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Der große Crash

27. Januar 2009

Ende des Neoliberalismus und der US-Hegemonie?, aus Intifada Nr. 27

Die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise ist von gewaltiger Tragweite.
Kurz zusammengefasst betrachten wir sie als gleichzeitige Krise des
finanzmarktgesteuerten Akkumulationsmodells, des exportorientierten
Entwicklungsmodells und der US-amerikanischen Hegemonie. Damit einher
geht eine Krise des marktradikalen Liberalismus. Ende 2009 werden in Europa 10 Millionen zusätzliche Arbeitslose
bezeugen können, dass die Träume des ewigen Wohlstands per
amerikanischem Kapitalismus beendet sind.

Fakten

Im letzten Jahrzehnt – und je weniger weit zurückliegend, umso
deutlicher – war privater Konsum extrem ungleich über die Erde
verteilt. Grundlegender Motor der Weltwirtschaft war der stark
steigende Konsum in den USA (und in einigen europäischen Ländern, die
natürlich nicht die gleiche Bedeutung haben), während das Wachstum
anderer Regionen stark exportabhängig war. Die großen Investitionen,
etwa in China, dienten ebenfall zum Aufbau von Exportkapazitäten. Das
internationale Ungleichgewicht im Konsum musste natürlich durch
entsprechende Kapitalströme in die Gegenrichtung finanziert werden: Die
US-Haushalte haben sich verschuldet, die Sparguthaben der restlichen
Welt (und deren Dollar-Devisenreserven) haben das finanziert.

Die genauen Wirkungsmechanismen – Immobilienblase, Kreditboom und deren
Ende – wurden an anderer Stelle beschrieben und brauchen nicht
wiederholt zu werden. Es reicht zu sagen: zu einem bestimmten Zeitpunkt
hat die Risikoneigung der Investoren gedreht, die Schulden der
US-Haushalte wurden nicht mehr automatisch refinanziert, die Blase ist
geplatzt. Das internationale Finanzsystem hat festgestellt, dass das
Geld, das den US-Haushalten geborgt wurde, wohl nicht mehr vollständig
zurückgezahlt werden kann. Die folgende Panik erklärt den Rest der
aktuellen Bankenkrise.

Erste Schlussfolgerung:

Das Problem der aktuellen Wirtschaftskrise sind faule Kredite und die
damit verbundenen Kapitalverluste. Das Problem ist auch eine
Finanzmarktpanik, die die Refinanzierung von Schulden verunmöglicht.
Beides kann früher oder später gelöst werden, auf Kosten der
Steuerzahler, die die Banken auffangen müssen. Dabei ist aber auch ein
völliger Zusammenbruch des Finanzsystems noch durchaus möglich. Eine
durchaus denkbare Variante: Zahlungsbilanzkrise und Ausfall der
Schulden in Rumänien, Russland, Ungarn und dem Baltikum, in der Folge
der Zusammenbruch der österreichischen Banken und vielleicht der
schwedischen (deren imperiale Osteuropa-Abenteuer immer noch als
blendendes Geschäft gefeiert werden), und dann der Staatsbankrott in
Wien (gemessen am BIP hat Österreich das größte Bankenhilfspaket der
Welt, aber keine Chance die Garantien auch wirklich zu bezahlen –
Island in den Alpen). Die folgende Panik wirft dann noch Griechenland
und Italien über die Klippe, oder es bricht zuerst das englische Pfund
zusammen, was einen Totalausfall der britischen Banken bringt. Und dann
steht nicht mehr viel.

Präziser: der Zusammenbruch des Finanzsystems wäre eigentlich
unvermeidbar, in Europa in ungefähr der oben beschriebenen
Wirkungskette, wenn die Regierungen nicht massiv dagegen steuern
würden. (Rumänien wird wahrscheinlich aufgefangen werden, weil
Österreich mit dranhängt und damit die Stabilität des Euro.) Was
bleibt, ist ein ungeheurer Berg staatlicher Verschuldung.

Zweite Schlussfolgerung:

Eine weitere Folge der Krise ist aber der Ausfall des amerikanischen
Privatkonsums, um den sich die Weltwirtschaft seit Jahren gedreht hat.
Der Weltwirtschaft fehlt ein entscheidender Motor und es gibt keine
Antwort darauf, woher die zusätzliche Nachfrage kommen soll, die die
jetzige Rezession wieder beendet. (Was natürlich auch die Probleme der
Banken weiter verschärft.) Über längere Zeit wäre es möglich gewesen,
dass billiges Geld, nach einem etwas kürzeren oder längeren Einbruch,
eine neue Vermögenspreisblase bilden hätte können, als Stütze für
weiteren kreditgestützten Konsum. Das wird zunehmend unwahrscheinlich,
die Verluste sind zu groß. Falls diese Überlegung zutrifft, dann steht
die Architektur der Weltwirtschaft tatsächlich vor einem radikalen
Umbruch.

Ursachen:

Umbruch in welche Richtung? Damit wir dieser Frage näher kommen können,
brauchen wir eine Erklärung für das zentrale Problem, die extrem
ungleiche globale Verteilung des Konsums in den letzten Jahren. Die
etwas gemäßigten Globalisierungskritiker, etwa Joseph Stieglitz, haben
die Deregulierung des Bankensystems als Ursache erkannt. Das trifft
sich ganz gut mit konservativen Kommentatoren, die die niedrigen
US-Zinsen als Ursache sehen: Billiges Geld oder Deregulierung:
entscheidend ist der Kreditexzess, der die Häuserpreise in die Höhe
getrieben und den Privatkonsum aufgebläht hat. Das hat schließlich, so
die Kommentatoren, gleich einem riesigen Pyramidenspiel die
Sparguthaben der ganzen Welt inhaliert. Das ist sicher nicht falsch:
Ohne die Deregulierung der Banken wäre eine Blase dieses Ausmaßes nicht
möglich gewesen, der US-Konsum wäre früher eingebrochen und die
Nebenwirkungen von Kreditausfällen und Finanzmarktpanik entsprechend
geringer ausgefallen.

Aber diese Analyse geht dennoch am Kern der Sache vorbei. Normalerweise
werden Menschen mit Versprechen von hohen Gewinnen in ein
Pyramidenspiel gelockt. Anlagen in den USA haben allerdings erbärmliche
Renditen abgeworfen, zumal in den letzten Jahren, in denen der Dollar
zumeist an Wert verloren hat. Das geht soweit, dass die Schulden der
USA im Ausland von 2001 bis 2007 zwar gestiegen sind, aber die von
Amerikanern im Ausland gehaltenen Vermögen noch schneller an Wert
gewonnen haben. Die Nettoverschuldung hat also gar nicht zugenommen –
trotz eines Leistungsbilanzdefizits von zuletzt 6 Prozent des BIP!
(2008 ist sicherlich das Gegenteil eingetreten, aber das war nach dem
Ausbruch der Krise und kann somit nicht zur Erklärung dienen.)

Viele marxistische Analysen sehen eine Krise der Profitrate im Zentrum
(etwa Sarah Wagenknecht, oder die Reste des Trotzkismus). Wegen dieser
wäre das internationale Finanzkapital nicht mehr in der Lage gewesen,
außerhalb der USA Anlagemöglichkeiten zu finden, aufgrund dessen hätte
man den US-Konsumenten das Geld vorgeschossen. Es handle sich um eine
Verwertungs- und Profitkrise, ausgelöst vom Fall der Profitrate und vom
US-Konsumboom nur verschleiert. Das Gegenargument bleibt aber das
gleiche: Wenn es nur um die Suche nach Profit geht, warum akzeptierte
man dann in den USA schlechtere Renditen, als sie in vielen anderen
Ländern zu holen waren?

Tatsächlich sind die bedeutendsten Kapitalflüsse in die USA nicht von
privaten Akteuren getätigt worden (denen durchaus aufgefallen ist, dass
man woanders mehr verdienen kann.) Das steht im Gegensatz zu den Jahren
des New-Economy-Booms, wo der US-Aktienmarkt Glücksritter aus der
ganzen Welt angelockt hat. Im neuen Jahrtausend waren es häufig
Notenbanken, die ihre Devisenreserven gewaltig aufgeblasen haben. China
sitzt auf der unglaublichen Summe von knapp 2 Billionen Dollar, aber
auch eine ganze Reihe von anderen „Schwellenländern“ (eigentlich alle
bedeutenderen, mit Ausnahme von Osteuropa) verfügt über hohe
Devisenreserven. (Und eine Zunahme der Dollarreserven bedeutet
gleichzeitig Kapitalfluss in die USA).
Dabei geht es nicht um Rendite. Ohne die Bilanzen der chinesischen
Zentralbank genau zu kennen, können wir davon ausgehen, dass sie beim
Anhäufen von Devisenreserven und den in der Folge notwendigen
Sterilisierungsoperationen (1) relativ viel Geld verliert – und nicht
verdient. Warum also dieses Vorgehen?

Die Politik der chinesischen Nationalbank ist Ausdruck eines
exportorientierten Entwicklungsmodells, das auf den amerikanischen
Markt fixiert und daher an einer unterbewerteten Währung interessiert
war, um die Ausfuhren billig zu halten (und daher beständig Dollar
kaufen musste, um den Renminbi, die chinesische Währung, niedrig zu
halten). Diese Politik ist auch Ausdruck einer gesunden Vorsicht: die
gesamten 80er und 90er wurde die Peripherie von Finanzkrisen verheert.
Thailand oder Indonesien wurden Anfang der 90er von Kapitalzuflüssen
ersäuft, die Kredit- und Immobilienblasen ausgelöst haben. Die Zuflüsse
drückten gleichzeitig die Währung nach oben, die Industrie war nicht
mehr konkurrenzfähig und die Verschuldung in Fremdwährung stieg. Dann
wurden die Investoren von Panik erfasst, die Kapitalflucht hat die
Währung verfallen lassen und die heimische Wirtschaft brach unter der
Last der in Dollar gezeichneten Schulden zusammen. Die
Schlussfolgerungen der Regierungen: Ja keine überbewertete Währung
zulassen, Devisenreserven können gar nicht zu hoch sein; hohe
Sparquoten, wenig Konsum und staatliche Investitionen, um diese Politik
abzustützen.

Mit Ausnahme Osteuropas (das hohe Auslandsverschuldung zugelassen hat)
folgt die weltweite Peripherie seit der Asienkrise einer
Entwicklungsstrategie, die dem Export Vorrang vor der Armutsbekämpfung
und dem Binnenmarkt gibt und die damit natürlich auch im Interesse der
heimischen Eliten war. Aus der Sicht der Oligarchie ist das eine
durchaus vernünftige Überlebensstrategie im globalisierten
Kapitalismus, die jetzige Finanzkrise hat in der Folge auch kaum zu
großen Zahlungsbilanzkrisen in der Peripherie geführt (wieder mit
Ausnahme Osteuropas). Aber eine Strategie, die davon abhängig ist, dass
die USA die überschüssigen Sparguthaben aufnimmt und die Konsumlücke
schließt.

Schlussfolgerungen:
Die tieferen Ursachen der Krise liegen teilweise bei den deregulierten
Finanzmärkten, die zahlreichen Schwellenländern eine brutale Politik
abverlangten und darin von den heimischen Eliten unterstützt wurden:
Die Ärmsten mussten die Gürtel enger schnallen, damit man das Geld den
Reichsten borgen konnte.

Die tieferen Ursachen der Finanzkrise liegen aber vor allem in der
völlig auf die USA zentrierten internationalen Architektur. Der Dollar
als Weltgeld, die USA als „buyer of last resort“, die gigantischen
amerikanischen Schuldenberge, die die längste Zeit praktisch gratis
angehäuft werden konnten und auch heute mit einem Federstrich entwertet
werden könnten (oder durch die Druckerpresse beglichen). Die USA sind
nicht mehr in der Lage, diese Funktion der Weltwirtschaft zu erfüllen.
Wenn Südkorea seine Währung niedrig hält, um in die USA zu verkaufen,
dann ist das eine Sache. Tun das aber alle, dann werden die Schulden
einmal zu hoch sein. Dieser Zeitpunkt war der Sommer 2007. Die
„Subprime-Krise“ ist die Konkurserklärung des US-Konsumenten.

Geopolitik, Imperium und Krieg

Mittelfristig steht die Hegemonialposition der USA unter gewaltigem
Druck. Nach dem 2. Weltkrieg war sie die Fabrik der Welt und
erwirtschaftete die Hälfte des globalen BIP. In den 70er Jahren war
diese Position geschwächt, aber der Umbau des weltweiten Finanzsystems
ermöglichte die billige Verschuldung – bis heute. In den 90er Jahren
wurde die wirtschaftliche Vormachtstellung der USA dann ins Imaginäre
verschoben: man wurde zur Kapitale des New-Economy Booms, der aus ein
bisschen Internet und sehr viel Halluzination bestand. Im neuen
Jahrtausend bestand die wirtschaftliche Macht der USA schließlich in
der Fähigkeit sich zu verschulden und Sachen zu konsumieren. Das geht
jetzt auch nicht mehr. Die Hegemonialposition steht unter Druck, aber
deswegen muss sie noch nicht fallen.

Mit Imperien ist das so eine Sache: Will man den Imperator stürzen,
dann braucht man eine glaubhafte Alternative, einen Thronfolger oder
eine Koalition selbiger. Die ist weit und breit nicht in Sicht. Der EU
fehlt eine Führung, die Finanzkrise könnte sogar den Euro zum Einsturz
bringen. Deutschland ist Exportweltmeister in einer Zeit, wo niemand
diese Exporte kaufen will, und im Übrigen nicht in der Lage, den
heimischen Privatkonsum zu entwickeln. Kurz: Deutschland ist im Arsch,
der Euro in Problemen. Wer soll dann die Leitwährungsstellung des
Dollars übernehmen? China? Russland? Die internationale Oligarchie soll
die KP-Chinas als neue Führungsmacht akzeptieren? Oder China den
globalen Kapitalismus stürzen, nachdem man sich diesem in die Arme
geworfen hat?

Im Augenblick kämpfen alle potentiellen Konkurrenten der USA mit
gewaltigen Problemen: China ist vom US-Markt abhängig, Russland vom
Ölpreis. Selbst diejenigen, die ernsthaft das Imperium verlassen
wollen, bemerken ihre fortgesetzte Abhängigkeit: Trotz aller Versuche
sich von der Ölabhängigkeit zu lösen, benötigt Venezuela (mit den
gegenwärtigen staatlichen Ausgaben) einen Ölpreis von 80 Dollar, um
seine Zahlungsbilanz im Gleichgewicht zu halten.

Kurz: weder wird das Imperium in kurzer Zeit zerbrechen, noch der
Imperator demnächst gestürzt werden, weil die Oligarchie der ganzen
Welt daran gekettet ist und sich anderes nicht einmal vorstellen kann.
Zu Umbauten wird es kommen müssen. Vielleicht akzeptiert die USA eine
etwas abgeschwächte Vormachtstellung. Vielleicht geht sie auch zu einer
extrem aggressiven Strategie über und löst eine Konfrontation mit
Russland aus, um alle Satrapen auf Linie zu bringen. Mit Sicherheit
kann man davon ausgehen, dass die USA die Kriegskarte auch in den
kommenden Jahren spielen werden. Sie ist das letzte große Ass.

Markt und Politik

In der ganzen Welt werden im Augenblick die Vorzüge der sozialen
Marktwirtschaft gepriesen. Bis Anfang Oktober wollte in der
Bundesrepublik niemand das Wort „Konjunkturprogramm“ in den Mund
nehmen, jetzt steht die Kanzlerin massiv unter Druck, weil die
staatlichen Konjunkturhilfen großzügiger zu gestalten seien. Der
Marktradikalismus ist in der Defensive. Russland geht einen weiteren
Schritt in Richtung des chinesischen Weges eines staatlich gelenkten
Kapitalismus. Einziges Problem: So etwas funktioniert heute nach dem
Alles-oder-Nichts-Prinzip. Entweder Devisenverkehrskontrollen (und
Handelsschranken in der Hinterhand), staatliche Banken und staatliche
Investitionslenkung – oder frei konvertierbare Währung, private
Geschäftsbanken und private Investitionsentscheidungen.

Die internationalen Kapitalflüsse sind wie ein Wildwasser: Wirft man
einzelne Felsbrocken hinein, bekommt man nur zusätzliche
Stromschnellen. Will man den Wahnsinn kontrollieren, dann braucht es
eine Staumauer: Je moderner eine Wirtschaft, je höher der Anteil des
Außenhandels, um so eher trifft das zu, umso stabiler und höher muss
die Mauer sein, um nicht weggerissen zu werden. Es dürfte wenig
wahrscheinlich sein, dass Europa dem chinesischen Weg folgt. Und alles
andere ist wirkungslose Kosmetik, ein paar Steine in einem Gebirgsfluss.

Staatsschulden

Im Unterschied zur Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre wurde weltweit
tatsächlich auf den Konjunktureinbruch reagiert. Die Staatsschulden
werden massiv ausgeweitet, um die Nachfrage zu stabilisieren und die
Banken zu retten. Allerdings stößt auch diese Politik an Grenzen: Die
Bankenrettung kostet bereits Unsummen. Die Peripherie kann nur bedingt
expansive Politik betreiben: sollten sich höhere
Leistungsbilanzdefizite einstellen, geraten (gerade in der Finanzkrise)
die Investoren ob des Währungskurses in Panik, verlassen das Land und
lösen eine Zahlungsbilanzkrise aus. Dann muss man beim IWF vorstellig
werden und der verordnet wie üblich das Gegenteil: höhere Zinsen,
sinkende Staatsausgaben, Sozialabbau – siehe Ungarn. Der US-Staat kann
sich gewaltig zusätzlich verschulden, seine Nachfrageimpulse verpuffen
allerdings, wenn sie nicht auch vom Privatkonsum aufgenommen werden.
Und die US-Haushalte haben erst letztes Jahr festgestellt, dass sie
überschuldet sind (bis dahin hatten sie geglaubt, dass der Wert des
Hauses die Schulden aufwiegt), es ist also zweifelhaft, ob sie auf
Einkauftour gehen.

Auch Europa sind im Bereich der Schuldenausweitung Grenzen gesetzt. In
vielen Ländern sind die Staatsschulden schon so hoch, dass etwa Italien
und Griechenland bereits hohe Risikoprämien zahlen müssen. Und in jedem
Fall regiert immer noch, vor allem in Europa, das Dogma der
Geldwertstabilität. Bis jetzt wird es kaum angedacht, die höheren
Staatsausgaben einfach von der EZB finanzieren zu lassen. Das käme
einer schleichenden Enteignung der Halter der Schuldentitel gleich. Da
ist man eher für die Enteignung der Steuerzahler, die mittelfristig für
den gestiegenen Schuldenstand aufkommen müssen, durch höhere Steuern
oder niedrigere Staatsausgaben.

Hauptszenario

Wir bekommen nicht unbedingt die große Weltwirtschaftskrise, aber
zumindest eine ganze Periode sehr schwachen Wachstums und
möglicherweise wiederkehrender Rezessionen. Die US-Hegemonie ist schwer
angeschlagen, aber auf der anderen Seite hat die internationale
Oligarchie letztlich keine Alternative und die USA werden zur
Absicherung ihrer Position immer wieder die Kriegstrommeln rühren. Die
Marktideologie ist ebenso angeschlagen, den Schritt zur staatlich
gelenkten Wirtschaft will das Zentrum des Imperiums aber nicht gehen.

Der Staat unterstützt die Nachfrage, bekommt früher oder später aber
Probleme mit der Überschuldung. Die Notenbanken senken die Zinsen,
werden eine deflationäre Grundstimmung aber nicht verhindern können,
weil sie vor den entscheidenden Schritten – Finanzierung der
Staatsschulden – zurückschrecken. Die globalen Ungleichgewichte des
Konsums werden abgebaut (allein deswegen, weil die USA einfach weniger
konsumieren), aber nicht nachhaltig, weil sich die mexikanische,
chinesische oder indonesische Oligarchie letztlich keine Abkehr vom
exportgestützten Entwicklungsmodell wünscht und Deutschland wohl dazu
nicht in der Lage sein wird.

Kurz: nachdem sich die Regierungen jetzt eine zeitlang als
Krisenmanager profilieren können und große Reden schwingen (von
sozialer Marktwirtschaft und gierigen Bankern), wird sich in einiger
Zeit der Eindruck festigen, dass angesichts der Probleme nichts
unternommen wird – weil sich tatsächlich nichts ändert. Während dessen
werden die Illusionen in die Kraft des Marktes – und auch des
Kapitalismus – zu bröckeln beginnen. In den letzten Jahren hatte sich
die Mentalität des reich werden durch Spekulationsgewinne bis tief in
die Mitteschicht ausgebreitet. Das wird zurückgehen, während die Opfer
der Fremdwährungskredite ihre Wunden lecken. Das ist das Rezept einer
Hegemoniekrise: die Oligarchie ist in Problemen, weiß aber nicht
weiter. Eine vernünftige Lösung würde die Aufgabe ihrer Pfründe
bedeuten: ein Ende der Globalisierung schmälert die Profite, eine
Abkehr von der Geldwertstabilität ruiniert das Finanzkapital. Solange
irgend möglich, wird man sich echten Lösungen verschließen.

Solange irgend möglich: kann sein, dass das irgendwann nicht mehr
möglich ist, abhängig von der Tiefe der Krise. Kann sein,
Globalisierung und Freihandel brechen auseinander. Die USA wäre in der
Lage den gordischen Knoten mit einer Art faschistischen
Staatsintervention zu zerschlagen. Sie könnte die Kontrolle über die
strategischen Sektoren der Wirtschaft dem Staat übertragen, die
Konvertibilität des Dollars aussetzen oder Handelsbarrieren errichten
und versuchen, die Welt durch den Einsatz extremer Gewalt weiter zu
beherrschen. Noch steht das aber nicht auf der Tagesordnung, der
Hauptfeind bleibt daher der Liberalismus. Komme was wolle: Der
Spielraum der Antikapitalisten wird in den nächsten Jahren größer
werden.

von Stefan Hirsch

(1) Sterilisierungsoperationen: Um den Kurs des chinesischen Renminbi
gegenüber dem Dollar niedrig zu halten, kauft die chinesische Notenbank
Dollar und verkauft Renminbi. Die Dollar werden dann in den USA
investiert (die Devisenreserven wachsen), aber auf der anderen Seite
wächst die Menge an im Umlauf befindlichen Renminbi. Die wachsende
Geldmenge wird Inflation erzeugen (das ist etwa in Russland passiert),
um diese zu verhindern müssen die zusätzlichen Renminbi wieder aus dem
Umlauf genommen werden (die zusätzliche Geldmenge wird „sterilisiert“).
Etwa in dem die Notenbank Anleihen verkauft, sich also praktisch das
Geld wieder zurückborgt – dafür sind natürlich Zinsen fällig. Wenn die
Zinsen, die die Notenbank für ihre Devisenreserven erhält, nicht höher
sind, dann wird sie insgesamt Geld verlieren, vor allem, wenn der
Dollar noch zusätzlich abwertet, was in den letzten Jahren ja geschehen
ist.

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