Alle: Die Bevölkerung Griechenlands, die dramatische Sparmaßnahmen hinnehmen muss und sieht, wie ihr Land zu einem Protektorat der EU wird. Die Steuerzahler im Rest Europas, die die Finanzhilfen schultern müssen. Die einzigen, die nichts beitragen, sind wieder einmal die Halter der Staatsschulden (zu großen Teilen das europäische Bankensystem), die nicht auf einen Cent verzichten sollen. Ein blendendes Geschäft: Die Bank borge sich Geld um praktisch Null Prozent Zins bei der EZB und kaufe damit zu fünf oder sechs Prozent verzinste griechische Staatsanleihen. Man verdiene an der Zinsdifferenz und verkünde was für ein großartiges Management am Werk ist. Wenn dann die Griechen nicht mehr bezahlen können, hat man von nichts gewusst und wartet auf den Steuerzahler, der einen wieder herausholt – und auch noch die Zinsen für die Staatsanleihen zahlt. Mit „Marktwirtschaft“ und „Wettbewerb“ hat diese Form von Kapitalismus nichts mehr zu tun.
In Griechenland gibt es derweil ein drakonisches Sparpaket: Kürzung von Löhnen und Sozialleistungen, Einschnitte im Pensionssystem, Kampf gegen die Steuerhinterziehung. Die letzte Maßnahme ist zweifellos richtig, dennoch ist ein gewaltiger Schock unvermeidlich: Wenn das staatliche Defizit innert kürzester Zeit von 12 Prozent des BIP auf 3 Prozent zurückgefahren wird, bedeutet das gleichzeitig einen Rückgang der Gesamtnachfrage von 9 Prozent. Ein Teil davon wird auf geringere Importe aus dem Ausland entfallen. Der Rest reicht für einen völligen Zusammenbruch der Binnenkonjunktur und ein soziales Massaker.
Die griechische Misere hat dabei mehrere Ursachen im Hintergrund. Der eine ist die Korruption der griechischen Oligarchie, die grundsätzlich keine Steuern bezahlt. Ein zweiter ist die Flatterhaftigkeit der Finanzmärkte: Das griechische Budget steht nicht viel schlechter da als jenes anderer Staaten (etwa Großbritanniens), aber wenn das Gespenst der Zahlungsunfähigkeit einmal im Raum steht, dann löst es eine selbst erfüllende Prophezeiung aus: Staatschulden müssen (selbst wenn keine neuen dazu kommen) ständig umgewälzt werden, weil die Schuldpapiere teilweise kurze Laufzeiten haben. Will niemand mehr refinanzieren, dann tritt die Zahlungsunfähigkeit tatsächlich ein. Ein dritter Grund sind die strukturellen Ungleichgewichte der Euro-Zone: Deutschland hat sich mit Lohndumping zum Exportweltmeister gemacht (ein paar kleinere Staaten sind der gleichen Politik gefolgt), dem gegenüber haben viele Staaten des Mittelmeerraumes an Konkurrenzfähigkeit verloren. Die Folge ist eine Zersetzung der Industriestruktur und gewaltige Defizite beim Handel mit dem Ausland. Darauf könnte man reagieren, indem Deutschland das Lohndumping beendet – tut man aber nicht. Staat dessen möchte man lieber den Rest von Europa auch noch kaputt sparen und in Griechenland wird einmal tüchtig angefangen (was übrigens die deutschen Exporte weiter abstechen wird).
Ein vierter Grund – von weltweiter Bedeutung – ist die Rückkehr der Finanzkrise. Wir haben im Frühjahr 2008 angenommen, dass es keinen Absturz der Weltwirtschaft geben wird, der mit 1931 vergleichbar wäre, und das hat sich als richtig herausgestellt. Gewaltige Staatsdefizite haben eine Spirale nach Unten, den völligen Zusammenbruch der Nachfrage aufgefangen. Nur: Wir haben es mit einer Strukturkrise der kapitalistischen Globalisierung zu tun. Die ungleiche Einkommensverteilung, die jahrelangen Lohnkürzungen haben zu einer Schwäche der Konsumnachfrage geführt. Jahrzehnte ist das durch steigende Verschuldung der Haushalte ausgeglichen worden. Seit zwei Jahren ist der Staat eingesprungen. Der Punkt, an dem das auch nicht mehr funktioniert, ist jener, an dem die Staatsdefizite zu groß geworden sind. Was ist zu groß? Verschuldung funktioniert prächtig, solange die Gläubiger keine Probleme beim Herborgen machen. Dieser Punkt lässt sich nicht sicher vorhersehen, aber irgendwann beginnen die Finanzmärkte sich Sorgen zu machen und verlangen Risikoaufschläge. Dann gerät jede Konjunkturerholung ins Stocken. Entweder die Staaten treten auf die Schuldenbremse (was Nachfrage weg brechen lässt), oder es steigen die langfristigen Zinsen, weil der Zinssatz für die Staatsschulden den Anker für andere Zinssätze bildet (was die überschuldeten Unternehmen und Haushalte in Schwierigkeiten stürzt). Oder beides, wie jetzt in Griechenland. Griechenland ist das erste Land der Eurozone, das den Absturz probt, weil Griechenland mit Strukturproblemen kämpft, die von der Finanzkrise unabhängig sind. Aber Anderen steht Ähnliches noch bevor. Griechenland ist damit nur die Ouvertüre für eine neue Runde der Krise.
Und dann? Alles vorbei? Wenn den großen Ländern der Euro-Zone ein ähnliches Schicksal droht, wird die EZB wohl gezwungen sein, die Schleusen wieder zu öffnen und die Märkte mit Geld zu fluten. Das stabilisiert die Situation, aber um den Preis, dass die zusätzliche Liquidität neue Vermögenspreisblasen (gebaut auf neuen Schulden) antreibt – die erst wieder platzen werden.
Mit Auf- und Ab wird die Finanzkrise daher andauern – solange bis wenigstens ein paar der dahinter liegenden strukturellen Probleme gelöst sind: Überschuldung, ungleiche Einkommensverteilung und Unterkonsum.
Was aber tun in Griechenland? Und bald vielleicht in Portugal, Spanien oder Italien? Oder in Österreich, wenn die neuen Turbulenzen das Banksystem auseinander reißen und die Garantien der Republik schlagend werden? Wir haben immer wieder eine Enteignung der Staatsschulden gefordert, aber für Griechenland ist das nicht ausreichend, weil Griechenland neue Schulden aufnehmen muss, um die laufenden Ausgaben zu finanzieren. Was bleibt? Die Unterschichten müssen vor den Auswirkungen der Katastrophe geschützt werden. Abbau der überbordenden höheren Ränge der Staatsbürokratie, die sich die Taschen durch Korruption voll stopfen. Halbierung der Militärausgaben – die allein sind für ein Drittel des Defizits verantwortlich. Investitionen in einen Neuaufbau der Industriestruktur. Eine Teilenteignung der Oligarchie, um das finanzieren zu können. Kapitalverkehrskontrollen und Zwangsanleihen, damit sich diese Leute ihrer Teilenteignung nicht entziehen können. Koordinierte Maßnahmen gegen das deutsche Lohndumping.
Die sozialistische Regierung Griechenlands tut freilich das Gegenteil: alles, um die Märkte zu beruhigen. Ihrer patriotischen Rhetorik, dass alle zusammenstehen müssen, die Arbeitslosen den Gürtel enger schnallen sollen, um das Land wieder wettbewerbsfähig zu machen (und die Pfründe der Oligarchen zu retten) – dieser Rhetorik wird nicht leicht entgegenzutreten sein. Wir hoffen, dass die griechische Volksbewegung – die zu den lebendigsten Europas gehört – diesen Aufgaben gewachsen ist. Ihrem Beispiel könnten in Europa viele folgen.