Dienstag, 3. August: Kommt ein neuer Krieg?
Am Dienstag erfuhren wir von der Eskalation an der südlichen Grenze des Libanon. Israel hatte entschieden einen Baum auf libanesischem Territorium zu fällen, da dieser das Filmen des libanesischen Territoriums erschwerte, welches sie observierten. Die libanesische Armee gab dazu keine Erlaubnis. Als der Baum gefällt wurde kam es zu Schüssen. Die ersten Schüsse gingen in die Luft, die folgenden wurden gezielt abgefeuert. Es gab drei Tote auf libanesischer Seite (zwei Soldaten und ein Journalist), einen Toten auf israelischer, viele Verletzte auf beiden Seiten und die Gefahr eines erneuten Krieges.
Im Lager sprachen wir über die Problematik mit palästinensischen Flüchtlingen. Die meisten rechnen mit einem neuen Krieg und bereiten sich auf die Notsituation vor. Sie erwarten einen erneuten Kriegsausbruch nicht unmittelbar – nicht wegen dem Zwischenfall mit dem Baum – aber auf längere Sicht rechneten sie damit, dass ein Krieg nicht abzuwenden ist. Eine solche Eskalation erschien ihnen jedoch auch als Erlösung aus der abwartenden Situation, die ihre momentane Situation unter Umständen sogar verbesser könnte, indem sie den Kampf um bessere Bedingungen wieder aufgreifen könnten. Für die DelegationsteilnehmerInnen war die Eskalation ein Schock, da wir nur einige Tage zuvor genau diese Grenze passiert hatten. Es war schwer für uns zu begreifen, wie sich die Situation so schnell verändern konnte.
Wir waren ebenso gespannt wie die palästinensischen Flüchtlinge und die LibanesInnen, die Stellungnahme von Nasrallah, dem Generalsekretär der Hisbollah, zur erneuten Eskalation der Situation des Landes zu hören. In seiner Rede bezog sich dieser auf drei zentrale Themen: die momentane Eskalation an der Grenze, das internationale Tribunal zur Ermordung von Rafiq Hariri (dem früheren Premierminister des Libanon) und die Spitzelaffäre. Er unterstrich, dass der Libanon bereit sei, einen erwarteten Angriff der israelischen Armee abzuwehren, Genaueres könnte aber nur die libanesische Armee festlegen.
Das alltägliche Leben im Lager ging trotz der Eskalation weiter und so setzten auch wir unsere Arbeit fort. Letzte Aufnahme für die Dokumentation wurden gemacht: So konnten wir z.B. konnten die Familie eines der HauptdarstellerInnen besuchen und deren Alltagsleben filmen. Da wir nur begrenzte Möglichkeiten hatten mit dem Computer zu arbeiten wurde lange darüber diskutiert, wer den Film editieren und schneiden sollte. Diese Frage konnte zu aller Zufriedenheit geklärt werden.
Am Abend besuchte die Delegation die Altstadt von Saida. Wir sahen die alte Moschee, in deren Nähe wir auch einem großen Platz zu Abend aßen. Es war ein erholsamer Abend nach den Anspannungen dieses Tages.
Mittwoch 4. August: Letzte Arbeiten
Am Morgen trafen sich einige DelegationsteilnehmerInnen mit Marwan Abdel-Aal aus dem Flüchtlingslager Nahr el Bared im Norden des Libanon. Eigentlich wollten wir das Lager als Delegation besuchen, aber der Besuch wurde uns nicht genehmigt.
Nach dem Treffen finalisierten wir den Filmschnitt und versahen diesen mit englischen Untertiteln. Der Film war für die Abschlusspräsentation am kommenden Tag fertig, die wir vorbereitenden.
Am Abend spielten wir gegen palästinensische Jugendliche ein abschließendes Fußballmatch. Die Sumud-Nashet-Delegation gewann mit 2:1. Leider musste eine der DelegationsteilnehmerInnen nach einem Hundebiss ins Spital. So hatten wir die Möglichkeit die medizinische Versorgung im Lager kennenzulernen. Glücklicher Weise ist diese, im Vergleich zur Gesamtsituation des Lager relativ gut. Die Delegationsteilnehmerin hatte keine weiteren Beschwerden mit ihrem verletzten Bein.
Donnertag, 5. August: Der große Tag der Filmvorführung
Der Donnertag begann mit einem langen Abschlusstreffen, bei welchem wir unsere Arbeit rückblickend besprachen. Wir reflektierten unsere Erwartungen von der Lage im Lager mit der vorgefundenen Realität. Wir sprachen über die politischen Treffen, das Filmprojekt, die gemeinsame Arbeit in der Delegation, die Organisation von Sumud-Nashet und überlegten wie unsere Arbeit in Zukunft weiter verbessert werden könnte. Im Großen und Ganzen waren alle DelegationsteilnehmerInnen mit der Arbeit zufrieden und fanden, dass sie von den Erfahrungen profitieren konnten. Die DelegationsteilnehmerInnen unterstrichen, welche Freude es war, die Möglichkeit zu haben mit den Leuten des Flüchtlingslagers in Kontakt zu treten, unterschiedliche politische Gruppen kennenzulernen und mit diesen zu diskutieren um so ein Bild von der Lage palästinensischer Flüchtlinge und von der politischen Situation im Libanon zu erhalten, welches durch die westlichen Medien nicht vermittelt wird. Auch die Ausflüge wurden positiv beurteilt.
Kritisiert wurde die Durchführung des Filmprojekts. Einige TeilnehmerInnen hätten sich genauere Leitlinien und Vorgaben für das Projekt gewünscht. Trotz alledem waren die TeilnehmerInnen des Filmprojekts stolz, dass das Projekt von ihnen selbst zu Ende geführt werden konnte.
Kritisiert wurde auch, dass die Tage wenig strukturiert waren. Diese Flexibilität war jedoch notwendig, da wir unsere Zeit nach den Delegierten der Politischen Gruppen, und den RepräsentantInnen organisierten musst, welchen wir Priorität einräumten.
Der soziale Zusammenhalt der Delegationen wurde durchwegs positiv beurteilt Die DelegationsteilnehmerInnen genossen die Zeit, die sie miteinander verbringen konnten. Das ist jedenfalls hervorzuheben, zieht mit in Betracht, dass wir zu zwanzigst auf sehr engem Raum lebten und uns nur ein Badezimmer teilten.
Auch wir denken, dass das Projekt sehr erfolgreich war. Wir hatten nicht nur die Möglichkeit die Situation im Flüchtlingslager zu erfassen, mit den BewohnerInnen Kontakte zu knüpfen und ihre Probleme kennenzulernen, wir konnten zudem viele verschiedene politische RepräsentatInnen der Widerstandsbewegung und politische RepräsentatInnen des Libanon treffen. Indem wir unsere eigene Dokumentation produzierten können wir unsere Eindrücke in Europa weitervermittel. Damit hoffen wir die Solidaritätsbewegung in Europa zu stärken.
Nach der Feedback-Diskussion interviewten wir den Filmemacher und Workshopdirektor Arab Lotfi, dessen Reflektionen zum Film-Workshop Teil der Dokumentation werden.
Bei der Vorführung stellten wird die Arbeit von Sumud im Flüchtlingslager vor und zweigten den kurzen Film der Teenager. Der Fokus der Präsentation lag auf dem Film der Teenager, da wir überzeugt waren, dass dieser für die Leute im Lager der interessantere Teil war, während unser Dokumentationsfilm eher für die Solidaritätsarbeit in Europa geeignet sein sollte.
Unter den ZuschauerInnen waren Freunde und Familienmitglieder der Jugendlichen, die an dem Film mitgewirkt hatten, politische Repräsentationen, Mitglieder unterschiedlicher NGO’s und andere, die an dem Projekt Interesse fanden. Nach einer kurzen Vorstellung der Sumud und Nashet-Mitglieder präsentierte Arab Lotfi die Ziele des Filmprojekts- Nachdem die Jugendlichen ihre Filme vorgestellt hatten wurde der Film gezeigt. Die Kurzfilme wurden von den ZuschauerInnen sehr positiv aufgenommen, da sie lustig und interessant waren und ein berührendes Bild der AutorInnen zeigten. Diese fokussierten nicht nur auf die Situation im Flüchtlingslager, sondern nahmen auch auf alltägliche Probleme eines Teenagerlebens bezug. Für die mitwirkenden Jugendlichen war es ein wichtiger Abend. Sie waren Stolz ihre eigenen Filme produziert zu haben. Für die Sumud Delegation war die Präsentation ein großer Erfolg und ein passender Abschluss der Delegation.
Am Abend verließen die italienischen DelegationsteilnehmerInnen das Lager. Es war ein berührender Moment nach den zwei Wochen, die wir so eng zusammengearbeitet hatten uns zu verabschieden.
Freitag 6. Augut. Das letzte politische Treffen
Der Rest der DelegationsteilnehmerInnen verbrachte den letzten Tag im Lager bei politischen Treffen. Zuerst trafen wird die demokratische Volkspartei, eine marxistisch-leninistische Partei, die sich von der PFLP abgespalten hat.
Die demokratische Volkspartei meint, dass sie die Unterstützung der Bevölkerung im Gegensatz zu anderen Gruppen nicht verloren haben und es auch zu keiner internen Spaltung nach dem Kollaps der Sowjetunion kam. Außerhalb des Libanon haben sie keine Unterstützung. Im Libanon sehen sie Hisbollah als ihren wichtigsten Bündnispartner. Den Libanonkrieg von 2006 beurteilen sie als einen amerikanischen Krieg, der durch Israel geführt wurde aber hauptsächlich amerikanischen Interessen diente und ihren Einfluss in der Region stärken sollte.
Danach trafen wir Ousama Saad von der Libanesische-Nassaristischen Volkspartei. Sie kämpfen für die Rechte der PalästinenserInnen im Libanon und wollen für diese das Bildungs- und Gesundheitssystem verbessern. Sie vertreten das Rückkehrrecht der PalästinenserInnen. Sie unterstützen die Widerstandsbewegung unabhängig von religiösen und ideologischen Differenzen. Die Hisbollah betrachten sie in diesen Zusammenhang als eine wichtige politische Bewegung. Der Widerstand ist laut Saad ein Schutz vor einem Bürgerkrieg im Libanon, da sie den Fokus auf den wahren Konflikt gegenüber Israel lenkt. Sie positionieren sich gegen die Interventionen und Interessen der USA im Mittleren Osten und deren Versuche arabische Länder durch das schüren von Konflikten unter Kontrolle zu bringen um Israel zum mächtigen Land der Region zu machen. Die USA instrumentalisieren in diesem Sinn Israel um ihre Ziele zu erreichen.
Nach dem Treffen fuhren wir nach Beirut und trafen Ali Fayyad, Mitglied der Parlamentsfraktion der Hisbollah. Fayyad war der frühere Pressesprecher der Hisbollah. Er erklärt, dass sich Hisbollah als Freiheitskämpfer und als wichtigste Widerstandsbewegung gegen die israelische Aggression gegen den Libanon verstehen. Fayyad unterstreicht, dass obwohl Hisbollah eine islamische Bewegung ist, sie ein konsensuales, demokratisches System anstreben und keinen despotischen islamischen Staat wollen.
In Bezug auf die unterschiedlichen Konfessionen im Libanon sieht er die Bewegung als ‘Kontrolle zur Ausbreitung der islamischen Kräfte‘. Die Hisbollah vertritt das Recht aller im Libanon lebenden Bevölkerungsteile auf politische Repräsentation. Die religiöse Ideologie ist nicht Basis von Allianzen, sondern das gemeinsame Ziel: Zurzeit gibt es laut Fayyad marxistische Gruppen, die der Hisbollah nahe stehen und stärker kooperieren als andere. Er erklärte, dass Hisbollah grundsätzlich eine defensive Haltung verfolgt. Sie wollen den Libanon schützen. Sie sollen ihre Aktivitäten nicht über die Libanesischen Grenzen hinaus ausdehnen. Dennoch ist Fayyad überzeugt, dass es erneut zum Krieg kommen wird und er unterstreicht, dass die Hisbollah auf einen solchen vorbereitet sein wird.
Das Treffen mit der Hisbollah war das letzte unserer Delegation. Danach war die Aktivität des Sumud Projekts 2010 offiziell beendet. Es war ein schöner Abschluss des Projekts, welches wir hoffentlich bald fortsetzten werden.