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Mahmoud Darwish: Der Tod der letzten Metapher

22. August 2008

Nachruf, aus Intifada Nr. 26

Am 9. August 2008 starb der palästinensische Dichter Mahmoud Darwish bei einer Herzoperation. Poltisch sehr umstritten, poetisch einer der höchstrangigen modernen arabischen Dichter, ist mit seinem Tod eine Symbolfigur der arabischen, aber vor allem der palästinensischen Kulturbewegung von uns gegangen.

Geboren im Jahr 1941 in Barwe, in Nordpalästina, erlebte Darwish als Kind die Nakba von 1948, wo bei der Gründung des Zionistenstaates eine Million Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurde. Seine Familie floh in den Libanon, kehrte aber sogleich über Schleichwege nach Palästina zurück. Das zerstörte Dorf Barwe durfte nicht wiederaufgebaut werden und Darwish wuchs als „Flüchtling im eigenen Land“ auf.

Als Araber in Israel Bürger zweiter Klasse, schloss er sich der Israelischen Kommunistischen Partei an und schrieb in Haifa in ihrer arabischen Zeitung „Al-Ittihad“ (Die Union). Für seine ersten Gedichte und seine politische Aktivität wurde Darwish mehrmals (1961, 62, 67 von den israelischen Militärbehörden verhaftet und gefoltert, seine Werke oft zensuriert. (Für die Araber Israels galten bis 1967 Militärgesetze.)

Damals völlig isoliert und getrennt vom restlichen arabischen Raum, gründete Darwish und andere junge Dichter wie Samih Qassem und Tawfiq Zayad aus dem „48er-Gebiet“ eine neue Richtung in der arabischen Lyrik, welche das Bild des arabischen Gedichtes für Jahrzehnte prägen wird.

Sich rhythmisch vom klassischen Gedicht emanzipierend, und weg vom traditionellen Bild sich auf Metaphern stützend, wurde diese neue Generation von Dichtern geboren. Entdeckt wurden diese jungen Dichter vom palästinensischen Schriftsteller Ghassan Kanafani (1972 in Beirut vom israelischen Geheimdienst ermordet), der ihnen seine erstmalige Studie „Dichter aus dem besetzten Land“ widmete. Die modernen Texte verbreiteten sich und wurden im gesamten arabischen Raum Texte für Liedkompositionen. Sie wurden zu Kultursymbolen der palästinensischen Bewegung und Antrieb zur Modernisierung des arabischen Lieds.

Darwish selber verließ Haifa im Jahr 1970 und verbrachte ein Jahr in Moskau, bevor er nach Kairo ging und vom arabischen Kulturmilieu herzlich empfangen wurde.

1972 schloss Darwish sich der PLO an und zog mit ihr in den Libanon. Er arbeitete im Palästinensischen Studienzentrum und leitete es zwischen 1976 und 1980. Er war Chefredakteur der Zeitschrift „Palestinian Issues“.

Nach der israelischen Invasion des Libanons 1982 verließ Darwish Beirut und begleitete Arafat auf dem Schiff ins neue Exil. Er lebte in Tunis, wo er auch vom palästinensischen Nationalkongress zum Mitglied des Exekutivkomitees der PLO ernannt wurde.

Die Phase nach 1982 war für Darwish literarisch die bedeutendste. Es entstanden seine wichtigsten Werke. Er übertraf sich von einem Werk zum nächsten und revolutionierte die arabische Lyrik mehrmals.

Sein Werk über den Libanon-Krieg, „Lob des hohen Schattens“, schlug Wellen im gesamten arabischen Raum. Viele Teile davon wurden von verschiedensten Sänger zu berühmten Liedern verarbeitet.


„Gotteslästerung“

Einige Teile seines Werkes wurden jedoch als blasphemisch angesehen:

Beirut ist der Test Gottes,
Wir haben dich ausprobiert,oh Gott, wir haben dich ausprobiert
Wer gab dir dieses Rätsel, wer gab dir den Namen?
Wer hat dich über unsere Wunden erhoben, damit er dich sieht?
So zeig dich! Wie sich die Sphinx aus der Asche zeigt… [eigene Übersetzung]

So fügte er seiner Beziehung zur aufsteigenden islamischen Bewegung irreparablen Schaden zu. Dies erklärt u.a. die Kälte, mit welcher sein Tod z.B. bei Hamas empfangen wird.

Darwish verstand es, durch intelligentes Einsetzen des Wortes und des Bilderspiels aus der palästinensischen Misere, der brutalen Realität und des blutigen Alltags, verschmolzen mit Elementen aus der Geschichte, der Kultur und der allgemeinen menschlichen Werte eine schöne ästhetische Welt zu schaffen. Er ist einer der wenigen arabischen Dichter, die international geachtet und anerkannt werden. Wegen ihrer universellen Bedeutung wurden seine Gedichte in fast alle Sprachen übersetzt.

Hoch gelobt und prominent, stand er über jede Kritik erhaben. Sein Gewicht als Symbolfigur setzte die Kriterien der Kritik außer Kraft. Bekannt aus vielen Liedern, überschritten seine Gedichte die Grenzen des intellektuellen Milieus und genossen eine Popularität, wie sie moderner arabischer Poesie niemals zuvor zuteil wurde.


Kapitulationskurs der PLO

Für viele galt Darwish politisch als der Apologet Arafats im Feld der Kultur. Kritisiert wird er auch für sein Stillschweigen über die Unterdrückung von palästinensischen Intellektuellen durch Arafat und seinen Apparat. Dieser schreckte wie im Fall des Karikaturisten Naji Ali auch vor Mord nicht zurück. Das machte Darwish zunehmend zum „Hofdichter“ der PLO.

Nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens trat die Hälfte des Exekutivkomitees der PLO zurück. Darunter auch M. Darwish, der eine erstmalige poetische Kritik an Arafat lieferte: „Wer wird unsere Fahnen aus unseren Mauern entfernen, Du oder sie?“ Er kehrte jedoch mit dem PLO-Apparat nach Ramallah zurück und blieb dem Establishment treu. Hochstilisiert als Kultursymbol der PNA, präsidierte er mehrere literarische Gremien, stand über den politischen Ereignissen und bereiste den arabischen Raum, wo er nach prominenten Auftritten hohe Orden und Auszeichnungen von fast allen arabischen Regenten erhielt.

Nach dem Tod Arafats und beim Konflikt der PNA mit der Widerstandsbewegung hielt sich Darwish zurück und versteckte sich hinter seinen Metaphern. Weniger metaphorisch wurde er nach der Machtübernahme der Hamas in Gaza, wo er in einem Gedicht bei der Parteinahme zur korrupten PNA von Ramallah ziemlich eindeutig war.

Wenn auch poetisch eines der wenigen Dinge, bei dem es unter den Palästinensern Konsens gibt, ist Darwish politisch ein weiterer verblichener Teil der PLO-Ära, deren Symbolfiguren sukzessive am Untergehen sind. Vielen seiner Lesern geriet sein Tod zur politischen Rettung seiner Poesie.

Mohamed Aburous

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