Der Saada-Krieg wird regional
Seit mehr als einer Woche beteiligt sich die saudi-arabische Armee an der Offensive der jemenitischen Armee gegen die schiitischen Houthi-Milizen in der jemenitischen Provinz Saada. Saudi-Arabien versucht damit seine inneren Spannungen nach außen zu kanalisieren und sich als regionale Macht stärker zu positioneren.
Die Houthisten, die Saudi-Arabien beschuldigt hatten, der jemenitischen Armee eine Militärbasis auf der saudi-arabischen Seite der Grenze zur Verfügung gestellt zu haben, überquerten letzte Woche die Grenze und brachten den Doukhan-Berg unter ihre Kontrolle. Saudi-Arabien, das sich bisher mit logistischer Unterstützung der jemenitischen Armee begnügte, ist nun offiziell in den Krieg eingetreten: Die saudische Luftwaffe und Artillerie bombardierten Stellungen der Houthisten und zwangen sie offenbar zum Abzug. Anfangs beschränkte sich die Aktion laut der offiziellen Version des saudischen Verteidigungsministers auf das saudische Territorium, während die Houthisten die saudische Armee beschuldigten, Stellungen in Jemen bombardiert zu haben. Es soll auch zur Anwendung von Phosphor-Bomben gekommen sein. Tausende Menschen mussten aus den Kampfgebieten fliehen.
Am 10. November gab Saudi-Arabien offiziell bekannt, die Bombardierungen fortführen zu wollen, bis sich die Houthisten Dutzende Kilometer weit entfernt hätten. Die saudische Marine verhängte auch eine Blockade über die nördliche jemenitische Küste, um "Waffenlieferungen aus dem Ausland an die Houthisten zu verhindern". Zur selben Zeit melden die Houthisten täglich die Übernahme weiterer Stellungen in der Provinz Saada.
Nach wie vor bleibt die militärisch Lage im Jemen unklar: Sowohl das jemenitische Regime und Saudi-Arabien auf der einen Seite als auch die Houthisten auf der anderen melden territoriale Fortschritte und hohe militärische Verluste des Gegners.
Die Intervention Saudi-Arabiens deutet auf die Unfähigkeit der jemenitischen Armee gegenüber den Aufständischen hin. Die Houthisten, die im Besitz moderner Waffen aus den Lagern der jemenitischen Armee sind, konnten bisher mehrere jemenitische Kampfflugzeuge abschießen. Gleichzeitig wächst im ganzen Land der Unmut gegen das Regime von Ali Abdullah Salih, der früher die unterschiedlichen Regionen und politischen Kräfte gegeneinander ausspielen konnte. Sich bei Saudi-Arabien für die Unterstützung bedankend, brauchte das jemenitische Regime eine ganze Woche, um die saudische Aktion überhaupt zu kommentieren, da diese von der Opposition als eine Verletzung der nationalen Souveränität verurteilt wurde. Präsident Salih unterzeichnete (laut Meldungen der jemenitische Presseagentur Sabaa) ein Sicherheitsabkommen mit den USA, das die Ausbildung der jemenitischen Kräften im Bereich Militärgeheimdienst vorsieht.
Regime in der Krise
Beim Versuch, eine sunnitische Mobilisierung gegen die Houthisten zu aufzubauen, wirft der jemenitische Präsident Ali Abdullah Salih dem Iran vor, die schiitische Miliz zu bewaffnen. Ein mit Waffen beladenes Schiff aus dem Iran, das von der jemenitischen Marine gekapert wurde, sollte als Beweis dienen, mithilfe dessen der Staat einen medialen und diplomatischen Angriff gegen den Iran lancierte. Das Regime von Salih befindet sich in einer tiefen politischen Krise, nachdem auch im Süden des Landes (ehemals der sozialistische Südjemen) die Opposition gegen sein Regime stark wird.
Der Iran warnte seinerseits die Nachbarländer vor Einmischung in die inneren jemenitischen Angelegenheiten und kritisierte jene, die Öl ins Feuer gießen würden. Der iranische Außenminister Muttaki dementierte die jemenitischen Anschuldigungen und warnte vor den Folgen der Repression gegen das jemenitische Volk.
Auf ähnliche Weise wie die jemenitische Regierung versucht Saudi-Arabien seine inneren Spannungen ins Ausland zu kanalisieren. Die Risse im Familienregime werden immer deutlicher. Ein Machtkampf der Prinzen um die Staatsorgane und um die Nachfolge des achtzigjährigen Königs Abdullah kann nicht mehr hinter den Palastmauern verborgen werden. Die Salafiten, einst die historischen Stützen des Regimes, sind heute eine ernstzunehmende Opposition. Die Proteste des schiitischen Osten und Südens des Landes gegen die wahabitische Diskriminierung werden lauter und organisierter. Der Versuch des Staates, über den Wahabitismus hinaus eine nationale Identität zu schaffen, scheitert an seinen Unwillen, ernsthafte politische Reformen durchzuführen. Daher greift er ständig auf die loyalen traditionellen wahabitischen Kräfte zurück und antwortet auf Opposition mit Repression, die jedoch (alleine durch die Opposition innerhalb des Wahabitismus, die nicht nur in den Anschlägen der Qaida zum Ausdruck kommt) keine dauerhafte Stabilität bringen kann.
Das jemenitische Wespennest
Der Krieg im Jemen bietet dem Familienregime daher ein Entlastungsventil an. Der schiitische Charakter der Houthisten leitet Wasser auf die Mühlen der staatlichen Kampagne gegen die "vom Iran gesteuerte schiitische Gefahr". Tatsächlich beschuldigte ein Sprecher der „Al-Qaida in der Arabischen Halbinsel“ den Iran, schiitische Milizen gegen die sunnitischen Bewohner von Saada zu bewaffnen. Die salafitische Opposition unterstützt damit taktisch den Staat. Die arabischen Staaten unterstützen ebenfalls den Jemen und Saudi-Arabien im Feldzug gegen die Houthisten. Saudi-Arabien steht jetzt im Mittelpunkt einer künstlich herbeigeführten regionalen Konfrontation.
Das ist ein riskantes Unternehmen, weil auch auf der saudischen Seite der Grenze und gerade in dieser geographisch schwer zugänglichen Gegend eine schiitische Mehrheit lebt. Die Einwohner sind nicht nur sozial marginalisiert, sondern auch konfessionell diskriminiert. Bis zum saudisch-jemenitischen Krieg im Jahr 1934 war der Südwesten des Landes, die Distrikte Asir und Nadschran, wirtschaftlich, politisch und kulturell mehr mit dem Jemen verbunden als mit dem relativ jungen saudischen Staat. Heute leben die Einwohner großteils von Schmuggelgeschäften über die ohnehin willkürlich gezogene 1500 km lange Staatsgrenze, die jetzt durch eine Hightech-Mauer abgeriegelt werden soll. Zusätzlich leben in Saudi-Arabien etwa eine Million jemenitische Staatsbürger.
Gerade die Stämme im Nordjemen waren traditionell die royalistischen Alliierten Saudi-Arabiens gegen die einst angefeindete jemenitische Republik und später die Verbündete von Ali Abdullah Salih gegen den ehemaligen kommunistischen Südjemen. Der Verlust dieser Allianz bedeutet für beide Regime den Verlust eines wichtigen Stabilitätsfaktors.
Konfessioneller Kreuzzug gegen den Iran?
Die mediale Kampagne in Saudi-Arabien richtet sich nicht nur gegen die Houthisten, sondern teilweise auch konfessionell gegen Schiiten, die als Ungläubige und als Armlanger Teherans dargestellt werden. Der wahabitische Salafismus bietet mit seiner anti-schiitischen Doktrin ein wirksames Instrument, solange dieser sich nicht in die saudische Staatspolitik einmischt. Die kommende Pilgersaison Ende November 2009 könnte als Barometer des Eskalationsgrad dienen. Millionen Pilger der diversen konfessionellen Strömungen werden sich in Mekka treffen. Zum Thema „Politisierung des Pilgertums“ und „rituelle Freiheiten für die nicht sunnitischen Konfessionen“ waren in den letzten Wochen die Töne zwischen Riad und Teheran schärfer als in den vergangenen Jahren.
Die jetzige Eskalation hat das Ziel, das Golfgewässer für einen Krieg des Westens mit dem Iran aufzuwärmen. Saudi-Arabien hofft auf einen härteren Kurs der USA gegen den Iran. Als sunnitischer Gegenpol würde Saudi-Arabien eine führende Rolle in einer arabischen Allianz mit den USA bekommen. Eine sunnitisch-schiitische Konfrontation kann wenigstens den sunnitischen Teil des Königreichs gegen den Iran und seine regionale Expansionsambitionen vereinigen.
Tritt jedoch eine Entspannung zwischen den USA und dem Iran ein, so würde die arabische Allianz mit Saudi-Arabien im Zentrum schnell abbröckeln. Saudi-Arabien wird sich dann mitten in einem Wespennest befinden. Die Probleme im benachbarten Jemen sind vielschichtig und historisch komplex. Ein militärischer Schlag gegen eine tribale Hauptkraft kann diese nur kurzfristig schwächen. Das haben über die Jahrzehnte die vielen Feldzüge des jemenitischen Staates gegen die unterschiedlichsten aufständischen Stämme bewiesen. Das Zerfallen des nun von allen Kräften angefeindeten jemenitischen Regimes kann ein neues Somalia auf der arabischen Halbinsel schaffen. Das Waffenparadies des sowohl politisch als auch konfessionell vielfältigen Jemens würde allen oppositionellen Kräften der arabischen Halbinsel dienen.
Die jetzige Hetze gegen Schiiten ist im Sinne der "nationalen Identität" Saudi-Arabiens mehr als kontraproduktiv, zumal auch die ölreiche Golfküste mehrheitlich von Schiiten bewohnt ist. Der saudiarabische Staat, der sich bis vor kurzem um eine modernere Identität bemühte, spricht heute wieder eine konfessionelle Sprache. Eine anti-schiitische Mobilisierung salafitischer Kräfte kann zwar kurzfristig günstig sein, bedeutet jedoch langfristig den Zerfall sowohl des Regimes als auch Saudi-Arabiens als integrales Staatsgebiet, das bis jetzt mit äußerster Gewalt zusammengehalten und gegen jede Reform abgeschirmt werden konnte.
Mohammad Aburous
13. November 2009
(1) Siehe: Jemen: Der Krieg des Regimes gegen die Schiiten
http://www.antiimperialista.org/content/view/6251/52/