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„Das Prinzip muss gegenseitige Anerkennung sein“

Interview mit Hans Sponeck, Teilnehmer an der Konferenz in Diyabekir zur Kurdenfrage


24. April 2010
Von M. Ilhan

Wer die Lösung des Konfliktes will, der seit Gründung der türkischen Republik existiert, muss zunächst vertrauensbildende Maßnahmen akzeptieren. Dazu gehört auch, dass eine Gruppierung, die sich intensiv mit der Lösung dieses Konfliktes auf der Basis der Menschenrechte einsetzt, nicht ausgeschlossen bleibt. Die Amerikaner haben sich immer wieder eingemischt, mit der Behauptung, dies geschehe im Interesse der Kurden.


1) Was war Ihr allgemeiner Eindruck von der Konferenz?

Der überwältigende Eindruck dieser 2 Tage in Diyabekir war, dass nicht nur Kurden und einige Ausländer teilnahmen, sondern dass da auch eine türkische Beteiligung war. Das sehe ich als einen guten Schritt in die richtige Richtung. Das zweite ist, dass man auf dieser Konferenz offen über die Probleme sprechen konnte, die man vor wenigen Jahren noch gar nicht beim Namen nennen konnte. Es ging darum, wie man sicherstellen kann, dass die PKK von der Liste der Terror-Organisationen entfernt wird, und es ging darum zu betonen, dass Herrr Abdullah Öcalan ein Führer der kurdischen Bewegung ist, den man nicht einfach ausschließen kann. Es wurde erörtert, ob man die Erfahrungen in anderen Länder, z.B. Nord-Irland, Spanien oder Südafrika, zur Lösung des kurdisch-türkischen Konfliktes Lösung einsetzen kann. Das waren große Eindrücke in Diyarbekir. Darüber hinaus ist es auch wichtig zu erwähnen, dass kurdische Politiker, die am Kongress teilgenommen haben, betont haben, dass Sie eine friedliche Lösung wollen. Die Pejmerga wollen von den Bergen in die Täler zurück und friedlich leben. Also eine kriegerische Auseinandersetzung will keiner. Das wurde auch von den türkischen Teilnehmern betont. Mein Eindruck ist, dass ein Waffenstillstand auch von der türkischen Seite gewollt wird.

2) Auf der Konferenz in Diyabekir sagten sie, dass die Türkei für die Lösung der Problematik mit der PKK verhandeln muss. Mit was für einer Roadmap könnte sich die Türkei diesem Vorschlag annähern?

Wer die Lösung des Konfliktes will, der seit Gründung der türkischen Republik existiert, muss erst einmal vertrauensbildende Maßnahmen akzeptieren. Dazu gehört auch, dass man eine Gruppierung, die sich intensiv mit der Lösung dieses Konfliktes auf der Basis der Menschenrechte einsetzt, nicht ausgeschlossen bleibt. Dies wird wohl nicht von heute auf morgen geschehen. Aber es ist durchaus denkbar, dass die türkische Seite langsam akzeptiert, dass es keine andere Lösung gibt. Genauso wie die türkische und die kurdische Seite erkannt haben, dass eine militärische Lösung nicht möglich ist und dass es nur eine politische Lösung geben kann. Man erinnere sich, dass im Mittleren Osten die Großmächte Amerika, England, Frankreich, auch Deutschland zunächst absolut nicht bereit waren, mit der Fatah und der PLO zu verhandeln, jedoch einige Jahren später diesen Boykott aufgaben. Eine Organisation, die gestern noch auf der Terrorliste stand, stand dann auf der Liste der Verhandlungspartner. Eine ähnliche Entwicklung erhoffe ich mir auch im Verhältnis zwischen der türkischen Regierung und den Kurden.

3) Vor einiger Zeit haben sie die Beziehungen der Türkei zur EU und den USA als ein Hindernis für die Lösung der kurdische Frage dargestellt. Wollen sie zu diesem Thema etwas hinzufügen?

Ich kann bestätigen, dass die Teilnehmer in Diyarbekir nicht gegen eine internationale Beteiligung zur Lösung der kurdisch-türkischen Auseinandersetzung sind. Aber es wurde betont, und das ist glaube ich sehr wichtig und reflektiert auch meine persönliche Meinung, dass es einen Unterschied gibt zwischen Unterstützung und Einmischung. Alle in Diyabekir haben sich gegen eine Einmischung ausgesprochen. Eine unparteiische Unterstützung von außen sei nur denkbar, wenn man nicht außer Acht lässt, dass es sich um einen internen Konflikt innerhalb der Türkei handelt.

4) Einige deutsche Intellektuelle erklärten, dass die UNO bei der Lösung der kurdischen Frage eine aktive Rolle übernehmen soll. Was denken sie als ehemaliger hochrangiger Mitarbeiter der UNO dazu?

Also das ist gar keine Frage, dass die UNO eigentlich eine Verpflichtung für diese Aufgabe hat. Die UNO muss aber auch aufpassen, dass sie sich angemessen einbringt. Sie muss ein neutraler Garant für faire Verhandlungen sein. Hier kann die UNO sehr viel tun. Sie könnte z.B. der türkischen Regierung klarmachen, dass sie sich nicht in interne Angelegenheiten politische Natur einmischen will, aber dass sie sich als Ort des Treffens und als eine Einrichtung des Friedens anbietet. Ihre Türen sollten jederzeit offen sein um Gespräche zu ermöglichen, an denen nicht der Sicherheitsrat, aber das UNO-Sekretariat unterstützend teilnehmen kann. Diese Gespräche können irgendwo auf der Welt stattfinden, in der Türkei oder außerhalb der Türkei. Die UNO hat viele gute Erfahrungen in diesem Gebiet und mann sollte ihr gestatten, eine Vermittlungsrolle einzunehmen. Hier muss sich aber auch der UN-Sicherheitsrat bewegen. Dieser blockierte bisher eine aktive Einbindung der UNO-Strukturen, da die türkische Regierung erfolgreich mit dem Argument intervenierte, dass es sich um eine rein interne Angelegenheit handelt. Dass die Lösung des Konfliktes nur in direkten Verhandlungen zwischen der türkischen und kurdischen Seite erfolgen kann, ist zwar zutreffend. Man sollte aber die Erfahrungen der UNO als Vermittlerin und Moderatorin einbinden und davon profitieren.

5) Da die Türkei für viele nicht mehr die Türkei ist, die sie vor einigen Jahren noch war, und da auch die kurdische Bewegung neu bewertet wird, stellt sich die Frage, ob nicht jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Einbindung UNO ist?

Sie haben Recht, die Lage hat sich geändert, weil beide Parteien bereit sind, den friedlichen Weg zu gehen. Das ist eine Chance, die man nicht verpassen darf. Man sollte sich auf internationaler Seite auch nicht durch die Maßnahmen der türkischen Regierung entmutigen lassen, die einem friedlichen Ansatz widersprechen. Damit meine ich etwa, dass 1.500 DTP-Mitglieder verhaftet worden sind. Auch die Tatsache, dass Öcalan weiterhin im Gefängnis sitzt, stellt ein Hindernis in einem Verhandlungsprozess dar.. Man muss auf den Geist von Diyarbekir setzen, der weg von den Schlachtfeldern will und die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen in Konferenzräumen vorsieht.

6) Können die fortschrittliche türkische und kurdische Zivilgesellschaft für eine gerechte Lösung des Konfliktes eine Rolle spielen? So wurde vor einigen Tagen wurde in der Türkei eine neue Partei gegründet, die Partei für Demokratie und Gerechtigkeit (EDP). Ein zentrales Ziel dieser Partei sei der Frieden in der Türkei.

Eine sehr wichtige Frage. Es ist eine gute Entwicklung, wenn es eine Partei gibt, die sich ethnisch nicht eingrenzt, sich also nicht als eine ausschließlich kurdische Partei begreift. Auch die BDP ist keine reine kurdische Partei. Da ist der Kern für eine zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit gegeben, denn Personen aus allen ethnischen Gruppen können sich an der Arbeit der BDP beteiligen. Für alle die kurdischen und türkischen Gruppierungen, ob sie in der Türkei existieren oder in Europa oder im Mittleren Osten, die wirklich eine friedliche Lösung wollen, sollten jede Gelegenheit nutzen, sich zu treffen und auszutauschen. Parallel zu den formalen Gesprächen auf hoher politischen Ebene muss man auch auf der zivilen und nichtstaatlichen Ebene Gespräche führen, die den gesamten Prozess durch vertrauensbildende Maßnahmen unterstützen. Auch in der Diaspora, in der große kurdische und türkische Gruppen leben, wie in Holland, Frankreich und besonders in Deutschland, kann man Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit praktizieren. Hierzu bedarf es noch großer Anstrengung – das wissen Sie vielleicht besser als ich. In Deutschland tauschen sich sie die genannten Gruppen zu wenig aus. Wir benötigen mehr gemischte Plattformen, an den sich Türken und Kurden beteiligen. Die deutsche Bevölkerung und die deutsche Regierung können einen Beitrag leisten, indem sie solche Plattformen begrüßt und unterstützt.

7) Inwiefern können auch die fortschrittlichen islamische Organisationen eine Rolle dabei spielen, den Friedensprozess in der Türkei zu unterstützen?

Das ist auch eine wichtige Frage. Diese Organisationen sollte man immer wieder darauf hinweisen, dass im 21. Jahrhundert die kurdischen Führer andere Positionen eingenommen haben. Dass diese Führer nach vielen Jahren des Experimentierens und der Konfrontationen gewillt sind, einen ganz anderen Weg zu gehen und den friedlichen Dialog suchen. Ich glaube, dass die Gruppierungen, die sich islamisch ausrichten, genau wie alle anderen die Verpflichtung haben, dem Frieden zu dienen und den Dialog zu suchen. Dann gibt es sehr viele Einsatzmöglichkeiten.

Generell gilt, dass man sich gegenseitig besser informieren muss. Dass man transparent darlegt, welche Lösungsvorschläge existieren. Dass man etwa über den Roadmap-Vorschlag des Herrn Öcalan informiert. Und die türkische Regierung muss freigeben, was sie bekommen hat. Damit meine ich, dass bisher nicht veröffentlicht worden ist, was Herr Öcalan der türkischen Regierung als Lösungsvorschlag übergeben hat.

8) Kann die nordirakische Regierung eine Rolle in einem Friedensprozess spielen? Wenn ja, wie?

Natürlich kann sie eine Rolle spielen. Erst einmal muss auch gesagt werden, dass die Kurden manchmal ihre eigenen Feinde sind. Dies trifft immer dann zu, wenn sie sich intern nicht einigen können und sich gegenseitig bekriegen. Das ist im Augenblick besser geworden, kann sich aber sehr schnell wieder ändern. Wie Sie gesehen haben, wurden in Sülaymaniya Mitglieder der Goran-Partei von der PUK angegriffen. So etwas muss man als Hinterkopf behalten. Die Nord-Iraker können eine sehr wichtige Rolle spielen – konstruktiv oder destruktiv.

Die türkische Regierung beobachtet schon viele Jahrzehnte die Entwicklung um die Turkmenier und die kurdischen Forderungen hinsichtlich Kirkuk. Wenn die Nord-Iraker hier aggressiv auftreten, fordern sie die türkische Regierung heraus. Und das wäre destruktiv. Die Nord-Iraker sollten der türkischen Regierung und auch den kurdischen Gruppierungen in der Ost-Türkei sagen, dass sie nicht mehr blind alle Kurden aus der Ost-Türkei aufnehmen.

Wenn die PKK den Kurden in der Türkei sagt, wir wollen nicht mehr kämpfen sondern wir wollen verhandeln, und wenn die türkische Regierung dem zustimmt und wirklich ein Prozess konkret anläuft, dann muss auch der Nord-Irak bereit sein, seinen Beitrag zu leisten. Ich glaube, es ist wichtig, der türkischen Regierung immer wieder klar zu machen: „Ihr habt euren kurdisch-türkischen Prozess, wir haben unsere irakisch-kurdischen Prozess, und wir wollen nur eines, dass im Gebiet Kurdistan, Syrien, Iran, Irak und der Türkei faire Verhandlungen über die Gleichberechtigung der kurdischen Ethnie und der der kurdischen Bevölkerung stattfinden. Das wollen wir unterstützen, aber mehr nicht. Wir wollen uns nicht einmischen in die inneren Angelegenheiten der Türkei, Syriens oder des Iran.“

Eine solche Positionierung ist natürlich leicht formuliert und ob sie sich so schnell umsetzen lässt, ist ein ganz andere Frage. Denn meine Erfahrung ist, dass der Wunsch der kurdischen Gruppen, ihren Traum von Freiheit und Gleichberechtigung zu erlangen, sie dazu verleiten kann, Hilfe von Außen in Anspruch zu nehmen. Solch eine Hilfe stärkt sie vielleicht für einen Augenblick, ist aber langfristig der Sache nicht dienlich.

9) Was denken Sie, welche Position die Obama-Regierung zur aktuellen Situation einnimmt?

Die Amerikaner haben immer wieder große Schwierigkeiten, den geschichtlichen Hintergrund voll zu erfassen und einzubeziehen. Selbst wenn sie es versuchen, ist es schwierig für sie, ihr historisches Wissen in tagespolitische Erwägungen einzubeziehen. Das sah man bei der Vorbereitung des Krieges 2003 und der anschließenden Verwaltung des neuen Irak. Hier haben Sie auf Schiiten die Kurden zurückgegriffen, bis sie gemerkt haben, das läuft nicht ohne die Sunniten. Mit den Kurden haben sie zwar besonders enge Beziehung entwickelt, dies aber aus Eigeninteresse. Da kommt wider diese Frage auf, was ist Einmischung und was ist Unterstützung? Die Amerikaner haben sich immer wider eingemischt, mit der Behauptung, dies geschehe im Interesse der Kurden ist. Es waren aber Interessen der eigenen amerikanischen Politik. Wenn man so Vorschläge hört wie vom damaligen Vize-Präsidenten der USA, eine Dreiteilung des Irak vorzunehmen und den Nord-Irak abzuspalten, muss man das scharf verurteilen. Das ist unverantwortlich und populistisch. Die Amerikaner müssen endlich verstehen, was kurzfristig nützlich erscheinen mag, hilft langfristig weder der kurdischen Sache noch ihren eigenen Interessen.

10) Es gibt einen bewaffneten Konflikt zwischen dem Iran und PJAK-Rebellen. Die Kurden werden massiv vom Iran unterdrückt und die PJAK-Rebellen werden oft hingerichtet. Welche Vorschläge würden sie im Rahmen eines Friedensprozess in der gesamten Region an diese beiden Seiten richten?

Erst einmal bin ich sowieso gegen die Todesstrafe und ich bin noch stärker gegen die Todesstrafe, wenn es darum geht, politische Häftlinge hinzurichten. Aber ich muss Ihnen auch sagen, ich weiß zu wenig über die kurdische Situation im Iran als dass ich darauf eine substanzielle Antwort geben will.

11) Was können die deutsche Regierung, die deutsche Zivilgesellschaft und Kriegsgegner zu einem Friedensprozess beitragen?

Deutsche Vertreter kِ önnen in der EU, im UNO-Menschenrechtsrat, in der Weltgesundheitsorganisationen, in der UNESCO und in vielen weiteren relevanten UNO-Einrichtung dafür plädieren, dass man sich mehr mit den kurdischen Frage auseinandersetzt. Eines habe ich vielleicht vergessen zu sagen, eines, was alle Parteien nicht vergessen dürfen: Wir reden über einen Konflikt, der über die Grenzen der Türkei hinausgeht. Es gibt ja nicht nur Kurden in der Türkei. Und damit kann man schon sagen, ohne die Türkei beleidigen zu wollen, dass die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, die Europäische Gemeinschaft oder die Organisationen für islamische Länder Berechtigung haben, sich zur kurdischen Frage in Syrien, Iran, Türkei und Irak zu aß.
Es ist Interessant das jetzt beim Erdbeben in Elazig (März 2010) sowohl die türkische Regierung als auch kurdische Gruppen zum Wiederaufbau aufgerufen haben. Was ich nicht gelesen habe, ist über die Bereitschaft im Ausland, z.B. in Deutschland, sich mit Katastrophen Hilfe zu beteiligen.

Diese Bilder aus Elazig haben mich an meine Reise in diese Gegend vor 30 Jahren erinnert. Nur das eben diese Bilder von heute die Bilder von gestern sind. Das heisst also, konkret hat sich wenig getan in den kurdischen Gebieten. Nun es gibt aber auch Fortschritte. Aber der Fortschritt des nationalen Aufbaues, der hätte in der Ost Tuerkei viel grِößer sein köِnnen.

Wenn man dies nicht tut, wenn man wieder die eigenen Interessen in den Vordergrund stellt oder wenn sich das eigene Engagement als ausländische Einmischung darstellt, kann dies nur Schaden anrichten. Das heißt also, die Politiker, die NGOs, die Medien im Ausland, alle Gruppen, die Interesse daran haben den Friedensprozess voran zu bringen, müssen aufpassen das sie diesen Prozess respektieren, als einen internen Prozess, den man unterstützen kann den man aber nicht mit bestimmen darf. Das ist ein großer Unterschied!

12) Haben sie Kritik an den kurdischen und fortschrittlichen türkischen Organisationen, die sich hier in Europa befinden? Und was sind Ihre konkreten Vorschläge an die kurdisch/türkischen und europäischen Menschenrechtsorganisationen?

Ja, es gibt Kritik, das werden sie auch in meinem Papier sehen, das ich dazu entwickle. Ein konkreter Vorschlag ist, dass man aufhِ ört, in der Isolation zu operieren. Mein Eindruck ist, es wäre wunderbar wenn dieser falsch ist, dass hier in Deutschland die kurdischen Organisationen, die alevitischen Organisationen und die türkischen Organisationen, nur sich selbst sehen. Jeder hat sein eigenes Programm. Hier in meiner kleine Stadt gibt es ein mal in Jahr ein Fest von Ausländer. Da gibt es kein gemeinsames Programm. Es gibt ein alevitisches Programm, es gibt ein kurdisches Programm und es gibt ein türkisches Programm. Ein konkreter Vorschlag ist, dass man endlich anfängt, seine Vorurteile, seine eigenen Interessen zu überwinden. Das ist nicht etwas, was in 24 Stunden geschehen wird, aber man muss damit anfangen.

In Deutschland gibt es in vielen Kleinstädten türkische Kulturhäuser. Wenn das ein echtes Kulturhaus der Türkei wäre, dann müssten da viele Parteien seien. Da ist aber nur eine Partei, das ist die türkische. So geht es nicht! Ganz konkret muss man das, was man in der Türkei erreichen will, eine Zusammenarbeit zwischen Kurden und Türken, auch in der Diaspora praktizieren. Man konnte gemeinsam Artikel schreiben, man köِnnte Komitees gründen – das ist vielleicht alles zu viel im Augenblick. Vielleicht werden Türken und Kurden auch lachen, wenn sie das hören. Aber sie sind herausgefordert, wenn sie wirklich einen echten Friedensprozess anstreben und den Zustand überwinden wollen, dass Menschen zweiter Klasse, dass es Unterdrückte und Beherrschte gibt. Alles schöِne Gerede, alle gute Rhetorik über Frieden und über Zusammenarbeit nutzt nichts, wenn man dazu in Praxis nicht bereit ist.

Ein weiterer Punkt: Um einen Friedensprozess zu unterstützen, braucht man nicht unbedingt PKK-Mitglieder auf eine Konferenz zu holen. Wissen sie, was neulich jemand gesagt hat in Afghanistan, als er gefragt wurde über die Taliban? Er sagte, wir sind doch alle Taliban. Worauf ich hinauswill: Wenn man Vertreter der BDP oder der ehemaligen DTP einlä, dann hat man doch die Leute der PKK. Man muss nicht jemanden aus dem Gefängnis holen, um über das politische Programm der PKK, ihre Forderung nach Amnestie oder ihre Forderung auf das Recht auf kurdische Sprache zu diskutieren. Das sind Forderungen, die zum Teil durch internationales Recht verbrieft sind.

Schauen Sie, es gibt ein Abkommen, das die Türkei 2003 unterschrieben hat, ein Abkommen über zivile und politische Rechte. Wenn Sie sich das anschauen, finden Sie alle Forderungen der kurdischen Seite. Minoritäten-Anerkennung, Sprachen-Regulierung, Recht auf Sozialisierung durch die eigene Kultur: Das alles steht da drin. Und die Türkei hat das auf dem Papier akzeptiert. Hier muss man aber vorsichtig vorgehen, und nicht mit dem Finger auf Leute zeigen. Man sollte nicht in der Presse groß , dass sich die Türkei nicht an das Abkommen hält. Das kann man hinter verschlossenen Türen sagen, aber wenn man dies offen sagt, dann beleidigt man, und wenn man beleidigt, dann verstößt man, und wer verstößt, hat wenig Chancen weiter zu kommen. Gerade das habe ich gelernt im Mittleren Osten und das habe ich auch in der Türkei gelernt, wie wichtig es ist, sich zu wehren, und dabei die andere Seite nicht zu beleidigen, wenn man wirklich etwas erreichen will.

Groß Sensibilität und Verantwortung ist geboten für das Ausland, für die Gruppen, die im Ausland leben, für die Medien und für die Politiker. Es gibt ein groß Informationsbedürfnis. Es gibt nicht so viele Menschen, die wirklich die Problematik erfassen und ihre Komplexität. Das muss sich ändern. Das ist auch eine Aufgabe der verschiedenen Organisationen und der türkischen Regierung. Eine großartige Sache wäre, wenn die Gespräche zwischen Kurden und der offiziellen Türkei wieder anlaufen würden. Dass man gemeinsam etwas herausgibt. Dass man andeutet, was man jetzt eigentlich vorhat. So, dass man den Versuchen, mit Verschwörungstheorien eine Annäherung kaputt zumachen, von vornherein vorbeugen kann.

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