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Libanesische Wahlen: Konfessionalismus verhindert demokratischen Wechsel

10. Juni 2009

Mit einer Rekord-Wahlbeteiligung (52,63%) verliefen am Sonntag, 6. Juni 2009 die längst ersehnten Parlamentswahlen im Libanon. Ihr Ausgang war klipp und klar eine Niederlage der Opposition, die 57 Sitze erhielt, während 71 an die regierungsloyalen Kräfte gingen, deren Bündnis sich um den sunnitischen Hariri- und den christlichen Gemayel-Clan gebildet hatte. Die Verteilung der Parlamentssitze drückt nicht die tatsächliche Stimmenverteilung aus: von eineinhalb Millionen registrierten Wählern stimmten 815.000 für die Opposition und 680.000 für die Regierung. Das hätte unter einem proportionalen Wahlsystem 54,5% für die Opposition bedeutet.

 

Kommentar: Wie den Panzer des libanesischen Systems sprengen? 

 

 

Warum dies im Libanon nicht der Fall ist, das ist erst durch das konfessionelle Wahlsystem dieses Landes erklärbar.

Ein konfessionelles Wahlsystem

Das libanesische politische System basiert auf konfessioneller Aufteilung. Das aus den Zeiten der französischen Besatzung stammende System garantiert für jede der elf Religionsgemeinschaften eine vorbestimmte Anzahl an Parlamentssitzen, unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der wahlberechtigten Angehörigen.

Die 128 Parlamentssitze gehen zu jeweils 50% an Christen und Moslems. Auf der moslemischen Seite werden diese wiederum auf die diversen Konfessionen aufgeteilt: Die Sunniten und Schiiten erhalten jeweils 27 Sitze, Drusen erhalten 8, und zwei Sitze gehen an die Alleviten.

Auf christlicher Seite erhalten die Maroniten 34, die Orthodoxen 14, die Katholiken 8, die Armenier 6 Sitze, wobei die restlichen zwei an die anderen christlichen Minderheiten gehen.

In den 26 Wahlkreisen kämpfen die Kandidaten aus den jeweiligen Konfessionen um die Sitze, die für ihre Konfession vorgesehen sind. Die Wähler in jedem Kreis können für jeden (und mehrere) Kandidaten unabhängig von der Konfession stimmen. In jedem Wahlkreis sind die Sitze fix verteilt. Beispielsweisen ist der Beiruter Wahlkreis Baabda durch sechs Sitze im Parlament vertreten, wobei drei von maronitischen Christen, zwei von Schiiten und einer von Drusen zu besetzen sind.

Diese Verteilung drückt kaum mehr die tatsächliche Demographie in den Wahlkreisen aus. Dazu kommt die Tatsache, dass die gesamte Verteilung den heutigen Mehrheitsverhältnissen zwischen Schiiten, Sunniten und Christen nicht mehr entspricht. Die Schiiten sind in diesem System unterrepräsentiert, während die Maroniten schon im christlichen Lager überrepräsentiert sind.
 
Überraschung, trotz Systemvorgaben

Die Ergebnisse in den schiitischen Wahlkreisen entsprachen erwartungsgemäß einer Volksabstimmung zugunsten der verbündeten Großparteien Hizbullah und Amal. Kandidaten kleiner linker Parteien, auch mit gleicher politischer Ausrichtung, schieden aus. Der Einfluss von Hizbullah drückte sich in den Wahlkreisen deutlich aus, wo Schiiten eher die mit Hizbullah alliierten christlichen Kandidaten wählten als andere schiitische Kandidaten. Insgesamt gingen 90% der schiitischen Stimmen ans Oppositionsbündnis.

Im sunnitischen Lager verzeichnete die Regierungspartei (Al-Mustakbal) ebenfalls große Erfolge. In Beirut und im Norden kassierte die Regierungspartei über 80% der Stimmen ein. Obwohl in bestimmten Wahlkreisen (Sidon, aber auch in Beirut) die Oppositionskandidaten mehr Stimmen als bei den letzten Wahlen bekommen konnten, war die Hariri-Familie in der Lage, durch große Mobilisierungen die Mehrheit an sich zu reißen und historische sunnitische Oppositionsführer außer Gefecht zu setzen. So schied in Sidon der nasseristische Kandidat Mustafa Saad trotz 30% der Stimmen aus dem Parlament aus und die zwei Sitze (für ganz Sidon) gingen an Fouad Siniora, den bisherigen Premierminister, und Bahia, die Schwester von Rafiq Hariri.

Mit einer überdurchschnittlich hohen sunnitischen Wahlbeteiligung von 60% erhielt das Regierungsbündnis 75% der sunnitischen Stimmen.

Sensationell und entscheidend waren die Ergebnisse im christlichen Lager, wo die Wahlbeteiligung mit 40% unter dem Durchschnitt lag. Trotz den Erfolgen der oppositionellen „Freien Patriotischen Strömung“ um Michel Aoun in mehreren Wahlkreisen, gingen die meisten christlichen Sitze an das Regierungsbündnis. In den „gemischten“ Wahlkreisen waren die Stimmen der sunnitischen bzw. schiitischen Moslems für die jeweilige Besetzung der christlichen Positionen entscheidend, wenn keine großen Verschiebungen in den Mehrheitsverhältnisse vorhanden waren. Deutlicher wird die Schlappe der Aounisten in den rein christlichen Wahlkreisen, wo ein signifikanter Rückgang in oppositionellen Stimmen sichtbar war. Der selbstsichere Wahlkampf von Aoun unterschätzte den Einfluss der Kirche und der traditionellen Clans, welche seit der Unabhängigkeit fest im Sattel der christlichen Führung sitzen. Durch das Wahlsystem erhielten 50% der abgegeben christlichen Stimmen keinen parlamentarischen Ausdruck.

Vertiefung der konfessionellen Gleichung

Die Wahlergebnisse zeigen deutlich, wie bei allen Gruppen die konfessionelle Mobilisierung die Oberhand gewann. Trotz der – oft berechtigten – Anschuldigungen über Stimmenkauf und Diffamierungskampagnen seitens der Regierungsparteien, übertraf der Erfolg innerhalb des sunnitischen Milieus alle Erwartungen. Die Blockbildung über die regionale Konfrontation zwischen dem sunnitischen, US-alliierten Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran spiegelte sich auch im Libanon wieder. Die Niederlage des „Widerstandslagers“ im Libanon ist ein Sieg des Pro-US-Lagers in der Region. Überraschend war die Tatsache, dass die Hauptlinie der Opposition, basierend auf Widerstand und Reform des politischen Systems, nur in den schiitischen und christlichen Milieus Wirkung zeigte. Die Opposition konnte das sunnitische Milieu nur sehr begrenzt penetrieren. Die Sunniten zogen eine sunnitisch-dominierte Regierung vor. Der antischiitische Diskurs erwies sich als wirksamer als der soziale und reformistische Diskurs der Opposition. Das Geld der Hariri-Familie sorgte für eine sehr erfolgreiche und koordinierte Wahlkampagne der Regierungsparteien.

Auch im christlichen Teil bleibt die Rolle der Kirche und der traditionellen Führungen erhalten. Gespalten zwischen beiden Lagern, reicht der politische Diskurs nicht über die Grenzen der Gemeinde hinaus. Die Reformforderungen von Aoun prallten auf das taube Gestein der libanesischen Verhältnisse.

Ein weiterer Verlierer sind die überkonfessionellen Parteien. Bis auf die Syrisch-Nationale Partei, welche in ihren traditionellen Wahlkreisen ihre Parlamentsitze weiter sichern konnte, mussten die linken libanesischen Parteien große Verluste einstecken. Erfolge gab es nur dort, wo Koordination mit den Großparteien möglich war.

„Stabilität“ und politische Sackgasse

Das konfessionelle Regime im Libanon ist das Ergebnis und der Garant einer Situation, wo keine religiöse Gemeinschaft die alleinige Hegemonie im Land erreichen kann. Dieses Gleichgewicht war der Grund für eine im Vergleich mit den anderen arabischen Staaten relativ demokratische Staatsform. Die Unmöglichkeit eines politischen Wechsels durch dieses System war aber auch der Grund für den Bürgerkrieg in den Jahren 1975-1990. Bisher sind alle Reformversuche an der Selbstreproduktionsfähigkeit des Konfessionalismus gescheitert. Die oberen Schichten aller Konfessionen sind sich hier einig. Dies ist auch die Basis des künstlichen Staates, der 1946 durch die französische Besatzungsgewalt von Syrien abgetrennt wurde. Der Zerfall der säkularen Opposition (Panarabische Parteien, Linke, palästinensische Organisationen) während des Bürgerkrieges überließ das Feld den konfessionellen Kräften, systemtreu oder reformistisch. Das Fehlen von Vertrauen drängt auch säkulare Menschen dazu, Schutz innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft zu suchen. An den Grenzen der konfessionellen Interessen bleibt auch die Staatsgewalt stehen. Eine ganze Gemeinschaft kann auch nicht dauerhaft ausgeschlossen bleiben. Kein Weg führt um ruhige Verhandlungen mit Hizbullah vorbei, um die Schiiten an der Regierung zu beteiligen. Keine Kraft wird in dieser Konstellation ihr Programm vollständig durchsetzen können.

In einem zum Aufteilen zu kleinen Land, wo bisher die Konfrontation stellvertretend für alle Kräfte der Region stattgefunden hatte, wird diese auch erst entschieden, wenn die Entscheidung regional stattfindet. Das Ende des konfessionellen Regimes wird mehr als einen Bürgerkrieg im Libanon benötigen. Ein säkularer, demokratischer und stabiler Libanon ist nur in einem regionalen Kontext vorstellbar.

Mohamed Aburous

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