von Rafiq Yunis
Unter der Überschrift „Imame rufen zur Verfolgung von Christen auf“ berichtete DIE WELT in einem Artikel vom 14. Oktober: „Christen im Irak schweben in Lebensgefahr. Radikale Muslime machen Jagd auf Andersgläubige. In der Stadt Mosul sollen gezielte Säuberungen stattfinden.“ (1) In dem Artikel sind es dann weniger die Imame, die zu dieser Verfolgung aufriefen, dafür aber „alQaida“ und „einige Anhänger Saddams“, und damit eben wieder mal „radikale Muslime“ (2).
Naturgemäß ist die Realität eine andere. Fakt ist, dass in Mosul über 4000 Christen auf der Flucht sind – vor allem in benachbarte Dörfer, Kirchen und Klöster. Damit erreichen die ethnischen Säuberungen und Vertreibungen im US-Besetzten Zweistromland einen neuen traurigen Höhepunkt, dessen Opfer abwechselnd die in den jeweiligen Regionen beheimateten Minderheiten sind.
Im Irak Saddam Husseins waren die Christen ein respektierter Teil der irakischen Nation. Der stellvertretende Premierminister Tariq Aziz war Christ, es gab keine Einschränkungen für ihren Glauben, Ehen zwischen Christen und Muslimen waren genauso respektiert wie die vielen Kirchen Landes. Wie so vieles jedoch verschlechterte sich auch die Lage der Christen nach dem Einmarsch der USA drastisch: die irakische alQaida hatte zuvor ebenso wenig existiert wie die sektiererischen Milizen; hinzukommen die zahllosen Überfälle Krimineller. Viele Christen flohen nach Syrien, die Verbliebenen aber unterstützen wie die meisten Iraker den Widerstand gegen die Besatzung, die für das unermessliche Leid der Bevölkerung die Verantwortung trägt.
So forderte schon die „Jihad Army“ in ihrer englischsprachigen Botschaft vom Dezember 2004 die Besatzungssoldaten auf, in den „Kirchen und Moscheen des Landes“ (3) Zuflucht zu suchen um mit Hilfe der Guerilla in sichere Nachbarländer geschafft zu werden, damit sie nicht für diesen barbarischen Angriffskrieg ihr Leben lassen. Und erst im September 2007 wiederholten die „Brigaden der Revolution von 1920“ in der englischen Videobotschaft „The Hidden Facts“ ihre Aufforderung an die US-Soldaten: „jenen, die kein Teil des Verbrechens sein wollen, bleiben die Türen unserer Moscheen und Kirchen geöffnet.“ (4) Schließlich traf sich der deutsche Autor Jürgen Todenhöfer im August 2007 mit einem christlichen Widerstandskämpfer in Ramadi, der bestätigt, dass Muslime und Christen gemeinsam im Befreiungskampf aktiv sind. (5)
Zu den neusten Verbrechen in Mosul hat die irakische Guerilla innerhalb weniger Tage mit scharfen Verurteilungen reagiert – ebenso wie die „Vereinigung der islamischen Religionsgelehrten“ (AMSI).
Die „Front für Jihad und Veränderung“, der unter Anderem die „Jihad Army“, die „Brigaden der Revolution von 1920“ und die „Rashideen Army“ angehören, schreibt: „die Verbrechen entbehren jeder islamischen Rechtfertigung, widersprechen den Interessen der Nation und jeder Moral. Sie sind ein Versuch, das Ansehen des Widerstands zu beschmutzen, ihn zu isolieren und die Bevölkerung zu spalten. Wir sagen: der Widerstand kämpft für alle Iraker, somit auch für die Christen.“ Sie erläutern dann, dass „die Gräben zwischen den Helfern und Gegnern des Besatzungsprojektes verlaufen“, nicht zwischen den Religionen. Darüber hinaus verurteilen sie jegliche Vertreibungen. (6)
Der „Politische Rat des Irakischen Widerstandes“ schreibt: „Wir verurteilen die Verbrechen gegen die Christen von Mosul“ und erklärt die traurigen Ereignisse mit den Besatzerzielen, die „den Widerstand des Volkes brechen“ und die verbreitete Ablehnung der Besatzung bekämpfen wollen. Die Säuberungen und Verfolgungen im ganzen Land werden kritisiert und die Befreiung des Irak als Grundlage der Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung genannt.
Schließlich schreibt die AMSI: „Diese Taten sind durch den Islam und seine tolerante Lehre nicht zu rechtfertigen. Andere Religionen lebten stets in Toleranz, Frieden und Sicherheit unter islamischer Herrschaft… der irakische Widerstand und sein Befreiungsprojekt zielen lediglich auf die Vertreibung der Besatzung.“ (7)
Beim Lesen dieser Stellungnahmen werden drei wichtige Dinge klar:
I.) Der vor allem islamisch geprägte Widerstand kämpft für alle Iraker, verurteilt Angriffe gegen Unschuldige, nimmt Minderheiten unter seinen Schutz und warnt vor den Versuchen, die Bevölkerung gegeneinander auszuspielen. Es ist vor allem das Ansehen des Widerstandes, die Ablehnung der Besatzung und die Solidarität der Iraker, gegen die sich diese Angriffe richten, so der Tenor aller Erklärungen.
II.) Die Berichterstattung der westlichen Medien ist katastrophal. Im Vordergrund steht die Rechtfertigung und Propagierung der Verbrechen der Herrschenden, dazu die unaufhaltsame Hetze gegen den Islam und die vollkommene Ignoranz gegenüber den irakischen Befreiungsorganisationen, die sich zu drei zentralen Fronten vereinigt haben und regelmäßig zu allen Entwicklungen Erklärungen abgeben. (8)
III.) Gerade die auf die islamische Welt projizierten Phantasien von Gewalttätigkeit, Brutalität und Intoleranz sind in Wirklichkeit die bestimmenden Merkmale der westlichen Geschichte und Politik. So waren es beispielsweise nicht die Muslime, die die Kreuzzüge geführt, die Indianer ausgerottet und den halben Erdball kolonialisiert haben. Auch haben die Muslime keine zwei Weltkriege geführt haben, Atombomben auf japanische Städte geworfen, Apartheidstaaten eingerichtet oder Angriffskriege in allen Regionen der Welt geführt.
Die Opfer der imperialistischen Aggression, die Muslime und die islamischen Länder, haben also wenig mit den Dingen, derer man sie beschuldigt, zu tun. Vielmehr wurde unter islamischer Herrschaft Andalusien zur ersten multikulturellen Gesellschaft Europas – die katholische Inquisition setzte dem ein blutiges Ende. Auch die Jahrhunderte lang in Europa verfolgten Juden lebten in Palästina friedlich mit den dortigen Muslimen zusammen, und als Saladin Jerusalem von den brutalen Kreuzfahrern zurückeroberte verzichtete er bewusst auf Rache an den in der Stadt lebenden Christen. Muslimische Staaten haben Juden und Christen kaum je an der Ausübung ihrer Religion gehindert, wie schon im islamischen Recht gefordert wird (9)
Heute sind es lediglich alQaida und saudisch-wahabitische Strömungen, die ernsthaft vom Kampf gegen Christen träumen – und der amerikanische Imperialismus, der seine weltweiten Besatzungsprojekte nur durch die Spaltung der betroffenen Bevölkerung und die Unterstützung in der Ersten Welt realisieren kann und dem Ereignisse wie die von Mosul nur gelegen kommen können.
Der irakische Widerstand wird den Kampf für die Befreiung der Iraker fortführen. Die westlichen Massenmedien werden ihre Desinformationskampagne gegen die Menschen in den Metropolen fortführen. Doch so wie die militärischen Pläne der Aggressoren vom Widerstand zerstört werden, müssen alle fortschrittlichen Kräfte daran arbeiten, die Lügen über die Vorgänge in der Welt zu entlarven und der Hetze fundierte Tatsachen und die Sache der Unterdrückten gegenüberstellen.
(1) http://www.welt.de/politik/article2574511/Imame-rufen-zur-Verfolgung-von-Christen-auf.html
(2) Die Beschuldigung von „Anhängern Saddams“ ist lächerlich; die Baath fordert die Einheit der arabischen Nation. Auch alQaida ist wahrscheinlich nicht verwickelt. http://www.azzaman.com/english/index.asp?fname=news\2008-10-15\kurd.htm und http://www.adnkronos.com/AKI/English/Security/?id=3.0.2579084505
(3) „Islamic Jihad Army – We are simple people who chose principles over fear“ vom 13.12.2004 http://www.informationclearinghouse.info/article7468.htm
(4) „1920 Revolution Brigades – The Hidden Facts“ http://www.albasrah.net/ar_articles_2007/0907/kt2b20_250907.htm (das englische Transcript folgt nach dem Arabischen)
(5) Jürgen Todenhöfer „Warum tötest Du Zaid?“ S. 92
(6) „Jihad and Change Front“ (JCF) und „Political Council of Iraqi Resistance“ (PC-IR) veröffentlichen ihre Statements unter Anderem auf der arabischen Plattform www.alboraq.info
(7) AMSI Condemns threatening of the Christians http://www.heyetnet.org/eng/mansetler/3283-amsi-condemns-threatening-of-the-christians.html
(8) Siehe hierzu http://antikriegsforum-heidelberg.de/irakkrieg2/hintergrund/strukturen_irak_widerstand_upd10-07.htm
und http://antikriegsforum-heidelberg.de/irakkrieg2/hintergrund/strukturen_irak_widerstand.htm
(9) Gegen eine Steuer wird im islamischen Recht den Anhängern der Buchreligionen Religionsfreiheit, Schutz und Sicherheit gewährleistet; auch sind sie u. a. vom Militärdienst befreit. Im Koran heißt es z. B: „Willst du etwa die Leute zwingen, gläubig zu werden?“ [Sure 10:99] und „In der Religion gibt es keinen Zwang.“ [2:256]