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Die Souveränität Afghanistans wiederherstellen

10. September 2008

Interview mit Norman Paech, außenpolitischer Sprecher der Parlamentsfraktion der
Linken und emeritierter Professur der Rechtswissenschaften in Hamburg,
über die deutsche Militärpräsenz in Afghanistan, aus Intifada Nr. 26

F: Sie und Ihre Partei treten gegen eine deutsche Beteiligung bei der Nato-Mission in Afghanistan ein. Warum?

Norman Paech: Wir sind der Überzeugung, dass Afghanistan friedliche Zustände nicht mit Waffen geschaffen werden können. Die deutsche Beteiligung ist äußerst problematisch, da sie den Zielsetzungen der USA für einen Greater Middle East folgt. Der Einmarsch und die Besetzung von Afghanistan stellt eine Verletzung des Völkerrechts dar.

F: Wie steht die deutsche Öffentlichkeit zu diesem Sachverhalt?

Die Bevölkerung in Deutschland ist von der Mission nicht überzeugt und eine Mehrheit lehnt sogar eine Präsenz deutscher Truppen in Afghanistan ab. Die Situation vor Ort hat sich in den letzten sechs Jahren verschlechtert. Damit meine ich jedoch nicht bloß die Situation der Koalitionstruppen, sondern auch die Lebensbedingungen der Bevölkerung, die zweifellos am meisten gelitten hat. Wir sind gerade dabei, in ein Szenario ähnlich dem im Irak zu schlittern. Die Intervention des Westens und von Deutschland sind aber nicht die Lösung, sondern der Kern des Problems.

F: Sie repräsentieren weniger als zehn Prozent des deutschen Bundestages. Gibt es trotzdem eine Hoffnung, dass Ihre Position eine Mehrheit findet?

Bei den Abgeordneten zum deutschen Bundestag hat es in den letzten Jahren einen starken Wandel gegeben. Manche beginnen einzusehen, dass es die falsche Richtung ist, die US-geführten Militäroperationen einfach zu unterstützen. Sie können nicht mehr die Augen davor verschließen, dass wir damit ein Protektorat für Warlords und Drogenbarone geschaffen haben. Über kurz oder lang muss sich die ablehnende öffentliche Haltung zur Stationierung der Truppen in irgendeiner Form im Parlament äußern. Es ist eigentlich überraschend, wie lange das Parlament die öffentliche Meinung ignorieren konnte.

F: Kann man damit rechnen, dass der deutsche Bundestag einen Abzug beschließen wird?

Ja, das denke ich. Das bedeutet natürlich nicht, dass die dominierenden Parteien unsere Analysen zu Afghanistan teilen. Aber die Auswirkungen der sich verschlechternden Situation in Afghanistan werden sie unausweichlich zu einem Abzug der Truppen zwingen. Sie können nicht weiterhin die Realität ignorieren.

F: Seit dem Zweiten Weltkrieg ist die BRD eng mit den USA verbunden. Die deutsche Beteiligung an der Afghanistan-Mission folgt dieser Logik. Wie stehen sie zu den transatlantischen Beziehungen?

Deutschland ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Vasall der USA. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Politik diese Tatsache weiter unterstrichen. Auch die meisten Sozialdemokraten stimmen mit ihr darin überein. Dennoch: Kanzler Schröder hat mit seiner Weigerung, an der Invasion und Besetzung des Iraks teilzunehmen, bewiesen, dass es nicht notwendig ist, der US-Außenpolitik blind zu folgen. Es war kein totaler Bruch, aber immerhin hat er sich geweigert, Truppen zu stellen. Leider hat Merkel, nachdem Schröder ihr das Amt übergeben hatte, die erniedrigende Politik der Unterwürfigkeit Deutschlands gegenüber den USA erneuert. Wir sind der festen Überzeugung, dass wir, wenn wir Frieden herstellen wollen, eine größere Unabhängigkeit gegenüber Washington benötigen. Wir stellen das Bündnis nicht grundsätzlich in Frage, aber wir fordern die Auflösung der Nato. Die Nato wurde als Verteidigungsbündnis gegenüber dem sowjetischen Block gegründet. Seit der Implosion der Warschauer-Pakt-Staaten hat auch die Existenz der Nato keine Grundlage mehr. Seit damals wurde das Bündnis in eine aggressive Allianz verwandelt, die dem Imperialismus dient. Dies wird vor allem im Mittleren Osten sichtbar, wo es um die Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen und Energieressourcen geht.

F: Der Widerstand gegen die Besatzungsmächte wird oft als „Terrorismus“ diffamiert. Wie ist ihr Standpunkt dazu?


Es ist offensichtlich, dass das Gerede von Demokratie und Menschenrechten leere Floskeln sind und nur als
Rechtfertigung für strategische und ökonomische Interessen in der Region dienen – zum Beispiel zur Sicherung der Rohstoffversorgung der westlichen Wirtschaften. Afghanistan selbst ist entscheidend als Transitland für Erdöl und -gas von den reichen Lagerstätten in Zentralasien. Es spielt auch in der Beziehung der zwei Nuklearmächte des Subkontinents, Indien und Pakistan, eine strategische Rolle. „Nation building“ und „good governance“ sind Lügen, denn in Wahrheit geht es um ein imperiales Protektorat.

F: Das heißt, Sie halten den Widerstand für legitim?

Der Widerstand gegen die fremde Besatzung im Irak und in Afghanistan ist legitim, solange er sich auf militärische Ziele beschränkt und gezielte Angriffe auf Zivilisten unterlässt. In diesem Zusammenhang möchte ich unterstreichen, dass wir uns von den grausamen und brutalen Methoden der Taliban distanzieren.

F: Es gibt nach internationalem Recht einen gewichtigen Unterschied zwischen dem Irak und Afghanistan. Für den Irak gelang es den USA nicht, für ihren Angriff die Deckung der UNO zu erlangen, aber für Afghanistan bekamen sie grünes Licht.

Wir melden gegenüber den Argumenten der Nato ernste Bedenken und Zweifel an. Ihre Rechtfertigung besteht immer noch im Verweis auf Artikel 51 der UNO-Charta, die das Recht auf Selbstverteidigung festschreibt. Aber von Afghanistan geht weder für die USA noch für irgend einen der Nato-Mitgliedsstaaten, die sich an der Besatzung beteiligen, eine Bedrohung aus, geschweige denn auf ihrem Territorium. Es ist im Gegenteil sogar höchst fraglich, ob es überhaupt jemals eine solche Bedrohung gegeben hat. Das Mandat des UN-Sicherheitsrates für die ISAF baut auf diese falsche Rechtfertigung auf. Wir stellen daher ihre völkerrechtliche Rechtmäßigkeit in Frage.

F: Wenn die Koalitionstruppen Afghanistan verließen, kann davon ausgegangen werden, dass die Taliban die Macht übernehmen würden. Wäre das nicht eine Katastrophe für das afghanische Volk?

Wir dürfen nicht vergessen, dass das ganze Problem erst durch die jahrzehntelange Einmischung und Intervention der USA in afghanische innere Angelegenheiten geschaffen wurde. Der Widerstand der Mujaheddin gegen die sowjetische Intervention wurde von den USA massiv unterstützt und auch finanziert. Die Taliban wurden wiederum von Pakistan unterstützt, das ein enger Verbündeter der USA ist. Washington trägt die Hautverantwortung für die gegenwärtige Situation. Die einzige Lösung ist der Abzug der Koalitionstruppen und die Respektierung des Prinzips der Selbstbestimmung. Schlechter als es heute ist, kann es nicht mehr werden. Immer wieder neue Truppen nachzuschicken, ist keine Lösung. Die Hautaufgabe besteht darin, das Protektorat aufzulösen und die Souveränität des afghanischen Volkes wieder herzustellen. Dieses ist in der Lage ohne fremde Einmischung selbst über seine Zukunft zu entscheiden.

Wilhelm Langthaler
2. Juni 2008
Das Interview wurde für die englischsprachige ägyptische Zeitung „Al Ahram Weekly“ geführt und erschien in der Ausgabe Nr. 906 vom 17.-23. Juli 2008. Die Autorisierung des Interviews erfolgte in der englischen Version, von der aus die Rückübersetzung vorgenommen wurde.

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