von Bruno Bullock, Intifada Nr. 27
Religionskritik muss in einem demokratischen Rechtsstaat erlaubt sein. Doch stellt sich die Frage, wann noch von Religionskritik gesprochen werden kann und wann es sich bereits um Verhetzung handelt. Wenn Susanne Winter den islamischen Propheten Muhammed als „Kinderschänder“ bezeichnet, kann wohl kaum mehr von Religionskritik gesprochen werden. Viel eher werden religiöse Werte herabgewürdigt und polemische Hetze betrieben. Man kann hier ganz klar von Islamfeindlichkeit bzw. Islamophobie sprechen.
Islamophobie ist ein komplexes und vielschichtiges Phänomen, welches auf mehreren Ebenen betrachtet werden muss, die hier nicht alle berücksichtigt werden können. Wie bei Rassismus, Antisemitismus etc. wird ein „Anderes“ konstruiert, homogenisiert, negativ besetzt und in Opposition zum „Selbst“ gesetzt. Es handelt sich auch nicht um ein genuin neues Phänomen unserer Zeit, sondern ist in einem größeren historischen Kontext zu verstehen. Im Anschluss werde ich versuchen diesen weiten historischen Kontext zu beleuchten. Dabei werde ich anfangs die durch die Französische Revolution hervorgerufenen Veränderungen im Gesellschaftsgefüge skizzieren, um mich des weiteren bis in die Gegenwart vorzuarbeiten, und die komplexen Verstrickungen veranschaulichen, die Verständnis für die gegenwärtige Problematik ermöglichen.
Die Französische Revolution veränderte umfassend die politische Landschaft Europas und somit der ganzen Welt. Das Konzept des Nationalstaates wurde geboren. Die Bourgeoisie gewann an Einfluss und der Kapitalismus in verschiedenen Ausformungen setzte sich durch. Der Kapitalismus ist nicht als Folge des Nationalstaates zu sehen, viel eher ist der Nationalstaat zentrales Element der Reproduktion der kapitalistischen Produktionsweise. Der Nationalstaat ist eine „imagined community“, eine gedachte Gemeinschaft, und diente der kapitalistischen Elite, die eigenen Interessen dem Proletariat gegenüber als gemeinsame zu verkaufen. Um dieser Gemeinschaft eine Identität zu geben, benötigte es Mittel zur Ein- und Ausgrenzung. Identität braucht immer das „Andere“, von welchem sich das „Selbst“ abgrenzen kann. Das politische Projekt des Nationalismus wurde hegemonial. Neben vielen emanzipatorischen Elementen des Nationalismus wurden Rassismus und Antisemitismus zu wesentlichen Instrumenten des selben, um ein nach innen kohärentes Gefüge zu schaffen und nach außen imperialistischen Großmachtambitionen nachzugehen. Das 19. Jahrhundert war auch die Blütezeit der Rassentheorien und der tradierte Antijudaismus nahm über obskure Verschwörungstheorien die Form eines rassentheoretischen Antisemitismus an, welcher in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts seinen traurigen Höhepunkt fand. In Krisenzeiten bot das nationalstaatliche Konzept den Nährboden für rassistische und kolonialistische Denk- und Handlungsmuster. Die Menschheit wurde in mehrere Rassen mit unterschiedlichen Merkmalen und Eigenschaften eingeteilt, welche auf einer Skala der Über- und Unterlegenheit bewertet wurden. Nicht nur die Legitimation des Kolonialismus, sondern auch die Abgrenzung zu anderen Nationen spielte dabei eine herausragende Rolle.
Auch der Begriff Orient wurde durch die koloniale Geschichtsschreibung als Legitimation des Kolonialismus und als Mittel zur Abgrenzung missbraucht, wie es der US-amerikanische Literaturwissenschafter palästinensischer Herkunft Edward Said in seinem bahnbrechenden Werk „Orientalism“ beschrieb. Im kolonialistischen Großbritannien z. B. fand diese Abgrenzung aber sicher anders statt als im K&K Reich, wo die „Türkenkriege“ eine wesentliche Rolle spielten. Der Wiener Kulturanthropologe Andre Gingrich weist auf diese unterschiedlichen historischen Kontexte hin und verdeutlicht auch ihre Bedeutung im kollektiven (Unter)Bewusstsein einer Gesellschaft. Rechtsnationale Parteien in Österreich greifen deshalb viel öfter auf Bedrohungsszenarien durch den Islam zurück, als das etwa in Ländern mit außereuropäischer kolonialer Vergangenheit der Fall ist. Im Internet wimmelt es von islamophoben Seiten, die auf alte Symbole zurückgreifen, wie etwa „Gates of Vienna“, wo Prinz Eugen immer wieder anzutreffen ist.
Wie vorhin erwähnt, war in Europa eine starke Interaktion zwischen Rassismus und Nationalismus als Mittel zur In- und Exklusion allgegenwärtig. Diese Strategie erreichte im Zweiten Weltkrieg ihren Höhepunkt, als sie von der NSDAP in den rassistischen Vernichtungsexzessen in die Tat umgesetzt wurde.
Die geschichtliche Tradition dieser Strategie kann jedoch nicht auf Nazi-Deutschland reduziert werden. Die Protokolle der Weisen von Zion stießen in ganz Europa und den USA auf großen Anklang und die antisemitische Schrift des Automobilmagnaten Henry Ford „Der internationale Jude“ wurde zu einer wichtigen Inspirationsquelle deutscher Nazis.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Zeitalter der Globalisierung, durchlebte das nationalstaatliche Modell eine Reihe von Transformationsprozessen. Durch die zunehmende Macht transnationaler Unternehmen und den steigenden Einfluss supranationaler Institutionen und Strukturen verlor das Konzept des Nationalstaates an Gewicht. Die Beziehungen zwischen dem Kapitalismus und dem Nationalstaat wurden immer widersprüchlicher. Diese Entwicklungen bedeuteten jedoch keineswegs das Verschwinden des Phänomens des Nationalismus. Während im 19. Jahrhundert die Kreation einer „imagined community“ im Vordergrund stand, rückte die Reproduktion eben dieser in einer sich schnell verändernden politischen und ökonomischen Welt in den Mittelpunkt des nationalistischen Projektes. Die Interaktion zwischen der politischen Ideologie des Nationalismus und dem Phänomen des Rassismus ist deshalb historisch spezifisch, entsprechend den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen, einzuordnen.
Das nationalistische Projekt lebt also weiter. Bedingt durch moderne Informations- und Transportwege, wurde die internationale Migration zu einem wesentlichen Faktor in der globalisierten Welt. Nach dem Kalten Krieg scheint das große Feindbild Kommunismus in den politischen Debatten obsolet zu sein. Dadurch ergaben sich, neben dem Nationalstaat an sich, neue Bezugspunkte für ein nationalistisches Projekt. Ein solcher sind die MigrantInnen, welche als neue Fremde in die Staaten Europas strömen. Sie werden zum Teil anderen „Zivilisationen“ zugerechnet, womit auch der zweite Bezugspunkt gegeben wäre. Diese Zivilisationen, welche sich nach Samuel Huntingtons These des „Clash of Civilizations“ in naher Zukunft bekämpfen sollen, werden an gewissen kulturellen Grenzlinien festgemacht und homogenisiert. Im Falle des Nahen Ostens und Nordafrikas ist die Religion wesentliches Unterscheidungsmerkmal. Huntingtons These wird zur „self fullfilling prophecy“.
Dabei findet eine Ethnisierung von Religion statt. Ein Amalgam aus Nationalität, Religion und Politik wird dauerhaft produziert. Der Islam wird als homogen, unterlegen und als „das Andere“ schlechthin in Opposition zur westlichen „Zivilisation“ gesetzt. Dies äußert sich in ausgrenzenden Handlungen und Diskursen sowie in offener Feindschaft. Die Wurzeln liegen in den Stereotypen und Vorurteilen über den Islam und den Assoziationen, die sich daraus ergeben.
Islamophobie ist deshalb als eine Konsequenz der Beziehungen zwischen Rassismus, Nationalismus, Nationalstaat und Globalisierung in der Zeit nach dem Kalten Krieg zu sehen. Seit dem Mauerfall befindet sich Europa in einem stark propagierten Einigungsprozess. Die Struktur der EU lässt darauf schließen, dass es sich nicht nur um ein reines Wirtschaftsbündnis handelt. Um eine europäische Identität herzustellen, benötigt es Instrumente der In- und Exklusion. Die nationalistischen Parteien der Mitgliedstaaten greifen immer häufiger auf das Bild des christlich-jüdisch geprägten Abendlandes zurück und stellen es in Opposition zum barbarischen Orient. Plötzlich werden Frauenrechte zum Thema rechter Parteien und der Antisemitismus ist zumindest aus deren Parteiprogrammen verschwunden. So erklärt sich auch der Wechsel des FPÖ-Parteiprogramms unter Jörg Haider vom Deutschnationalismus zum Österreichpatriotismus. Auch die Mitte- und Linksparteien tragen diesen Konflikt mit, indem sie Islamophobie nicht thematisieren und sich zum Thema ausschweigen. Die Rhetorik der Rechtsparteien wird zwar als abstoßend wahrgenommen, selbst möchte man aber keine Position beziehen. Ich würde sogar behaupten, dass den EU-Politikern diese auf unterstem Niveau geführten Debatten auf dem Weg zur europäischen Einigung in die Hände spielen. Auf Kosten der islamischen Welt, in- und außerhalb Europas, werden machtpolitische und ökonomische Interessen mittels Feindbildkonstruktion durchgesetzt.
Bruno Bullock