Elisa Wiener ist Sprecherin von Sumud, einer internationalen Organisation der Palästina-Solidarität
Junge Welt: Etwa 20 Mitglieder oder Freunde Ihrer Organisation haben sich am Freitag auf den Weg in das Flüchtlingslager Ain Al-Hilweh im Süden Libanons gemacht. Was genau werden sie dort tun?
E.W.: Die aus Italien, Österreich und Deutschland stammenden Aktivisten haben sich im Namen von Sumud als Arbeits- und Solidaritätsbrigade auf den Weg nach Ain Al-Hilweh gemacht. In dem dortigen Ghetto leben fast 100000 Palästinenser seit Generationen unter menschenunwürdigen Bedingungen. Neben Gesprächen, die wir mit den Bewohnern führen wollen, werden wir dort auch arbeiten. Das Flüchtlingslager bekommt ein Jugend- und Kulturzentrum. Wir werden zu diesem Zweck ein altes Gebäude renovieren, in dem sich das Büro der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) befand, bis es durch israelische Raketen halb zerstört wurde. Unser Partner vor Ort ist der Jugendverband Nashet, in dem sowohl Palästinenser als auch Libanesen aktiv sind. Wir haben die Idee mit ihnen diskutiert, und sie fanden das eine hilfreiche und gute Sache.
Junge Welt: Wie soll das Kulturzentrum nach seiner Fertigstellung genutzt werden?
E.W.: Das Zentrum soll ein Ort der politischen und kulturellen Auseinandersetzung sein. Wir wollen eine »Kultur des Widerstandes« aufbauen.
Junge Welt: Werden Sie sich vor Ort auch politisch einbringen?
E.W.: Selbstverständlich. Wir sind solidarisch mit dem palästinensischen Widerstand gegen Unterdrückung, Ausbeutung und Apartheid und positionieren uns in diesen Fragen deutlich. Das unterscheidet uns von anderen Nichtregierungsorganisationen (NGO), die ähnliche Aufgaben wahrnehmen, aber sich politisch nicht einmischen.
Dabei will ich die Bedeutung von humanitärer Hilfe in Krisengebieten, die von NGOs geleistet wird, nicht schmälern. Jedoch treten klassische NGO teilweise in janusköpfiger Gestalt auf: Zusammen mit der notwendigen Wasserversorgung, den Decken und den Lebensmitteln müssen die Flüchtlinge zumeist einen westlichen Werte-Imperialismus im Gesamtpaket akzeptieren. Wir hingegen missionieren nicht. Wir unterstützen den bereits vorhandenen antiimperialistischen Widerstand. Das ist ein gänzlich anderes politisches Konzept.
Junge Welt: Welche Resonanz kommt von den Flüchtlingen?
E.W.: Die Reaktionen sind sehr positiv. Schließlich gibt es kaum Projekte, die sich mit den politischen Zielen der revolutionären Bewegungen vor Ort auseinandersetzen und den Palästinensern das Recht auf Widerstand und Selbstbestimmung zugestehen. Deshalb kommt Sumud dort eine weitaus größere Bedeutung zu als anderen Aktivitäten ähnlicher Größenordnung.
Wichtig ist auch unsere Arbeit nach dem konkreten Projekt. Wir versuchen, die Positionen des Widerstandes und unsere Auseinandersetzung damit so gut wie möglich nach Europa zu tragen und dadurch in unseren Ländern die Solidaritätsbewegung mit den Palästinensern zu stärken.
Junge Welt: Mit welchen politischen Organisationen wird die Delegation im Libanon zusammentreffen?
E.W.: Wir werden uns mit Repräsentanten aller politischen Fraktionen der palästinensischen und libanesischen Widerstandsbewegung treffen. Im Lager arbeiten wir, wie gesagt, hauptsächlich mit unserer Partnerorganisation Nashet zusammen, die politisch der PFLP nahesteht. Diese Zusammenarbeit ist wichtig und gut.
Wir sehen jedoch die Problematik der Linken, nicht nur der PFLP, sondern insgesamt der PLO, daß sie durch die Anerkennung der Osloer Verträge und der Zwei-Staaten-Lösung Unterstützung bei den Massen eingebüßt hat. Gleichzeitig sehen wir, daß islamische Bewegungen wie Hamas oder Hisbollah, die in einem spezifischen historischen Kontext gewachsen sind, große Anziehungskraft ausüben.
Junge Welt: Wo verlaufen aus Ihrer Sicht die Trennungslinien?
E.W.: Ich würde die Positionierung zum Westen als entscheidende Bruchlinie bezeichnen. Während vormals revolutionäre, linke Kräfte heute die Kooperation mit dem Westen suchen und ihren Protest systemimmanent innerhalb westlicher Vorgaben ausdrücken, übernehmen islamische Kräfte deren ehemalige Rolle als hegemoniefähige Kontrahenten im Kampf gegen die Vormachtstellung des Westens.