Kommentar zu den Grenzen des konfessionellen Antiimperialismus der Hisbollah
Link zum Artikel "Libanesische Wahlen: Konfessionalismus verhindert demokratischen Wechsel"
Viele fortschrittliche Menschen in aller Welt hatten gehofft, dass die vergangenen Wahlen im Libanon einen grundlegenden Umschwung bringen würden. Dank des auf einem Höhepunkt befindlichen Masseneinflusses der Hisbollah und ihrem Bündnis mit der reformorientierten Bewegung des General Aoun meinte man, könnten diese mit friedlichen und demokratischen Mitteln an die Macht bringen.
Und tatsächlich, mit einem Verhältnis- und erst Recht mit einem Mehrheitswahlrecht hätte das Oppositionsbündnis die Regierung stellen können, denn sie konnte mit knapp 55% der Stimmen eine bedeutende Mehrheit auf sich vereinigen.
Indes hat das vom französischen Kolonialismus hinterlassene konfessionelle Wahlsystem der Demokratie einen Strich durch die Rechnung gemacht – eine Tatsache, die die westlichen Medien in ihrem Triumphgeheul tunlichst verschweigen. Damit erfüllt es genau jenen Zweck zu dem es erdacht wurde, namentlich den prowestlichen Kräften die Hebel der Macht zu sichern.
Die fortschrittlichen, antiimperialistischen Kräfte scheinen vor einer unüberwindlichen Schranke zu stehen.
Auf der einen Seite will die Hisbollah bewaffnete Aktionen, trotz ihrer überwältigenden militärischen Macht, wenn irgend möglich vermeiden, denn sie befürchtet, dass ein solches Vorgehen konfessionell interpretiert werden könnte. Tatsächlich hat ihr militärisches Eingreifen im Mai 2008, das allein die Regierung dazu bewegen konnte deren Machtmonopol aufzugeben und der Opposition zumindest ein Vetorecht einzuräumen, in der sunnitischen Bevölkerung die konfessionelle Mobilisierung noch weiter angeheizt.
Auf der anderen Seite ist der Weg über Wahlen strukturell versperrt, selbst mit satten Mehrheiten. Denn an eine demokratische Reform des Wahlsystems ist nicht zu denken. Selbst die Aounisten, Hisbollahs Bündnispartner, haben keinerlei Interesse das konfessionelle System abzuschaffen, denn die Christen und insbesondere die Maroniten sind stark überrepräsentiert. Nur die stark unterrepräsentierten Schiiten und einige Restlinke wären dafür zu haben.
Der Konfessionalismus ist also eine harte Nuss, die den traditionellen, prowestlichen Eliten die Macht sichert. Hier zeigen sich deutlich auch die Grenzen von Hisbollah, einem konfessionellen Antiimperialismus. Die proimperialistische Drehung der Sunniten, unter denen es früher eine bedeutende Linke und antiimperialistische Bewegung gab, ist vor allem mit einer konfessionellen Inversion zu erklären. Andernorts in der arabischen Welt erweist sich Sunni-Islam und Antiimperialismus ja keineswegs als Widerspruch.
Für uns ergeben sich aus der gegenwärtigen Sackgasse zwei entscheidende Schlussfolgerungen und Herausforderungen:
1) Die Hisbollah muss das Bündnis mit den linken, säkularen Kräften weiter forcieren. Letztlich muss sie ein wirklich überkonfessionelles antiimperialistisches Angebot machen, das nicht nur Unterstützer in allen wesentlichen Konfessionen findet, sondern Ansätze zur Überwindung des Konfessionalismus überhaupt aufweist. Den Linken und Linksnationalisten kommt hier eine sehr große Rolle zu.
2) Ohne bewaffnete Aktion gegen die Eliten wird deren Entmachtung nicht möglich sein. Allerdings ist klar, dass eine solche Revolution nur unter der Bedingung möglich ist, dass es eine tragfähige überkonfessionelle antiimperialistische Front gibt. Andernfalls droht ein blutiger konfessioneller Bürgerkrieg, wie ihn der Libanon bereits einmal durchleben musste. Er war für keiner der Beteiligten gewinnbar.
Dass der Konfessionalismus den antiimperialistischen Widerstand in die Niederlagen führen kann, hat sich am Irak gezeigt. Nur ein verstärktes und erneuertes Bündnis Linke-Hisbollah kann die libanesische Herausforderung lösen.
Wilhelm Langthaler
10. Juni 2009