Ahmad Sadaat, der von Israel inhaftierte Generalsekretär der
„Volksfront zur Befreiung Palästinas“ (PFLP) zur gegenwärtigen Lage und
den drängenden Aufgaben der Palästinenser, aus Intifada Nr. 26
60 Jahre sind seit der Gründung des Staates Israel vergangen und mehr als 100 Jahre seit dem Beginn des Kampfes zwischen der zionistischen Bewegung und der palästinensischen Nationalbewegung. In diesen Jahrzehnten konnte Israel bedeutende Erfolge erringen. Es gelang ihm die restlichen palästinensischen Gebiete 1967 zu besetzen und seine politischen, militärischen und ökonomischen Möglichkeiten zu entwickeln. Seine Rolle hat sich gewandelt von einem Instrument und marginalen Partner im imperialistischen Projekt zum Hauptpartner der imperialistischen Führungsmacht in der Phase der Globalisierung. Es gelangen ihm auch bedeutende Einbrüche in die Konfrontations- und Kampffront gegen sein imperialistisches und rassistisches Siedlungs- und Vertreibungsprojekt: Angefangen mit dem Rückzug Ägyptens, der größten arabischen Macht aus dem Kampf, der Unterzeichnung des Camp David-Abkommens 1979, sowie der ägyptischen Anerkennung Israels und der Normalisierung der Beziehungen mit ihm. Diesem Einbruch folgten die Unterzeichnung des Oslo-Abkommens zwischen der Führung der PLO und Israel (1993), das Wadi-Arabe-Abkommen zwischen Jordanien und Israel (1994) und zuletzt die kollektive arabische Bereitschaft zur Anerkennung Israels und der Normalisierung der Beziehungen mit ihm durch die Arabische Initiative (2007).
Auf der Ebene der strategischen Konfrontation sind die palästinensischen Forderungen abgeschwächt worden: Von der Befreiung des ganzen Landes vom Fluß bis zum Meer auf die Akzeptanz eines palästinensischen Staates auf weniger als 22% der Fläche des historischen Palästinas mit der Bereitschaft, davon die 3%, die der Fläche der sogenannten großen Siedlungsblöcke entsprechen, zu tauschen. Hinzu kommt die palästinensische Akzeptanz der Formulierung, die in der Arabischen Initiative über das Recht auf Rückkehr steht. Dies wirft die Frage auf, ob es die palästinensische Exekutive mit dem Festhalten am Recht auf Rückkehr ernst meint und ob sie es als rote Linie betrachtet, die nicht überschritten werden kann. Was diese Befürchtungen verstärkt, ist die zweideutige offizielle Position zum sogenannten Genfer Dokument, das alle Optionen zur Lösung des Flüchtlingsproblems vorlegt, außer dem Recht auf Rückkehr der Flüchtlinge in ihre Häuser, aus denen sie vertrieben worden sind.
Israel kann als Siedlungs-Phänomen in seiner allgemeinen imperialistischen Funktion und als Hauptpartner der USA beim Projekt des Greater Middle East zur Befriedung der Region und der Durchsetzung der vollständigen Kontrolle über sie nichts anderes hervorbringen als eine Kultur der rassistischen Diskriminierung und Unterdrückung und den andauernden Hass erstens zwischen den jüdischen und arabischen Bewohnern Palästinas und zweitens zwischen sich und den Völkern der arabischen Welt bzw. der Region, denn seine weitere Existenz ist verbunden mit imperialistischen Kontroll-, Unterdrückungs- und Raubvorhaben.
Die zionistische Siedlungs-Präsenz in Palästina unterscheidet sich in ihren objektiven Charakteristiken nicht von imperialistischen Siedlungs-Phänomenen, wie sie von Staaten und Regierungen einer weißen rassistischen Minderheit in Südafrika, Zimbabwe und Namibia geschaffen wurden und ihr wird dasselbe Schicksal beschieden sein. Der religiöse Deckmantel, der Israel von diesen Systemen unterscheidet, ändert nichts daran, dass es im Kern dasselbe Wesen hat. Die objektiven Charakteristiken, die Israel seine Identität und imperialistische Funktion verleihen, sind jedoch nicht die Grundlage oder der entscheidende Faktor für das Ende dieses Projekts. Denn die zionistische Siedler-Präsenz wurde nicht in einem Vakuum errichtet oder in einem Land ohne Volk, sondern im Zusammenstoß mit dem palästinensischen Nationalismus, der sich beginnend mit der Herauskristallisierung des arabisch-nationalistischen Befreiungsprojekts mit seinen zivilisatorischen und progressiven menschlichen Dimensionen seinen Weg bahnte. Es stimmt, dass seine subjektiven Möglichkeiten und seine mangelnde arabische Tiefe ihn nicht dazu befähigten, dem zionistischen Angriff entgegenzutreten und ihn zurückzuschlagen. Aber dennoch ist er in einer ständigen Konfrontation mit dem Phänomen geblieben, sogar in seinem schwächsten Teil, den Massen unseres Volkes im 1948 besetzten Teil Palästinas, die die Auswanderung verweigert und an ihrem Land festgehalten haben. Alle Maßnahmen zur Vertreibung und ethnischen Säuberung, die Massaker, die Militärherrschaft (1948-1966) oder die rassistischen Ausnahmegesetze, die ihre Staatsbürgerrechte direkt verletzen, haben nicht verhindert, dass unsere Massen in diesem Teil des Landes weiterhin an ihrer nationalen Identität festhalten und sie in der täglichen Konfrontation heraus kristallisieren.
Abgesehen von dem schlechten Gebrauch, den die PLO-Führung und danach die Palästinensische Autorität von den Errungenschaften des Kampfes und des vielgestaltigen Widerstands unseres Volkes, die sich im Oslo-Abkommen widerspiegelten, gemacht hat, war dieses Abkommen insgesamt mitsamt seinen folgenden Texten und praktischen Umsetzungen dunkel. Es hat keinen klaren Horizont für die Entwicklung der Autonomie-Regierung, die sein direktes Ergebnis war, zu einem unabhängigen palästinensischen Staat mit uneingeschränkter Souveränität und zur Verwirklichung der unveräußerlichen nationalen Rechte eröffnet und auch nicht für den Versuch derselben Führung, die Errungenschaften der zweiten Intifada für das Roadmap-Projekt zu nutzen. Dessen Horizont ist noch begrenzter als der des Oslo-Abkommens, da es den Sicherheitsaspekt bei der Behandlung des Themas Palästina betont und die sogenannten Sicherheitsbedürfnisse Israels zur entscheidenden Instanz für den Verlauf der Verhandlungen und ihrer Ergebnisse gemacht hat. Ungeachtet dieses beschränkten Gebrauchs der Opfer unseres Volkes und seines unerschrockenen Widerstands ist es unserem Volk mit seiner Standhaftigkeit und seinem Widerstand gelungen, eine Realität durchzusetzen, die die expansionistischen zionistischen Träume von der Thora-Grenze Israels zerbrochen hat. Die zionistische Führung ist jetzt bereit, eine geringere Fläche als die des historischen Palästinas für ihren „jüdischen Staat“ zu akzeptieren. Sie war gezwungen, die militärische und Siedler-Präsenz aus dem Gaza-Streifen abzuziehen, dessen Siedlungen dem geistigen und praktischen Vater der zionistischen Siedlung in Palästina zufolge in ihrem Rang gleichbedeutend mit Tel Aviv waren. Diese palästinensische Errungenschaft hat der Krise des zionistischen Projekts, die aus seinen verdeckten inneren Bestandteilen resultiert, einen neuen Faktor hinzugefügt.
Israel ist durch die Interessen die es vertritt und durch die Verknüpfung mit dem US-imperialistischen Projekt in der Region eine Kraft, die zur Verwirklichung des Friedens nicht fähig ist. Das stellt in Frage, ob es einen Nutzen hat, dass die Führung von Autonomiebehörde und PLO die Verhandlungen mit Israel fortsetzt. Dieser Weg wird seit 17 Jahren, seit seinem Beginn in Oslo 1991, versucht und bis heute sind die Ergebnisse, die unser Volk geerntet hat gleich Null oder noch geringer.
Israel benutzt die Verhandlungen als Deckmantel, um die Realitäten seines Siedlungsprojekts am Boden zu festigen und unserem Volk und der internationalen Gemeinschaft vollendete Tatsachen aufzuzwingen. Es versucht, die Lösung des palästinensisch-zionistischen Konflikts in der Weise fest zu schreiben, dass es sich die größte Fläche an Land mit der geringsten Anzahl an Palästinensern einverleibt und das palästinensische Streben nach Unabhängigkeit auf ein nicht lebensfähiges politisches Gebilde begrenzt, das nicht viel mehr ist als ein israelisches Protektorat.
Israel hat jedes palästinensische Zugeständnis mit neuen Forderungen beantwortet. Seine Anerkennung im Rahmen gesicherter Grenzen ist heute genauer definiert und es fordert die Anerkennung als jüdischer Staat mit politischen Konsequenzen, die die Interessen unserer Volksmassen im 1948 besetzten Teil Palästinas verletzen und gleichzeitig dem legitimen Streben unseres Volkes nach Rückkehr eine endgültige Grenze setzen.
Die Errungenschaften unseres Volkes stehen in keinem Verhältnis zu den Opfern, die es in seinem Widerstand gegen das zionistische Projekt gebracht hat. Die objektive Seite war ein Faktor, aber keineswegs der einzige. Hinzu kommt die subjektive Mangelhaftigkeit der Führung in der Leitung des Kampfes gegen die Besatzung. Dieses Eingeständnis ist als Schlußfolgerung und Ergebnis von mehr als 10 Jahrzehnten Kampf, Widerstand und Opfer unseres Volkes zur Verteidigung seiner unveräußerlichen Rechte festzuhalten. Hinzuzufügen ist, dass die materiellen und moralischen Erfolge unseres Volkes in Wirklichkeit durch seinen vielfältigen Widerstand erreicht wurden und die Verhandlungen auf der Grundlage der angebotenen internationalen Projekte eine schlechte Investition dieser Erfolge waren. Unser Volk hat seine Führung in den schwierigsten historischen Stadien mit denen unsere Sache konfrontiert war keinen einzigen Tag im Stich gelassen, und es stellt den zentralen Faktor in allen Errungenschaften unseres Kampfes dar. Es verdient, dass ihm seine politische Führung eine Hoffnung gibt, die seine Standhaftigkeit und seinen Widerstand stärkt.
Das Mindeste an Hoffnung ist die politische Bewahrung unseres nationalen Projekts. Das beginnt mit der Abkehr vom Zustand der Spaltung und der inneren Krise, die unsere Sache durchlebt und der Schaffung eines vereinigten, verantwortungsvollen, demokratischen Rahmens auf Führungsebene, in dem ein umfassender nationaler Dialog stattfinden kann, der auf einer kritischen politischen Aufarbeitung der vergangenen Phase und der Neuformulierung unseres nationalen politischen Projekts basiert. Die Schlussfolgerungen und Ergebnisse dieser Aufarbeitung sollten als Grundlage für den Aufbau unserer Führungsinstrumente und unserer nationalen Einheit genutzt werden Die nationale Einheit sollte auf der breitesten nationalen Übereinstimmung und einer stabilen demokratischen Grundlage basieren, die die Vielfalt bewahrt und die Freiheit zur Interpretation, zu Meinung und Gegenmeinung garantiert, um aus den Unterschieden und Widersprüchen eine Quelle der Entwicklung und des Aufschwungs zu machen.
Unsere Volksmassen haben Abstand genommen von jeder Führung – egal, welche Vorzüge sie hatte – die versucht hat, sie zu beherrschen und ihr ihre politischen oder sozialen Optionen aufzuzwingen. Sie haben lange gelitten und leiden immer noch unter Unterdrückung und Kontrolle, unter der Strangulierung ihres Willens und der Marginalisierung ihrer Rolle. Sie brauchen eine Führung, die ihren Kampf und Widerstand leitet und die zur Bestimmung der Richtung zu ihnen zurückkehrt, die alle Ergebnisse respektiert, welche ihr Schiedsspruch hervorbringt, und die deswegen zu ihnen zurückkehrt, weil sie in ihnen die Quelle jeder Legitimität sieht.
Ungeachtet des juristischen Streits über die Legitimität zwischen den beiden Konfliktparteien Fatah und Hamas und der Versuche zur Rechtfertigung der einseitigen Maßnahmen beider Seiten, sind diese nicht zu rechtfertigen. Weder durch die, aus der Legitimierung durch die Wahlen oder den Legislativrat hervorgegangene Stärke, noch durch den Missbrauch der Position der PLO, die nicht länger der Besitz einer Seite ist – besonders nicht nach dem Kairo-Abkommen, dessen Umsetzung aufgrund reiner Gruppeninteressen blockiert wurde. Während wir immer noch die Bereitschaft haben, mit Israel zu verhandeln oder einen Waffenstillstand zu vereinbaren, wäre es wichtiger, dass dem eine Beruhigung der internen Lage vorausgeht, indem die gegenseitige Aufwiegelung und die Verletzung der allgemeinen Freiheiten beendet und die Gefangenen auf beiden Seiten freigelassen werden. Es muss ein ernsthafter nationaler Dialog begonnen werden, um den zerstörerischen Zustand der Spaltung zu überwinden, der die nationale Zukunft unseres Volkes bedroht, und die innere Einheit wiederherzustellen, die unserem Widerstand bei der Verteidigung der unveräußerlichen Rechte und in der Konfrontation mit der umfassenden Aggression der Besatzung gegen unser Volk Stärke und Festigkeit verleiht. Es ist hierbei möglich, auf die Kairo-Deklaration vom März 2005 und das Dokument der Nationalen Übereinkunft vom Juni 2006 aufzubauen und diese zu entwickeln, um den Bereich des (kleinsten) gemeinsamen Nenners im Rahmen des gewählten Nationalrats zu verbreitern, der das gesamte politische und gesellschaftliche Spektrum unseres Volkes repräsentiert.
Das liefert die notwendigen Voraussetzungen zur Verwirklichung der Einheit, wenn der wirkliche Willen dazu bei beiden Konfliktparteien vorhanden ist. Ich denke, dass der Schlüssel zum Erfolg darin liegt, unser Haus auf einer festen und soliden Grundlage in Ordnung zu bringen, die in der Umsetzung des Kairo-Abkommens besteht, und die PLO wiederaufzubauen und ihren Nationalrat zu wählen. Die Umsetzung dessen ist nicht nur ein Maßstab dafür, wie ernst es eine Organisation mit der Einheit meint, sondern auch für den Grad des Festhaltens dieser oder jener Seite am Recht auf Rückkehr. Dieses verkörpert von seiner Bedeutung her den Kern unserer nationalen Sache und ist sowohl die Brücke, die unser nationales Recht auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung mit unseren historischen Rechten in Palästina verbindet, als auch das Tor zur Errichtung eines demokratischen Staates als umfassende, demokratische Lösung des Konflikts in Palästina und um Palästina.
Die Einheit ist der zentrale Faktor, um unsere nationale Sache politisch zu schützen. Sie ist die notwendige Voraussetzung für den Aufbau des arabischen Schutzes. Durch den palästinensischen und arabischen Schutz werden auch die nötigen Voraussetzungen geschaffen, um die internationale Protektion unseres Volkes zu erlangen und die Sache der UNO zu übergeben, indem eine internationale Konferenz unter ihrer Schirmherrschaft einberufen wird, deren Basis die UNO-Resolutionen sind, die die nationalen Rechte unseres Volkes auf Rückkehr, Selbstbestimmung und die Errichtung eines unabhängigen Staates mit der Hauptstadt Jerusalem anerkennen.
Aus www.arabs48.com vom 29.7.2008. Übersetzt, gekürzt und kommentiert von Petra Wild, Berlin.