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Buchbesprechung:“Streifzüge durch Palästina“

27. Januar 2009

Intifada Nr. 27, von Raja Shehadeh

Raja Shehadeh: STREIFZÜGE DURCH PALÄSTINA. Notizen zu einer verschwindenden Landschaft
Promedia Verlag
ISBN 978-3-85371-287-0, 184 Seiten, 17,90 Euro

Von 1978 bis 2006 durchwandert ein palästinensische Schriftsteller und Menschenrechtsanwalt seine Heimat Palästina. Allein oder mit Freunden begibt er sich auf die „sarha“, eine Wanderung, die ursprünglich weder durch Zeit noch Ort eingeschränkt war und deren Sinn es ist, sich zu regenerieren und Ruhe zu finden. In sechs Kapiteln können wir als Lesende Raja Shehadeh durch die Gegend rund um Ramallah und Jerusalem sowie durch die Schluchten und Wüsten zum Toten Meer und nach Jericho begleiten. Jede Wanderung steht für eine andere Etappe der palästinensischen Geschichte. Ende der 1970er Jahre geht es ohne Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die Olivenhaine und ein ausgedehntes wildes Naturreservat um Ramallah, während der letzte Streifzug an der Apartheid-Mauer endet, die das Westjordanland zerschneidet und zusammen mit der Siedlungspolitik Menschen und Natur zerstört hat. Symbolisch für die Zerstörung steht die Hügellandschaft westlich von Ramallah, deren wunderschöne Wanderwege zur Küstenebene am Mittelmeer unwiederbringlich verloren sind.

In den Schilderungen der sechs Wanderungen wird die Geschichte in persönlichen Erinnerungen an den juristischen Kampf des Autors um das Land, in Gesprächen mit arabischen Bauern, jüdischen Siedlern oder mit begleitenden Freunden wie Mustafa Barghouti lebendig.

Als Jurist sah der Autor seinen Beitrag im Kampf um Palästina darin, das Recht der palästinensischen Bevölkerung auf ihr Land einzufordern: Nach israelischem Recht darf Land in den besetzten Gebieten, das nicht ständig bewohnt ist, dem „israelischen Staat zur ausschließlichen Nutzung durch israelische Juden einverleibt“ werden. (S. 25) Der Raumordnungsplan für das Siedlungsprogramm sah allein bis zum Jahr 1986 Tonnen von Beton auf den Hügeln für „Siedlungsblöcke“ und für das dazugehörige Straßennetz für 80 000 israelische Juden vor. (vgl. S 60)
Zitiert wird u.a. Ariel Sharon, der damalige Verteidigungsminister Israels: “ Wir werden eine völlig veränderte Landkarte des Landes hinterlassen, die unmöglich ignoriert werden kann.“ (S. 61)

Nach Jahren musste Raja Shehadeh erkennen, „dass die rechtlichen Aspekte nur eine kleine und letztendlich unbedeutende Komponente sind. Der Bau der Siedlungen in den besetzten Gebieten ist ein Regierungsprojekt, das nicht durch juristische Schritte behindert werden soll.“ (S. 79) Die sehr persönlichen Schilderungen der Konsequenzen der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik für die palästinensische Bevölkerung, denen im wahrsten Sinne des Wortes der Boden unter den Füßen weggezogen wird, und für die Hügel, die für die Siedlungen „massakriert worden sind“ (S. 104), führen deutlich vor Augen, wie die israelische Besatzungspolitik das Menschen- und Völkerrecht mit Füßen tritt.

Raja Shehadeh schreibt auch über seine Enttäuschung über das Abkommen von Oslo, das er als „Dokument der Kapitulation“ (S. 111) der damaligen palästinensischen Führung sieht. Ein Drittel des Westjordanlandes wurde darin der „Zone C“ zugerechnet und blieb somit in der Zuständigkeit Israels, was verstärkter Siedlungspolitik Tür und Tor öffnete. Für den Kämpfer für das Land bedeutet das Abkommen von Oslo „den Tod für meine Wahrheiten“ (S. 116), für den Erwanderer seines Landes bedeutet es, sich in den Naturschutzgebieten und anderen noch unberührten Flecken illegal aufzuhalten.

Enttäuschung, Zorn oder Töne von Resignation des Autors angesichts von Ungerechtigkeit, Menschenverachtung und Rückschlägen sind genauso spürbar und nachvollziehbar wie die Liebe zum Land und seinen Menschen sowie der Kampf um Palästina. Die Streifzüge durch das Land und die Geschichte Palästinas der letzten dreißig Jahre werden durch Details und Einfühlsamkeit lebendig. Ein lesenswertes Buch, dessen englischsprachige Ausgabe den George Orwell-Preis im Jahr 2008 zu Recht erhalten hat.

Elisabeth Lindner-Riegler

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