Das Minarett-Verbot hat uns vor eine paradoxe Situation gestellt, deren Bewertung schwierig ist. Es ist eine ähnliche Problematik, die uns in Zusammenhang mit den populistischen Bewegungen in Europa immer wieder begegnet. Das plebejische Element der Auflehnung gegen die Eliten äußert sich teilweise in rassistischer Formen, die selbst wieder teil des herrschenden Konsens sind.
Möglicherweise wird der Entscheid niemals umgesetzt, doch die politische Signalwirkung ist enorm. 57,5 Prozent hatten sich in der Schweiz für eine Verfassungszusatz ausgesprochen, der den Bau von Minaretten untersagen soll. Die Umsetzung des Volksentscheids gestaltet sich zwar schwierig, da von juristischer Seite eingewandt wurde, dass ein Bauverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) widersprechen würde. Dennoch ist das politische Signal des Volksentscheids nicht zu überhören .
Man wollte ein Zeichen gegen die drohende Islamisierung Europas setzen, betonten die Initiatoren des Referendums, die aus Teilen der Schweizerischen Volkspartei (SVP) stammen, immer wieder. Das Zeichen hat seine Wirkung nicht verfehlt. Niemand hatte im Vorfeld tatsächlich mit einem positiven Ausgang gerechnet. Doch allen Umfragen zum Trotz stimmten die Schweizer dennoch für ein Verbot.
Die Situation, die auf den Entscheid folgte, ist paradox. Europaweit hatten die herrschenden Eliten das Referendum als menschenrechtswidrig kritisiert. Nur rechtspopulistische Parteien, wie etwa die FPÖ in Österreich, hatten dezidiert den Ausgang des Referendums begrüßt. Was ist also mit dem antiislamischen Konsens geschehen, den wir seit über einem Jahrzehnt kritisieren? Hat das Pendel nun in die Gegenrichtung ausgeschlagen?
Fast scheint es so, als ob die herrschende Elite Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen haben. Seit dem Untergang des Realsozialismus hat der Antiislamismus den Antikommunismus als Kitt der herrschenden Ideologie abgelöst. Diese Tendenz hat sich tief in die Kultur der europäischen Gesellschaft festgesetzt, so wie Coca Cola und Blue-Jeans nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch wenn sich herrschende Ideologie plebejisiert und in die Niederungen der Gesellschaft herabsteigt, dann kann das auch Formen annehmen, die der Elite Unbehagen bereitet.
Es hat sich in der Stellung zum Islam in der europäischen Kultur daher ein ambivalentes Spiel entwickelt. Dass in Bezug auf die Errungenschaften der Aufklärung und der Säkularisierung dem Islam mit Vorsicht zu begegnen sei, darin besteht zwischen Eliten und Volk Einigkeit. Bei den Herrschenden äußert sich der Antiislamismus jedoch ideologisch als Verteidigung des Rechtsstaates und der demokratischen Ordnung – ungeachtet der Tatsache, dass gleichzeitig eine Tendenz zur Unterminierung des Rechtsstaates im Namen des Feldzug gegen den Islam forciert wird. In seiner plebejischen Form aber verlässt er die juristisch-staatstragende Form und gewinnt damit eine Aggressivität, die den Eliten sauer aufstößt. Dieses Spiel kann sogar soweit gehen, dass sich die herrschende Elite als Verteidiger der muslimischen Minderheit ereifert, ungeachtet des antiislamischen Konsenses.
Sebastian Baryli