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Protest der Rechtspopulisten

10. Oktober 2008

Erklärung zur Nationalratswahl in Österreich, AIK

Österreichische Nationalratswahlen: Die beiden historischen Lager der 2. Republik, Christlichsoziale und Sozialdemokraten, erreichen zusammen nur noch 54 Prozent der Wählerstimmen – bei einer Wahlbeteiligung von knapp 80 Prozent ist das nicht einmal jeder Zweite… Der Wahlsonntag hat damit die weitgehende Entfremdung der Bevölkerung vom politischen System und den Großparteien der 2. Republik gezeigt, eine Tendenz die in den 80er Jahren begonnen hat und scheinbar kein Ende findet.
Schon zuvor, im Laufe der 80er und 90er Jahre, hatte sich das politische System seiner selbst entfremdet. Die SPÖ hat sich von der alten Sozialdemokratie in eine „moderne“ Partei der neoliberalen Mitte verwandelt. Und die ÖVP hat die Werte des politischen Katholizismus, des Christlich-Sozialen (die sich keineswegs auf den autoritären Ständestaat reduzieren lassen, sondern auch die Bewegung der ländlich-katholischen Massen bedeuteten) längst ausgetauscht… um sich ebenfalls in der neoliberalen Mitte zu finden. Das Ende der weltanschaulichen Lager hat damit auch eine Amerikanisierung der Politik gebracht: Show und Medienrummel, statt Ideologie, ein Wechsel von Mitte-Rechts und Mitte-Links Regierungen, die beide verlässliche Herrschaftspolitik betreiben.

Prinzipienlosigkeit, Beliebigkeit und die Entartung der Lagerdemokratie zum Postenschacher. Die Unfähigkeit Antworten auf die Probleme der Globalisierung zu geben, außer ein paar kosmetischen Korrekturen. Das sind die Punkte, die Politik und Politiker als abgehobene Kaste erscheinen lassen, als opportunistische Technokraten der Macht. Das sind die Punkte, die die Menschen bei der Wahl zu Hause bleiben lassen oder in die Arme des Rechtspopulismus treiben. Niemand verkörpert die Politik als Herrschaft der machtbesessenen Technokraten und der neoliberalen Sach- und Sparzwänge besser als die heutige ÖVP. Niemand hat so viele Stimmen verloren wie diese ÖVP.

Der Rechtspopulismus ist der große Sieger der Nationalratswahl. Er hat zumindest eine halbe Antwort auf die Globalisierung und erfüllt die Sehnsüchte nach Identität (wenn auch auf rassistische und menschenverachtende Weise.) Er erfüllt das Bedürfnis auf den Tisch zu hauen. Kommen die Rechtspopulisten dann einmal an die Macht, gibt’s allerdings die selbe Art der Politik, nur noch etwas wilder, wie die Jahre der Schwarz-Blauen Regierung gezeigt haben: Postenschacher brutal. Sozialabbau ohne Hemmung. Kurzzeit-Justizminister, mit Cabrios und Kurzzeit Affären mit der Miss Austria. Lifestyle-Finanzminister, die die in Lifestyle Magazinen ihren Oberkörper entblößen… Politik als Show, abstoßend, er eine faschistische Revolution sieht anders aus.
Die Strache-FPÖ ist dabei ohne Zweifel etwas seriöser und radikaler als die Haider-FPÖ oder das heutige BZÖ. Sie kann mit einiger Berechtigung behaupten, in Opposition zum schwarz-blauen Regierungskurs gestanden zu sein. Auf der anderen Seite: die Rufe nach Wiedervereinigung mit dem BZÖ… das sind die Rufe nach neuer „Regierungsverantwortung“, die Lust auf die Futtertröge der Macht. Strache selbst scheint sich querzustellen, um nicht als Juniorpartner wie schon 2000 unterzugehen. Aber für den Fall der Fälle: man kann gespannt sein, welche kokainsüchtigen Dandys eine eventuelle schwarz-blau-orange Regierung zusammen fangen und für ministeriabel erklären wird.

Der Wahlsonntag war auch die große Niederlange von allem was sich selbst als links versteht. Die Grünen haben Stimmen verloren. Die KPÖ hat verloren. Das Wahlbündnis „Linke“ ist weit unterhalb der Wahrnehmbarkeitsgrenze geblieben. Jetzt kann man behaupten, die Grünen wären keine echten Linken und Van der Bellen zu verschlafen. Die KPÖ wäre reformistisch. Und die Liga für eine sozialistische Revolution glaubt, die „Linke“ hätte besser abgeschnitten hätte sie im Programm die proletarische Revolution gefordert. Wir zweifeln an diesen Erklärungen.
Wir befinden uns in einer Krise des österreichischen politischen Systems. Wir befinden uns in einer weltweiten ökonomischen Krise. Durch den Zusammenbruch der Finanzmärkte befinden wir uns auch in einer Krise der neoliberalen Globalisierung, ihrer ideologischen Rechtfertigung und ihrer finanzmarktgesteuerten Regulierung. Das ist die Krise auf die die Linke seit Jahren gewartet hat – nur um jetzt noch einmal geschwächt und marginalisiert zu werden? Man kann der KPÖ vorwerfen was man will – aber warum kann Mirko Messner, dem man sein ehrliches sozialpolitisches Engagement sofort abnimmt, nicht wenigstens ein bisschen in das Vakuum stoßen, dass der Rechtsruck der Sozialdemokratie hervorgebracht hat? Es ist zu befürchten, dass wir das Ergebnis eines langen Prozesses sehen, der nur durch radikale Schritte zu stoppen sein wird.
Die Linke ist zu einer Schönwetteroption geworden. Wenn alles seinen normalen Gang geht, dann wählt man Kaltenegger, um ein Zeichen für mehr sozialen Ausgleich zu setzen. Aktivisten, Sympathisanten und Wähler kommen aus den liberalen Mittelschichten, haben letzten Endes bei einem totalen Wandel der politischen Verhältnisse recht viel zu verlieren. Bei krisenhaften Entwicklungen wählen sie sicherheitshalber die SPÖ, schon allein damit die ÖVP nicht die Vereine austrocknet, bei denen man als Sozialarbeiter beschäftigt ist. Der Protest der Unterschichten, der Protest der Arbeiter, die noch in Liedern besungen werden, oder jener der bildungsferneren Schichten des Mittelstandes, der geht an der Linken vorbei und nach rechts. Auch das im übrigen ein Phänomen der Amerikanisierung: die Republikaner sind die Partei der Superreichen, der ländlichen Unterschichten und der weißen Arbeiter.
Das ist keine Entwicklung, die durch ein anderes Programm so einfach behoben werden kann. Schon allein, weil niemand ein Wahlprogramm liest. Das ist aber auch keine Entwicklung die tatsächlich unumkehrbar ist, wie das Beispiel von Oskar Lafontaine und der deutschen Linkspartei zeigt.

Unter den Freunden der großen Koalition, die freilich auch die SPÖ für links halten, gibt es ein geflügeltes Wort: „Große Koalition, damit die Bürgerlichen schauen wie das Geld hereinkommt, und die Sozialdemokraten darauf achten, dass es gerecht verteilt wird.“ Mit dieser Logik wird eigentlich nicht gebrochen: Die SPÖ hat ein paar soziale Forderungen, wer links von der SP sein will stellt mehr auf, und wer links von der KP sein will, ganz ganz viele. Das Wahlprogramm der „Linken“ liest sich daher ein bisschen wie der Brief an das Christkind: 30 Stunden Woche mit hohem Mindestlohn, Beihilfen für Studierende auf der Höhe dieses Mindestlohns… Ohne eine breit verständliche Möglichkeit der Umsetzung wird man in Krisenzeiten nicht zu einer Alternative, sondern einfach nur unglaubwürdig. Das ist nicht nur ein Problem des geschriebenen Worts. Das ist ein Problem des Selbstverständnisses und der politischen Kultur: Sozialer sein, als die Sozialdemokraten. Antirassistischer als die Grünen. Wilder als die KPÖ. Nichts davon ist einfach falsch, aber nichts davon ist eine echte Alternative.

Was wir wirklich benötigen ist eine Antwort auf die Globalisierung und ihre Krise, eine Antwort die sich nicht in Abstraktionen wie dem „Sozialismus“ oder der „proletarischen Revolution“ verliert. Beides mag vorkommen, doch beides kann nicht das Zentrum sein, weil jeder weiß, dass das keine aktuellen Möglichkeiten sind.

Unsere Aufgabe ist es Alarm zu schlagen angesichts der Auswirkungen der wirtschaftlichen Verwerfungen. Alarm zu schlagen angesichts des fortschreitenden Demokratieabbaus. Konkrete Forderungen gegen die finanzmarktgesteuerte Globalisierung und die Diktatur der Konzerne vorzubringen – mit einer Kontrolle des Bankensystems und einer Abkehr vom Prinzip des totalen Freihandels als erste Notmaßnahmen. Konkrete Forderungen gegen die Aufhebung der Demokratie in die transnationalen Machtzentren der Oligarchie aufzustellen – mit der Durchsetzung von Elementen der partizipativen Demokratie als ersten Schritt. Wir benötigen auch konkrete Forderungen gegen jede Form der aggressiven österreichischen Außenpolitik (heute meist in Gestalt der EU), Widerstand gegen das euroamerikanischen Imperium, seinem ewigen Krieg gegen den Terror und seinem neuen Konfrontationskurs gegen Russland – mit der Verteidigung der Neutralität und dem Kampf gegen jede Erweiterung der NATO als ersten Schritt.
Der politische Hauptstoß muss sich dabei gegen das Zentrum richten, gegen die liberalen Verwalter der Globalisierung. Zu diesem Zentrum benötigen wir eine glaubwürdige Alternative, dann kann auch der Rechtspopulismus bekämpft werden. Der Rechtspopulismus ist Resultat der Krise, wer glaubt ihn in einer „breiten Front“, vielleicht gemeinsam mit der SPÖ und den Grünen, stoppen zu können, der wird zum Anhängsel der Liberalen, letztlich zu ihrem Apologeten. Und überlässt der FPÖ das Feld des Protestes.

Glaubhafte Alternative: Dafür brauchen wir eine breite Koalition für die Verteidigung der Interessen der Mehrheit der Bevölkerung. Die Antiglobalisierungsbewegung muss Teil davon sein. Kritische Teile der Gewerkschaften wären wichtig (wenn auch schwierig, in Österreich). Kritische Teile der Glaubensgemeinschaften von größter Bedeutung. Das muss nicht antikapitalistisch sein (auch wenn Antikapitalisten ihren Platz haben sollen). Aber radikal gegen die Herrschaft der Oligarchie.

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