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„US-russische Auseinandersetzung auf Rücken der Georgier und Osseten“

23. August 2008

Lesermeinung zur Resolution der AIK:
„Kaukasus-Krieg: wessen Aggression?“

Bedingungen für eine „wirkliche Unabhängigkeit“ Südossetiens und Abchasiens sind nur schwer zu erkennen, und das hielte ich schon für entscheidend. Sie sind jedenfalls nicht schon darin zu finden, dass sich die Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechts durch die Osseten gegen die amerikanische Präsenz im Kaukasus richtet. Tatsächlich haben doch die Russen die Unabhängigkeit Ossetiens zu ihrer Sache gemacht. Sie haben russische Pässe ausgegeben. Und sie haben innerhalb von ein oder zwei Tagen Truppen in der Stärke von 10000 Mann mobilisiert und in Bewegung gesetzt. Das ist doch eine sehr beachtliche Leistung, die man würdigen kann. Es ist aber nicht nur russische „Grobheit“ oder Unverhältnismäßigkeit, die hier zu beobachten ist. Ich kann überhaupt nicht erkennen, worin die „russische Selbstverteidigung“ besteht. Georgien hat zwar Ossetien angegriffen und damit gewaltsam gegen das Selbstbestimmungsrecht verstoßen, und das vergleicht Ihr richtigerweise mit dem russischen Vorgehen gegen die Tschetschenen, aber Georgien hat nicht Russland angegriffen. Das ist doch ein gewaltiger Unterschied. Zum anderen kann man von Verteidigung gegen „westliche Vorstöße in seinem Hinterhof“ nur sprechen, wenn man Russlands Ansprüche auf einen Hinterhof anerkennt. Ich sehe nicht recht, wie sich das mit einer antiimperialistischen Position vereinbaren lässt. Ich denke, dass hier der Sache nach ein Konflikt um die Selbstbestimmung zwischen Georgiern und Ossetien überlagert ist durch einen hegemonialen Interessenkonflikt. Und da billige ich den Russen keineswegs die Position des Verteidigers zu. Was auch durch das Bombardement der Pipeline bekräftigt wird. Auch kann ich nicht erkennen, wie man „nationalistischen Reaktionen“ kritisieren kann. Immerhin haben diese Nationen 50 Jahre sowjetische Hegemonie hinter sich. Ich kann schließlich nicht erkennen, wieso „von einem antiimperialistischen Standpunkt aus … das Eigentor im Kaukasus fast erfreulich“ sei. Georgien ist keine imperialistische Macht. Georgien hat widerrechtlich Gewalt angewendet. Grobe Selbstüberschätzung, Eigentor. Das sind Eure Einschätzungen. Russland hat das skrupellos ausgenutzt. Das ist keine Verteidigung. „Den imperialistischen Westmächten blieb indes nichts anderes übrig als der russischen Machtdemonstration tatenlos zuzusehen. Zwar schlug Washington härtere diplomatische Töne an als Frankreich oder Deutschland, aber letztlich konnten selbst die USA ihrem Verbündeten im Kaukasus nicht militärisch beistehen, denn das hätte das Verhältnis zu Moskau zu sehr belastet.“ Angesichts dieser Urteile ist es doch unlogisch davon zu sprechen, dass „das gemeinsame Versprechen Georgien in die NATO aufzunehmen bereits eine gefährliche Bedrohung Russlands“ ist. Dann lese ich: „Und zudem nutzte Washington die Gunst der Stunde, um den Raketenschild gegen Moskau in Polen endgültig zu fixieren.“ Das rechtfertigt doch nicht das russische Vorgehen. Wenn Ihr wenigstens argumentiert hättet, dass die Amerikaner Georgien im Stich gelassen haben, nachdem sie es vorher gerüstet haben, um Polen unter Druck zu setzen, dann würde ja noch ein Schuh daraus. Dann sähe man klar, dass Georgien hier von den Amerikanern vorgeführt und geopfert wurde. Dann sähe man aber auch klar, dass die Russen eine Aggression begangen haben. Und man sähe, dass es sich im Wesentlichen um eine amerikanisch-russische Auseinandersetzung handelt, die auf dem Rücken der Georgier und Osseten ausgetragen wird.

Jost Kaschube,
Berlin, 23. August 2008

Link zur Resolution

Antwort an Just Kaschube:
US- und russischer Imperialismus nicht gleichwertig

Tatsächlich ist es so, dass sich im Kaukasus ein geopolitischer Konflikt mit einem lokalen überlagert. Global geht es darum, dass sich Russland dagegen wehrt, von den USA und ihren Verbündeten in der NATO eingekreist zu werden. Für uns handelt es sich dabei um eine legitime Verteidigung gegen das euroamerikanische Weltsystem. Das gilt übrigens nicht nur für Russland, sondern auch für China und andere kapitalistische Mächte, die regionale Hegemonialinteressen verfolgen. Insofern sie mit den USA zusammenstoßen, können wir nicht neutral sein, sondern auf der Seite jene, die das Herz des kapitalistisch-imperialistischen Systems schwächen.

Die andere Ebene ist das Selbstbestimmungsrecht der kleineren Völker. Es ist ein grundlegendes demokratisches Prinzip, dass sich jeden Volk selbst bestimmen darf, selbst wenn das gegen die Grenzen bestehender Staaten geht. Das einmal als übergeordneter Grundsatz. Diesen muss man dann aber in den Kontext einbetten. Richtet sich diese Selbstbestimmung gegen die legitimen Interessen andere Völker? Gibt es eine Instrumentalisierung durch den Imperialismus? Gibt es eine Durchmischung, die eine Trennung schwierig macht? All das sind Faktoren, die bedacht werden müssen.

Im konkreten Fall Georgiens hat das prowestliche Regime auf einen ausschließenden, annexionistischen Nationalismus gesetzt, der den Minderheiten die Autonomierechte entzog. Diese wehrten sich legitimer Weise und bekämpfen die chauvinistischen Bestrebungen Tiflis‘. Die Vertreibung von Georgiern, die sie ihrerseits im Gegenzug vorgenommen haben, müssen verurteilt und zurückgenommen werden. Doch das ändert nichts daran, dass wir grundsätzlich ihre nationalen Forderungen anerkennen, auch wenn das nicht notwendigerweise Abspaltung heißen muss und soll.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass der Westen und insbesondere die USA nicht nur hinter Tiflis stehen, sondern auch das chauvinistische Element unterstützen und gegen Russland zu benutzen versuchen. Der Westen ist also wesentlich mitschuldig an der Eskalation.

Es stimmt aber, dass es von Seiten Moskaus die Ansicht gibt, der Kaukasus sei russischer Hinterhof, eine Tradition, die seit dem zaristischen Kolonialismus existiert. Das lehnen wir in guter leninistischer Tradition ab. Den Völkern des Kaukasus kommt wie allen anderen das Recht auf Selbstbestimmung zu, auch jenen nördlich des Hauptkammes, also insbesondere den Tschetschenen.

Darum waren wir auch gegen die überschießende Machtdemonstration Russlands gegen Georgien. Mag sein, dass der Angriff von militärischen Zielen in ganz Georgien für die Befreiung Südossetiens notwendig und die Trennung zwischen Kerngeorgien und den nach Selbstbestimmung strebenden Gebieten nicht möglich war. Doch es ging Russland um eine regelrechte Demütigung Russlands, was politisch nur den georgischen Chauvinismus stärken kann. Das verurteilen wir.

Doch Selbständigkeit darf nicht heißen, aus dem Hinterhof Russlands in jenen der USA zu wechseln, wie es die Kosovoalbaner vorexerzierten.

Wilhelm Langthaler
Wien, 25. August 2008

Nachtrag zur Anerkennung von Südossetien und Abchasien durch Russland, 27.8.08: Die Anerkennung durch ehemaligen autonomen Republiken kommt überraschend. Kaum jemand dachte, dass Moskau es wagen würde, sich dem Willen der Weltenlenker aus dem Westen zu widersetzen. Aus unserer Sicht ist das positiv, denn es ist ein Schritt zum Aufbrechen der Einheit des Imperialismus und gereicht dem Zentrum zur Schwächung.

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