Verliert sie dabei den Dollar als Weltgeld?
Weiters: der angeschlagene Neoliberalismus und die Probleme der österreichischen Banken.
Mit der gewaltigen Summe von 700 Milliarden Dollar springt die Regierung der USA dem internationalen Finanzsystem bei – sollte der Plan des US-Finanzministers angenommen werden. Was ausgesprochen wahrscheinlich ist. Das Geld soll verwendet werden, um den US-Banken notleidende Kredite abzukaufen. Nota bene: 700 Milliarden ist nicht die Summe die für den Kauf von Krediten verwendet werden kann, um 700 Milliarden darf die Staatsverschuldung ausgeweitet werden – da die gekauften Kredite ja nicht völlig wertlos sind, könnten damit noch weit größere Summen bewegt werden.
Und trotz des angekündigten gigantischen Hilfspakets ist die Finanzkrise nicht vorbei, im Gegenteil: am 25 September musste eine weitere US-Bank notverkauft werden.
Die Ereignisse der letzten Wochen sind keine Kleinigkeit. Im Gegenteil: Wir glauben, dass im September 2008 Quantität in Qualität umgeschlagen hat. Der globalisierte Kapitalismus steht nicht vor dem Zusammenbruch. Aber seine Weltordnung mit den USA als absolutem Zentrum ist definitiv erschüttert.
In einem Artikel für die aktuelle Ausgabe der Intifada haben wir Ende August festgestellt, dass die Finanzkrise weit schärfer ist als damals von den meisten Beobachtern vermutet. Weiters waren wir aber überzeugt, dass staatliche Hilfen einen echten Zusammenbruch des Bankensystems verhindern würden (im Gegensatz zu Japan in den 90er Jahren). Und letzten Endes waren wir der Überzeugung, dass nicht nur die amerikanische Regierung, sondern auch Kapital aus Asien und den Golfstaaten den US-Banken beispringen würde, wie dies im letzten Jahr schon öfters geschehen ist. Diese Annahmen waren nicht völlig falsch, aber das Ausmaß der Krise übertrifft doch die Vermutungen.
Mitte September ist die Finanzkrise endgültig eskaliert. Der Versuch die Lehman Brothers mit chinesischem Geld zu retten scheiterte, die Bank brach zusammen. AIG musste mit öffentlichen Mitteln gerettet und praktisch verstaatlicht werden. Schließlich war auch Goldman Sachs in Gefahr – inakzeptabel: das Institut verfügt über beste Beziehungen zur Regierung. Finanzminister Paulson kommt von Goldman Sachs und schritt zur Rettung seiner Spekulanten – nachdem die amerikanischen Konservativen Jahre lang gepredigt haben, dass man den Ärmsten der Gesellschaft nicht helfen darf. Goldman Sachs gehört nicht zu den Ärmsten, die 700 Milliarden werden letzten Endes vom Kongress bewilligt werden. Und sollte dieser Plan scheitern, wird ein anderer, ähnlicher, folgen. Und weitere werden wahrscheinlich noch kommen. Im Augenblick sieht es so aus, als würden in der Endabrechnung auch 700 Milliarden nicht reichen.
Die Strategie der US-Regierung ist wohl (von den Interessen des amerikanischen Oligarchie aus gesehen, und ohne alle Details abschätzen zu können) die richtige. Eine massive Ausweitung der Staatsverschuldung, um einen Zusammenbruch abzuwenden. Nicht alle retten, aber die wesentlichen Banken auffangen. Es scheint aber, dass die USA vom schieren Ausmaß der Probleme überfordert ist. Und alleingelassen: dem Hegemon sind die Vasallen davongelaufen, die die Rechnung für die Überschuldung der letzten Jahre hätten bezahlen sollen. China wollte Lehman nicht retten. Die US-Regierung hat das nicht geglaubt, wir auch nicht, ist aber passiert. Damit fallen die Krisenkosten jetzt tatsächlich auf das US-Budget zurück – eine deutliche Ausweitung der Staatsschulden, von jetzt etwa 65 Prozent des BIP auf vielleicht 90 oder 100 Prozent bei der Endabrechnung in drei Jahren.
Will die USA auf dieser Grundlage die Augenblickliche Stellung des Dollar als alleinige Weltreservewährung halten, dann wird sie – nachdem eine weltweite Rezession im Augenblick Inflationsgefahren geringer werden lässt – mittel und langfristig nicht nur die Staatsverschuldung drastisch zurückfahren müssen (ein gewaltiger nachfrageseitiger Schock), sondern auch die Zinsen deutlich heben müssen, um die inländische Sparquote zu heben und den Dollarkurs zu verteidigen. Eine deflationäre Rosskur, nicht nur für die USA, sondern auch die gesamte Weltwirtschaft, die auf den US-Markt für die Exporte angewiesen ist.
Die andere Strategie wäre ein weicher Dollar, niedrige Zinsen, Abwertung und eine Schuldenentwertung per Inflationsschub. Praktisch eine schleichende Enteignung der Gläubiger, die natürlich den gewaltigen Kapitalzufluss in die USA beenden wird. Letztlich führt diese Strategie natürlich auch zu steigenden Realzinsen: Wenn die Mittelzuflüsse in die USA versiegen, dann muss die Sparleistung aus eigener Kraft gebracht werden.
All das bedeutet im Wesentlichen, dass die Stellung der USA im absoluten Zentrum der Weltwirtschaft allmählich vorbei ist, das Zentrum, das den weltweiten Überschuss der Warenproduktion abnimmt und dessen überdimensioniertes Bankensystem dafür die Sparguthaben der ganzen Welt recycelt. Strategie harter Dollar beendet zuerst die Stellung der USA als „consumer of last resort“ und würde etwa China oder Japan dazu zwingen ihre Handelsbeziehungen völlig neu zu ordnen, die Abhängigkeit vom US-Markt (nach schmerzhaften Konvulsionen) abzustreifen – was langfristig auch die Stellung des Dollar untergraben wird. Strategie weicher Dollar beendet zuerst die Stellung als Weltreservewährung. Wahrscheinlich wäre ein ordentlicher Inflationsschub vernünftiger, aber wir müssen uns nicht den Kopf der Federal Reserve zerbrechen.
Das Ende der Sonderstellung des Dollars kommt nicht sofort, denn dafür bedarf es nicht nur der Schwäche der USA, sondern auch einer Alternative – und die Euro-Zone oder China werden von der jetzigen Rezession ebenfalls hart getroffen. Auch gibt es in der aktuellen Krise weitere Elemente der Stabilisierung, etwa das Wachstum der US-Exporte (siehe dazu Intifada, September 2008). Aber es ist kaum vorstellbar, dass den USA noch einmal wie in den letzten Jahren die Sparguthaben der ganzen Welt aufgedrängt werden, und ihr Finanzmarkt gleichzeitig in der Lage ist diese aufzunehmen. All das bedeutet kein Ende der US-Hegemonie, die USA bleiben, auch ökonomisch, der bei weitem stärkste Spieler. Die totale Unipolarität ist aber wohl vorbei.
Gemeinsam mit dem amerikanischen Finanzsystem und den amerikanischen Konsumenten ist auch das amerikanische Kapitalismusmodell in die Krise geschlittert. Rückzug des Staates, Globalisierung und Deregulierung: Erst ein völlig außer Kontrolle geratener internationaler Finanzsektor konnte die hemmungslose Kreditvermehrung bewerkstelligen. Damit wirkt er ausgesprochen prozyklisch und verstärkt konjunkturelle Trends. Zuerst wurde der US-Häusermarkt in die völlige Überhitzung getrieben, jetzt wird der ganzen Welt auf einmal die Kreditlinie abgetrennt. Und wenn alles zusammenbricht, wird der Staat zu Hilfe gerufen.
Man wird versuchen die Exzesse wieder unter Kontrolle zu bringen, Ansätze stärkerer Regulierung werden in den nächsten Jahren überall auftauchen. Die Frage ist, ob´s funktioniert. Solange die Finanzmärkte völlig internationalisiert sind, wird jede nationale Regulierung zum Wettbewerbsnachteil gegen weniger regulierte ausländische Banken und Investoren.
Es bleibt aber ein Verlust amerikanischer Hegemonie auch auf dieser Ebene: langsam wird es schwierig, die absolute Überlegenheit des anglosächsischen laissez-faire zu betonen, wenn man sich selbst in keiner Weise mehr daran hält.
Ein Ereignis historischer Tragweite: der Neoliberalismus und sein gesamtes gebäude aus Theorien und Glaubenssätzen stecken in einer ernsten Krise.
Auch in Europa haben die neoliberalen Dogmen harte Schläge erhalten: der österreichische Wahlkampf ist dafür nur ein kleines Zeichen, aber dennoch: letzten Endes verteidigt nur noch die ÖVP das „keine Schulden um jeden Preis“ und auch diese sah sich zu einigen ganz klassischen Sozialstaatlichen Maßnahmen gezwungen. Quer durch Europa betont man auf einmal die Notwendigkeit staatlicher Regulierung. Allerdings scheint sich die Europäische Zentralbank in einem Zustand grober Unzurechnungsfähigkeit zu befinden: Der Leitzins wurde immer noch nicht gesenkt, obwohl der globale Kriseneinbruch allerspätestens im Frühjahr für alle offensichtlich war.
Auch die österreichische Provinz wird übrigens von der Finanzkrise durchgebeutelt werden. Im allgemeinen durch den konjunkturellen Abschwung, im besonderen aber durch das österreichische Bankensystem, das sich durch seine neokolonialen Osteuropa-Abenteuer beträchtlichen Risiken ausgesetzt hat. Im Augenblick geht auch in Osteuropa den Immobilienblasen die Luft aus, man wird sehen, ab wann sich die Kreditausfälle häufen und auch die österreichischen Sparer ins Schwitzen geraten. In Schweden ist das Bankensystem bereits in ziemlichen Schwierigkeiten: Hintergrund ist die offensive Ost-Expansion der letzten Jahre.
Die extremen Verwerfungen der Finanzmärkte machen eines deutlich: Globalisierung und Liberalisierung mögen noch nicht am Ende sein. Solange die Profitraten hoch sind mag die globale Oligarchie durchaus in der Lage sein die aktuellen Schwierigkeiten zu überwinden – wenn auch mit gewaltigen Kosten und einer veränderten Stellung der USA. Aber: bereits der „Aufschwung“ ist an der Mehrheit vorbeigegangen. Der Abschwung trifft jetzt doppelt.
Die Krise heißt: Das Finanzmarktgestützte Akkumulationsmodell der Oligarchie muss zerschlagen werden. Wir benötigen ein Modell langfristigen und nachhaltigen Wachstums, gestützt auf die Versorgung und den Konsum der breiten Mehrheit der Bevölkerung. Wir benötigen eine Kontrolle der Globalisierung und ein Ende der deregulierten Finanzmärkte. Banken sind dazu da Spareinlagen aufzunehmen und Kredite zu vergeben. Wenn das der Privatwirtschaft zu langweilig ist, dann wird man ihr die Sache aus der Hand nehmen müssen. Eine Zentralbank ist dafür da, einen geordneten Verlauf der Wirtschaft zu ermöglichen – wenn ihre neoliberalen Manager aufgrund einer obsessiven Fixierung auf die Inflationsrate dazu nicht in der Lage sind, dann muss man die Zentralbank eben demokratischer Kontrolle unterstellen.
Wir benötigen das Ende einer Weltwirtschaftsordnung, die auf die Interessen einer kleinen Gruppe von Superprivilegierten ausgerichtet ist.
AIK, 27. September 2008