weiter. Neben Folter beklagt es
Hinrichtungen ohne Rechtsgrundlage. So sollen im Jahr 2007 „nach
Prozessen ohne Verteidiger siebzehn Häftlinge exekutiert“ worden sein
und die Zahlen drohen im laufenden Jahr zu steigen. „Rund hundert
Todesurteile wurden von der korrupten Justiz ausgesprochen und liegen
derzeit auf Karzais Schreibtisch.“ Das Komitee der politischen
Häftlinge fordert die internationale Öffentlichkeit und insbesondere
die Verteidiger der Menschenrechte auf, Druck auf die afghanische
Regierung auszuüben.
Wilhelm Langthaler