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Eine post-amerikanische Welt?

5. Februar 2009

Resolution des internationalen politischen Komitees des Antiimperialistischen Lagers, 4. Jänner 2009

Die internationale Situation nach Barack Obamas Höhenflug.

Die systemische Krise, die den amerikanischen Kapitalismus erfasst hat, wird schwerwiegende und langfristige Konsequenzen für das gesamte Gefüge der internationalen Beziehungen haben. Aus diesem Grund wird für den zukünftigen Präsidenten Barack Obama die Außenpolitik von großer Bedeutung bleiben. Im ausklingenden 20. Jahrhundert entwickelten sich ein paar neue Staaten zu im Entstehen begriffenen imperialistischen oder subimperialistischen Nationen. Dennoch bleiben die USA die einzige multidimensionale Macht, das heißt sie sind die Weltmacht Nummer Eins auf militärischer, industrieller, landwirtschaftlicher, kultureller, technologischer und wissenschaftlicher Ebene. Diese Vormachtstellung werden sie unter allen Umständen erhalten wollen und sie werden versuchen, den Rest der Welt die Kosten für die Krise zahlen zu lassen. Aus diesem Grund erwartet uns eine historische Periode der äußersten Instabilität, die in eine Periode gekennzeichnet von weiterer, langfristiger und vielschichtiger offener Kriegsführung münden könnte.

1) Die systemische Krise, in dessen Epizentrum sich die USA befinden, wird nicht zu einer Politik der Nichteinmischung auf globaler Ebene führen, so wie es manche vorausgesagt haben. Viel eher werden wir es mit einem internationalistischen Imperialismus in der Tradition Wilsons zu tun haben, der, so pragmatisch er auch sei, die Politik der Regierung Bush fortsetzen wird.

2) Das heißt nicht, dass der imperiale Internationalismus dieselbe unilaterale Form annehmen wird, die er nach 2001 hatte. Die Strategie der Neocons Cheney-Rumsfeld-Bush hat – verglichen mit dem enormen Aufwand, der in die Kriege, Finanzen und Diplomatie floss – geringe Resultate erzielt. Wegen dieser hohen Kosten war die Strategie der Neokonservativen (die als Kampf zur Ausrottung des Terrorismus präsentiert wurde, aber eigentlich darauf abzielte, die amerikanische Vorherrschaft durch Krieg zu stärken) auch einer der Gründe für die Krise. Diese Strategie stellte sich als ziemliche Katastrophe heraus, denn ungeachtet des Pyrrhussieges im Irak, stärkte sie antiimperialistische Widerstandskräfte; sie vertiefte den Widerspruch zu den so genannten Schurkenstaaten; sie erzeugte ernsthafte Konflikte mit Russland und latente Brüche in den Beziehungen mit den traditionellen Verbündeten, nicht nur mit den europäischen.

3) Daraus folgt, dass das Weiße Haus seine imperiale Politik den Verhältnissen gemäß korrigieren wird müssen, um die derzeit instabile Vormachtsstellung in der Welt halten zu können. Es wird die monozentrische Strategie mit multilateralen taktischen Schritten verbinden. Unilaterale militärische Intervention wird die letzte Option sein, denn zuerst wird die mächtige Waffe der Diplomatie eingesetzt werden, die aber wiederum nichts anderes ist als eine Maske, die das enorme militärische Abschreckungspotential verhüllt. Weiters wird das Weiße Haus die NATO stärken, was zur stärkeren Involvierung der Europäischen Union in den internationalen Spannungen und Krisenherden führen wird. Drittens wird es sich Kriege von anderen führen lassen, das heißt auf Stellvertretertruppen und lokale Quisling-Staaten zurückgreifen. Schließlich wird Washington Volksaufstände im Namen der „Demokratie“ unterstützen, um neue Länder in ihren geopolitischen Machtbereich einzugliedern.

4) Die Theorie, dass sich die Welt nun schon in einer post-amerikanischen Phase befindet, lässt sich mit Fakten nicht belegen. Sie ist höchstens als latente Tendenz zu sehen, wenn man annehmen möchte, dass eine solche möglich ist, ohne dass sich die Menschheit vom Kapitalismus befreit. Die Gegentendenz, nämlich die absolute Entschlossenheit des amerikanischen Imperialismus, darf jedenfalls nicht aus den Augen verloren werden. In der Tat wurde Barack Obama von der amerikanischen imperialistischen Oligarchie nicht ausgewählt, um Amerika in Einklang mit einer „neuen poli-zentrischen Weltordnung“ zu bringen, sondern um diese im Keim zu ersticken. Das ist der Grund, warum die Welt weit entfernt ist von einer Politik der Befriedung; im Gegenteil, es besteht das Risiko, dass sie in den Sog einer Spirale von weitflächiger, langfristiger und multi-dimensionaler offener Kriegsführung gezogen wird. Dieses Szenario bedeutet eine bisher noch unbekannte Vermischung des alten Nord-Süd-Konflikts mit dem West-Ost- und dem Nord-Nord-Konflikt (am Anfang durch dritte Parteien).

5) Das Weiße Haus wird weder eine neue poli-zentrische Hierarchie der Mächte akzeptieren, noch die Strategie einer „Weltregierung“ oder ein Gleichgewicht mit anderen Mächten verfolgen. Wenn überhaupt, so ist sein Ziel ein multilaterales System des Gleichgewichts basierend auf einer starken amerikanischen Vormachtstellung, wo die anderen Mächte als unterstützende Akteure mit einem Subsystem von kleinen regionalen Gendarmen agieren (ganz im Sinne der Roosevelt-Doktrin der „Vier Polizisten“). In diesem Szenario ist die Möglichkeit, dass sich Rivalitäten verstärken, vorhersehbar, wenn die anderen Mächte – allen voran Russland – diese Hierarchie nicht akzeptieren.

6) Weiters wird in diesem Szenario die Europäische Union – in der Falle zwischen Amboss und Hammer – mit starken geopolitischen Spannungen konfrontiert sein. Das Weiße Haus wird so agieren, wie es seit dem Zweiten Weltkrieg agiert hat. Es wird alles tun um zu verhindern, dass Europa sich einer euro-asiatischen Perspektive nähert und sich damit aus der Unterordnung unter die USA zu lösen beginnt, mit der Perspektive sein eigener Herr zu werden. Barack Obama wird nicht zögern eine Annäherung Europas an Russland zu bekämpfen, nötigenfalls könnte er soweit gehen, dass er die EU auseinander reißt indem er regionale Konflikte fördert um Russland zu isolieren und zu schwächen, Europa wiederum könnte mit der NATO zurückgepfiffen und unterworfen werden.

7) Wenn die USA die unangefochtene imperialistische Weltmacht bleiben wollen, wird Barack Obama den Druck auf den Nahen Osten aufrechterhalten müssen. Schon als zukünftiger Präsident hat Obama seine bedingungslose Unterstützung für Israel zugesichert und erklärt, dass die USA an dem Ziel der Zerschlagung des arabischen Widerstands, insbesondere der Hisbollah und der Hamas (die er beide in der Tradition der Bush-Regierung als „terroristisch“ bezeichnet), festhalten werden. Er bestätigte die Abkommen mit dem Marionettenregime in Bagdad (SOFA) und erklärte, dass strategische militärische Basen im Irak bestehen bleiben würden, nach dem Modell, das die USA nach dem Zweiten Weltkrieg in den besiegten Ländern praktizierten. Schließlich versicherte Obama auch, dass er keinen Kompromiss mit Teheran akzeptieren würde, solange der Iran am Nuklearprogramm festhalten würde und solange Hisbollah und Hamas unterstützt würden.

8) Obamas Versprechen, den militärischen Druck auf Afghanistan zu konzentrieren, darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass die USA damit ihre Vormachtstellung im Nahen Osten aufgeben würden. Ohne eine starke Kontrolle im Nahen Osten können Pentagon und Außenministerium den Widerstand in Afghanistan nicht zerschlagen und Afghanistan nicht endgültig erobern.

9) In der geopolitischen Perspektive der neuen amerikanischen Führung bedeutet Afghanistan das symbolische Zentrum ihres imperialen Planes. Deshalb ist der Fokus auf dieses Land auch das Omen für neue und tiefere Konflikte. Dort wird es sich auch entscheiden, ob in der kommenden Periode eine neue, poli-zentrische Weltordnung die amerikanische mono-zentrische ersetzen wird.

10) Die Vereinigten Staaten würden mit dem Sieg im Krieg um Afghanistan sechs strategische Ziele erreichen. A) Das unmittelbare Resultat – von höchster symbolischer Bedeutung – wäre, dass sie nach dem unsicheren Ausgang des Krieges im Irak beweisen könnten, dass sie die seit dem Widerstand in Vietnam stärksten Widerstandskräfte zerschlagen und dem islamischen Vormarsch Einhalt gebieten konnten. B) Dieses Szenario hätte schwerwiegende Konsequenzen für die Iranische Islamische Republik, denn diese wäre dann eingekesselt und im Würgegriff. C) Ein Sieg über den afghanischen islamischen Widerstand würde den USA dabei helfen Pakistan zu normalisieren, das heißt die militärische Macht Islamabads zugunsten des zahmen indischen Elefanten abzubauen.
D) Zentralasien mit seinen Energievorräten und Pipelines würde unter die Fittiche der USA kommen. E) Dies würde die strategische Achse Moskau-Peking an einem sehr sensiblen Punkt treffen und für lange Zeit die strategischen Ambitionen von Putins Russland empfindlich zurück werfen. Das strategische Ziel gemäß dem Brzezinski-Plan, nämlich China in die amerikanische Einflusssphäre einzubetten, wäre dann realistisch. F) Durch die NATO-ISAF-Mission ist Europa in den Krieg in Afghanistan involviert worden, ohne die Option eines Rückzugs. Daher würde eine militärische Eskalation in Afghanistan Europa noch mehr an seine Rolle des willfährigen Unterstützers binden.

11) In diesem Rahmen muss die Existenz des Antiimperialistischen Lagers gesehen werden – alles spricht dafür, dass es relevanter denn je ist. Ohne die mögliche Explosion gewaltsamer inner-imperialistischer Rivalitäten im West-Ost- und Nord-Nord-Gefüge zu unterschätzen, bleibt das Hauptziel jedes antiimperialistischen Widerstands die Niederlage des US Hegemonialimperialismus. Ein poli-zentrisches Ungleichgewicht ist günstiger als mono-zentrischer Despotismus und es wird viele Gelegenheiten für den Kampf geben, insbesondere auf den folgenden drei Ebenen: die Unterstützung des antiimperialistischen Widerstands, allen voran des Widerstands in Afghanistan; der Kampf gegen die NATO, wobei diese beiden Fronten auf der dritten Ebene verschmelzen – nämlich im bedingungslosen Widerstand gegen den amerikanischen Imperialismus, da er der zentrale Eckpfeiler des internationalen kapitalistischen Systems bleibt.

12) Unser Hauptziel hat sich nicht geändert – es bleibt der Aufbau einer weltweiten antiimperialistischen Front. Wir haben die Schwierigkeiten auf dem Weg zu dieser Front nie geleugnet und sehen sie auch jetzt. So wie die Dinge heute stehen ist sie nicht selbstverständlich impliziert und wir haben auch nie gedacht, dass die Geschichte mit ihr schon schwanger geht. Unterschiedliche Bedingungen, objektive sowie subjektive, müssen verbunden werden, damit die internationale Einheit der Widerstandskräfte Gestalt annehmen kann. Die objektiven Bedingungen hängen von der unwägbaren Entwicklung der Ereignisse ab, die subjektiven praktisch davon, ob die größten Teile des islamischen Widerstands und die verschiedenen revolutionären und kommunistischen Kräfte sich treffen und eine gemeinsame Ebene finden können. Die Möglichkeit dieser Bruderschaft wiederum hängt davon ab, ob sich beide Seiten von ihren jeweiligen Mythen befreien können – auf der einen Seite vom Mythos der Umma als dem einzigen Horizont der Befreiung, auf der anderen Seite vom Mythos der führenden Rolle der westlichen Zivilisation, was soviel heißt wie Fortschrittsgläubigkeit, selbst wenn es Fortschritt im Rahmen des Kapitalismus ist.

Aus all den genannten Gründen ist unsere Rolle nicht nur auf den Aufbau und die Weiterentwicklung der antiimperialistischen Solidarität und der Entfachung von Widerstand, wo immer es möglich ist, beschränkt, sondern wir sehen die Arbeit an der oben beschriebenen Verbindung der Kräfte als nicht minder bedeutend an. Es ist eine große Aufgabe, die nicht nur Handeln sondern auch große theoretische und kulturelle Anstrengungen erfordert.

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