2) Selbst die westlichen Medien konnten nicht übersehen, dass es die Armut ist, die fest hinter dem Präsidenten steht. Seine Anklage der Korruption im Establishment der Islamischen Republik brachte ihm in den westlichen Medien prompt das Prädikat Populist ein – ein indirektes Eingeständnis der breiten Unterstützung, die er von unten geniest.
3) Tatsache ist, dass das kapitalistische Establishment um Rafsanjani, die Nr. 2 des Regimes und Vorsitzender des Wächterrates, nicht Ahmadinejad, sondern seinen Herausforderer Moussavi unterstützte hat, so wie eine breite Koalition von islamischen Kräften von ganz links bis ganz rechts. Dass die Nr. 1, Ayatollah Khameini und Nachfolger Khomeinis, sich nach der Wahl auf die Seite des Siegers stellte, heißt nicht, dass Ahmadinejad sein Wunschkandidat war. Denn niemandem aus dem Establishment waren die heftigen Attacken Ahmadinejads auf die herrschende Elite geheuer. Vielmehr geht es um die Stabilität des Systems.
4) Wir können Wahlbetrug nicht ausschließen. Dieser kommt bei fast allen Wahlen in der Dritten Welt und selbst im Westen vor, wenn entgegen gesetzte Interessen auf einander prallen – und nicht nur dann. Der Westen sieht geflissentlich über solche Unschönheiten hinweg, wenn Kräfte an die Macht kommen, die ihm genehm sind. Nur im gegenteiligen Fall wird Zeter und Mordio geschriehen. Doch es gibt starke politische Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass Ahmadinejad wirklich haushoch gewann. Erstens kontrolliert er nicht den Staatsapparat, sondern maximal eine Fraktion. In einem gewissen Sinn gehört er nicht zum Establishment. Um die Wahl umzudrehen, hätte es einer Art Staatsstreich bedurft. Dazu müsste der Machtapparat geschlossen hinter Ahmadinejad gestanden haben oder aber er hätte gegen die ihm feindlich gesonnenen Teile präventiv vorgehen müssen. Das war aber nicht der Fall.
5) Die extrem hohe Wahlbeteiligung von über 80% ist ein Zeichen der Stärke und Stabilität des politischen Systems der Islamischen Republik. Von solcher Partizipation wagt der Westen nicht einmal zu träumen. Genauso wie der Sieg Ahmadinejads ist die enorme Wahlbeteiligung selbst ein Schlag ins Gesicht der westlichen Doppelmoral, der den Iran als Diktatur diffamiert, während er gleichzeitig die schlimmsten Diktaturen der Region legitimiert und stützt. Zumal im Gegensatz zum Westen, wo es bei Wahlen keine echte Opposition gibt und nur die verschiedenen Kandidaten der Eliten gegeneinander antreten, es bei den iranischen Wahlen tatsächlich um eine Richtungsentscheidung ging.
6) Es ist nicht abzusehen, ob die breite Koalition um Moussavi aufgeben wird oder nicht, denn der Riss ist sehr tief. Klar ist, dass wichtige Teile der Mittelschichten sich eine politische Liberalisierung und mehr kulturellen Spielraum wünschen. Diese Forderungen wären an sich zu unterstützen. Allerdings vermischen sie sich bei der gegenwärtigen Opposition strukturell mit dem Nachgeben gegenüber dem Westen und mit einem akzentuiert kapitalistischen Kurs der Wirtschaftseliten. Es ist diese Verbindung die inakzeptabel ist und die letztlich auch der Mühlstein um den Hals jener darstellt, die tatsächlich mehr politische Freiheiten fordern. Ein unbeugsamer Antiimperialismus bleibt die Vorbedingung jeder demokratischen Bewegung. Der Mainstream des Mittelstands geht trotz gewisser „linker Rhetorik“ in jeder Hinsicht Richtung Anpassung an den Westen.
7) Unsere Freude über den Erfolg Ahmadinejads bedeutet aber nicht, dass wir die tiefgreifenden Probleme der Iranischen Republik und ihres Regimes nicht sehen würden. Der Mangel an demokratischen und kulturellen Freiheiten schließt die Unterdrückung von nationalen und religiösen Minderheiten mit ein. Selbst wenn Ahmadinejad Direkttransfers an die Unterschichten durchführte, so konnte er an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes und der strukturellen Armut nichts ändern. Dem kapitalistischen (Unter)entwicklungsweg am Rande des globalen Freihandelsregimes setzte er nichts Ernsthaftes entgegen. Ganz zu schweigen von der schändlichen Rolle im Irak, wo Teheran die US-Besatzung und die Errichtung eines paradoxen US-iranischen Kondominiums unterstützte. Mag die iranische Außenpolitik in der Frontstellung gegen die USA oft ein antiimperialistisches Moment unterstützen (Hisbollah, Hamas), so bleibt ihre zentrale Achse doch das Streben nach regionaler Machtentfaltung mit konfessionellem Einschlag. Da bleiben die sozialrevolutionären Interessen der Volksmassen im Rahmen eines globalen antiimperialistischen Projekts immer wieder auf der Strecke.
Eine genauere Analyse der Wahlergebnisse, die im Detail noch nicht vorliegen, muss folgen.
Antiimperialistische Koordination (AIK)
14. Juni 2009