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Palästina: Provoziert Netanyahu eine neue Intifada?

12. Oktober 2009

Kampagne "Gaza muss leben"

Die derzeitige Eskalation um die Aqsa-Moschee in Jerusalem ähnelt den Umständen, unter denen genau vor neun Jahren die palästinensische Intifada ausgebrochen ist. Mehrere Medien stellen die Frage, ob tatsächlich eine neue Intifada bevor steht. Die provokative Haltung der israelischen Regierung von Netanyahu lässt den Verdacht aufkommen, die Eskalation sei tatsächlich erwünscht.
 
Am 27. September, anlässlich des jüdischen Fastentags Yom Kippur versuchten jüdische Extremisten unter dem Schutz der israelischen Polizei, die Aqsa-Moschee in Jerusalem zu stürmen. Die Jerusalemer eilten zum Schutz der Moschee. Bei der Konfrontation wurden mindestens 16 Palästinenser verletzt, bei der darauf folgenden Verhaftungswelle über neunzig Palästinenser verhaftet.
 
Gleichzeitig setzt Israel die Grabungen unter den Fundamenten der Moschee fort. Ein Tunnel soll nur sechs Meter unter dem Fundament laufen, was eine ernsthafte Bedrohung des Gebäudes darstellt.
 
Jüdische Extremisten sehen im Areal der Aqsa-Moschee den so genannten Tempelberg, wo vor zweitausend Jahren der zweite jüdische Tempel gestanden haben soll. Seit 1967 gab es mehrere Versuche, die Moschee zu zerstören. Der erfolgreichste war 1968, als die Moschee fast vollkommen abbrannte. Alarmierend ist das Beispiel von Hebron, wo eine Gruppe jüdischer Fanatiker die Hälfte der Abraham-Moschee dauerhaft besetzen konnte. Dies macht die Jerusalemer besonders wachsam und empfindlich gegen Versuche jüdischer Fanatiker, das Areal zu betreten. Es wird darauf geachtet, die Moschee und die dazugehörigen Gebäude niemals vollkommen leer zu lassen. Der provokante Besuch Ariel Sharons im September 2000 und die blutige Repression der Proteste waren der Ausgangspunkt der zweiten Intifada.
 
Die Nachricht von einer weiteren Mobilisierung jüdischer Extremisten, nach der zum jüdischen Neujahrfest mehr als dreitausend Siedler an der Klagemauer zu erwarten wären, sorgte für eine palästinensische Gegenmobilisierung. Gefürchtet wird eine jüdische Massenstürmung der Aqsa-Moschee. Da die Araber durch die Isolierung Jerusalems vom restlichen Westjordanland in der Minderheit sind, würde dies eine physische Gefahr für die Moschee bedeuten.  Die arabischen Kräfte im israelischen Staatsgebiet (vor allem in Galiläa) mobilisierten am 2. Oktober die Massen für das Freitagsgebet, nach dem sich zweihundert Personen in der Moschee als Dauerwache aufhielten. Die israelische Polizei forderte diese auf, die Mosche zu verlassen und unternahm einen Stürmungsversuch, bei dem mehrere Personen verletzt wurden.
 
Die Mosche wurde zur „geschlossenen Militärzone“ deklariert und den Arabern wurde der Zutritt versperrt. Autobusse aus Galiläa wurden gehalten und alle Personen unter fünfzig Jahren zurückgewiesen. Die israelische Polizei schlug alle arabischen Proteste und alle Versuche der Gläubigen, die Moschee zu betreten, gewaltsam nieder. Zur selben Zeit versammelten sich jüdische Extremisten in Jerusalem und riefen offen zur Stürmung der Moschee auf, um „den Grundstein des Tempels zu legen“.
 
Die Eskalation breitet sich im gesamten israelischen Staatsgebiet (48er Gebiet) und an den israelischen Militärsperren zwischen Jerusalem und dem restlichen Westjordanland aus. Sie wird einerseits von einer politischen Kampagne in der gesamten islamischen Welt zum Schutz des islamischen Heiligtums und gleichzeitig von einer israelischen Repressionswelle gegen die arabischen Kräfte im 48er Gebiet, welche eine Woche zuvor einen erfolgreichen Generalstreik gegen die rassistische Politik des Staates umsetzen konnten, begleitet.
 
Am 7. Oktober wurde Raed Salah, der Anführer der Islamischen Bewegung in Galiläa für kurze Zeit verhaftet. Über ihn wurde ein einmonatiges Aufenthaltsverbot in Jerusalem verhängt. Verhaftet wurden auch weitere Aktivisten der Islamischen Bewegung.
 
Die Eskalation erreichte ihre Spitze am Freitag, 9. Oktober im Zusammenhang mit dem Freitagsgebet, der als weltweiter Solidaritätstag mit der Aqsa-Moschee deklariert wurde. Die Besatzungsbehörde verwehrte den männlichen Gläubigen dem Zutritt zur Moschee, die ihrerseits die Gebete auf den Straßen und an den Toren der Altstadt verrichteten. Es kam zu Zusammenstößen mit der israelischen Polizei und Armee in Jerusalem, Galiläa und in unterschiedlichen Orten im Westjordanland. Weltweit gab es Demonstrationen gegen die israelische Entarabisierungspolitik in Jerusalem.
 
Die gefürchtete Eskalation in der islamischen Welt rief diplomatischen Druck auf Israel hervor, die Situation teilweise zu entspannen. Am Samstag, 10. Oktober beendete die israelische Polizei ihre Blockade der Moschee und zog ihre Personenkontrolle beim Eingang zurück.
 
Die Lage bleibt gespannt. Ob sie zur Ruhe oder zu einer Dauereskalation tendiert, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Eine weitere Frage ist, inwiefern die israelische Regierung an solchen Eskalation Interesse hat.
 
Kalkulierte Eskalation?
 
Die totale Kapitulation der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA) drückte sich an der Rücknahme eines UNO-Resolutionsentwurfes, der auf der Basis des Goldstone-Berichts die israelischen Kriegshandlungen in Gaza als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilen würde, aus.
 
Die PNA hängt sich an den eher kosmetischen Friedensplan Obamas und akzeptiert die Brösel, ihr danach zustehen würden (Teilstopp des Siedlungsbaus, Bewegungsfreiheit, Palästinenser-Staat in den arabisch dicht bewohnten Gebieten, ohne definierte Grenzen).  Die Regierung Netanyahus will auch diesen minimalen Forderungen nicht nachgeben und intensiviert den Siedlungsbau. Die Bereitschaft der arabischen Länder, den Staat Israel anzuerkennen, beantwortet Netanyahu mit der neuen Forderung, den exklusiv jüdischen Charakter Israels anzuerkennen.
 
Die verhärtete Haltung Netanyahus erschwert die globale Strategie Obamas und gibt der „Kapitulationsoffensive“ der PNA und der arabischen Staaten einen Sinn: Die Araber schrauben ihre Erwartungen zurück und der Westen übt daher Druck auf Israel aus. Die israelische Opposition zu Netanyahu wäre bereit, auf Obamas Vorstellungen einzugehen und wirft Netanyahu vor, die Gelegenheit der Stunde nicht zu nützen. Nur durch eine Totaleskalation kann Netanyahu seine rechtsrechten Regierung retten: Ein Aufstand der Palästinenser im Westjordanland, der blutig niedergeschlagen wird und gleichzeitig die PNA unter Druck setzt. Dies wird auch die innere Front hinter Netanyahu vereinigen. Der geschwächte politisch orientierungslose Gegner im Westjordanland wird auch keine strategische Bedrohung für Israel darstellen.
 
Begleitet wird dies mit einer größeren Repressionswelle gegen die arabischen Staatsbürger im 48er Gebiet. Die ersten Zeichen dieser Repression sind schon durch neue Gesetzesentwürfe sichtbar, nach denen die arabischen Schulen die zionistische Version der Geschichte unterrichten, die Schüler morgens die israelische Hymne singen und die arabischen Ortsnamen durch neue, hebräische ersetzt werden müssen. Wird eine Intifada der arabischen Bürger provoziert, um ein Repressionsregime in Galiläa und Negev zu errichten und den Arabern die bisher errungenen demokratischen Rechte abzuerkennen? Eine Vorstufe zu einer Ausbürgerung der Nicht-Juden?
 
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