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Vicenza: Berlusconis Polizei schlägt zu!

14. September 2008

von Gegeninformationsinitiative Aug und Ohr

Mit ausserordentlicher Brutalität ist die Polizei in Vicenza am Samstag den 6. September gegen junge und alte AktivistInnen vorgegangen, die gegen die geplante Erweiterung des US-Stützpunktes in der Stadt demonstrierten. Leute, die im Rahmen einer grösseren Kundgebung einen Sitzstreik durchführten, wurden geschlagen, mehrere Fraün wurden an den Haaren am Boden entlanggeschleift, alte Menschen wurden verprügelt, eine Frau im Rollstuhl wurde mit Schilden und Polizeistiefeln so sehr gestossen, dass sie mitsamt ihrem Rollstuhl umfiel. Auf einen Demonstranten fielen 5 Polizisten gleichzeitig her, einem Demonstranten wurde von einem Polizisten der Autoschlüssel aus der Hose gezerrt: auf einem Video sieht man, wie ihn sich der Ordnungshüter in die Brusttasche steckt. Dann wurde Jagd auf den Photographen gemacht, der die Szene aufgenommen hatte. Ein Freiraum für Schläger.

Einem älteren Demonstranten gegenüber hiess es: „Ich bring dich um, du dreckiger Pazifist!“

Es gab über 20 Verletzte, 6 Leute wurden festgenommen.

Vicenza ist derzeit der Hauptbrennpunkt der italienischen Bewegung gegen Militärbasen und gegen die NATO, in Vicenza existiert seit zwei Jahren eine Massenbewegung, Die Bewegung No dal Molin, die sich auf breiteste Teile der Bevölkerung stützen kann, Italien ist das Land in Europa, in dem seit mehr als dreissig Jahren, mit Unterbrechungen und wechselnden Akteuren, Kämpfe gegen NATO und NATO-/US-Stützpunkte geführt werden. Die Bewegung, die sich in Vicenza kristallisiert, ist die einer neün Generation, an deren Kampf aber die politisch bewusssten Schichten der älteren Generationen aktiv teilnehmen.

Bisher bestand im Brennpunkt Vicenza eine Art ruhiggestellter Krieg, ein implizites Stillhalteabkommen zwischen Polizei, Carabinieri und den politischen Institutionen des Kapitals auf der einen Seite und der sehr breiten Bewegung, die mit einer Sprache zu sprechen versteht, die von der gesamten Bevölkerung verstanden wird,. Mit dem überfall vom .6. 9. wurde die bisherige Stillhaltepolitik jäh zerschlagen, und das gibt dem Konflikt eine neü Qualität. Bisher war ein solches Verhalten gegenüber der Bewegung, die sich selbst mit aüsserster Striktheit an Gewaltfreiheit hält, undenkbar gewesen.

Dies ereignet sich in einem Gesamtkontext von immer häufiger und intensiver auftretenden Strafexpeditionen und Strafmassnahmen des italienischen Staates und parallel dazu faschistischer Gruppierungen, die gegen die gesellschaftliche Opposition, gegen die Linke, gegen das Andere, das Abweichende, die ImmigrantInnen gerichtet sind.. Die italienische Gesellschaft ist derzeit von einer Art Strafhysterie geprägt, die auch vor den Touristen nicht haltmacht, die wegen kleinster Kleinigkeiten von der Polizei drangsaliert oder zur Kasse gebeten werden. Es ist eine Synergie von (teilweise faschistisch geprägtem) Staat und faschistischen Organsiationen. Staatsmorde und faschistische Morde geben sich die Klinke in die Hand.

Nach einer Veranstaltung, die an die Ermordung eines Genossen durch Faschisten in Ostia vor einem Jahr erinnerte, wurden Teilnehmer dieser Gedenkveranstaltung von einer faschistischen Schlägerbande krankenhausreif geprügelt. Diese zumeist mit Kettern und Stangen bewaffneten poltischen Banden ziehen jetzt überall in Italien auf, und wenn es einige Zeit lang schien, als würde sich Verona zur Hauptstadt des italienischen Faschimus – in Zusammenarbeit mit dem Leghismus!- entwickeln, so dürfte ihm Rom jetzt doch den Rang ablaufen. Homosexülle Paare in Rom werden auf offener Strasse angegriffen und dies mit der Begründung „Ja die Zeiten sind jetzt andere!, und die Polizei geht gegen alles Linke vor, gedeckt von der neün Berlusconi-Regierung, die, abgesehen von der Alleanza Nazionale, die man selbst als faschistisch bezeichnen muss, zahlreiche dokumentierbare Qürverbindungen zu neofaschistischen Organisationen aufweist.

Nicht nur eine Neu-Faschisierung von Staat und Gesellschaft greift Platz, es fallen auch für die offizielle Politik die letzten Barrieren, sich zum historischen Faschismus zu bekennen. Der neü italienische Verteidigungsminister Ignazio La Russa (Alleanza Nazionale) lobte am Jahrestag der Befreiung Roms ausdrücklich die Soldaten des von Mussolini im Jahre 1943 in Norditalien neugegründeten faschistischen Regimes, der Republik von Salà², und deutete deren Option für den Faschismus in patriotischen Widerstand um, stellte sie revisionistisch und zynisch dem Widerstand der Partisanen gleich.

Neofaschistische Bandentätigkeit, offene Apologie des Faschismus durch Regrieungsangehörige und, damit organisch verbunden, die verstärkte Kriegspartnerschaft mit den US-Amerikanern: in diesem Rahmen ist der Vorstoss der Polizei in Vicenza eindeutig als Vorzeichen einer „Chilenisierung“ Italiens zu sehen, die in politischen Reden bereits oft an dei Wand gemalt wird.

Abgesehen von der konkreten Auswirkung dieser Gesamtfaschisierung hat Berlusconi selbst durch eine Intervention beim Bürgermeister von Vincenza Grünes Licht gegeben für beginnende Polizeioperationen im Stile Genuas. Er versuchte, in einem Schreiben an den Bürgermeister Vicenzas, Achille Variati, ganz offem auf die lokale Politik Einfluss zu nehmen. Dies geschah genau einen Tag vor den Polizeiübergriffen!

Variati, von der Demokratischen Partei, stellt sich hinter eine Volksbefragung zum Thema Dal Molin, die in Vicenza am 5. Oktober stattfinden wird. Das Projekt ist seit langem eingeleitet und abgsprochen. Berlusconi besteht jedoch schwarz und weiss darauf, dass eine solche Volksbefragung nicht das geeignete Mittel wäre. „Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern, dass die Volksbefragung, die Sie eingeleitet haben, ein falsches Mittel am falschen Ort ist.“ heisst es im eingebildeten Jargon der italienischen Amtssprache..Schliessslich sei das Grundstück ja den Amerikanern überantwortet worden. Die Volksbefragung stelle sich hiemit gegen eine Entscheidung der Regierung. Damit versucht er, der lokalen Meinungsbildung zu Dal Molin die Legitimiatet abzusprechen. Davon sind offensichtlich auch lokale Entscheidungsfindungsmechanismen betroffen. Von der höchsten Regierungsspitze wird also ein jeglicher Protest vor Ort delegitimiert, das heisst freie Bahn für die Polizei

„Da gibt es Kräfte, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass eine Volksbefragung stattfindet“, gibt Variati seine Einschätzung zu den Vorfällen.

Als Reaktion auf die übergiffe fordert die Bewegung den Rücktritt des Polizeipräsidenten. Auch der von der Regierung Prodi eingesetzte Sonderkomissär Paolo Costa, der zu Beginn als Vermittler angedient wurde, sich aber immer mehr als Scharfmacher erwiesen hat, wird nicht verschont Von ihm stammt der Spruch: „Jeglicher lokale Widerstand muss mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden! „

Vicenza als derzeit stärkstes Mobilisierungszentrum steht für den Widerstand gegen NATO, USA und Krieg überhaupt. Steht für den gesamteuropäischen Widerstand, der in Tschechien und Polen weitere Mobilisierungszentren geschaffen hat. Nachdem sich im vergangenen Jahr Rifondazione nicht gegen den Afghanistan-Einsatz Italiens ausgesprochen hat und sich grosse Teile der Basis- und Bewegungslinken daraufhin definitiv und hart von jeglicher Zusammenarbeit mit Rifondazione getrennt haben, also de facto vom Standpunkt der Bewegungen keine Parteien mehr existieren, die Träger einer antimilitaristischen Politik wären, bleiben nur mehr die Bewegungen selbst übrig.

Wenn „Vicenza“ fällt, fällt der Widerstand der Bewegungen, der einzige legitime Widerstand gegen Staat, Kapital und Krieg. Da in Vicenza stellvertretend ein Krieg der Basis gegen das europäische Kapital, gegen den EU-US-.Krieg geführt wird, ist die Unterstützung der Bewegung der No dal Molin eine ureigenste Angelegenheit aller KriegsgegnerInnen Europas. Eine Solidaritätsadresse aus Anlass der Repression sollte ein Minimum an internationalistischer Kultur bedeuten: nodalmolin@libero.it

Aug und Ohr
14. September 2008

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