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Leila Khaled bei Sumud in Ein el Hilweh

17. August 2010
Mohamed Aburous

Leila Khaled (PFLP) besucht die Sumud-Aktivisten im Flüchtlingslager Ein el Hilweh und diskutiert den palästinensischen Befreiungskampf


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28.07.2010

Die Gruppe hatte einen langen Tag damit verbracht, die Zustände im Camp zu filmen und Interviews zu führen, als am späten Abend folgende Nachricht eintraf: Leila Khaled würde an diesem Abend sicher kommen. Die Teilnehmer/innen der Delegation waren schon aufgeregt, die Person zu treffen, die für sie eine lebende palästinensische Legende war. Leila Khaled hatte zwei Flugzeugentführungen binnen weniger als zwei Jahren (1969 und 1970) durchgeführt und es dadurch geschafft, die Aufmerksamkeit der Welt auf Palästina zu lenken. Sie verschaffte sich damit Status eines Idols als das personifizierte Palästina.
Das Sumud-Zentrum wurde gesäubert und genügend Stühle bereitgestellt, da auch Besucher von innerhalb des Lagers erwartet wurden, die ebenfalls gespannt waren, dieser geschichtsträchtigen Person zu begegnen. Dreißig Minuten vor der geplanten Ankunft fiel die Stromversorgung aus. Ironische Kommentare wurden in der Dunkelheit laut… „Das war ja zu erwarten…“, „Lasst uns ein paar Kerzen holen, dann haben wir es wenigstens romantisch“, „Sollen wir zum PFLP-Büro übersiedeln?“…. Interessanter war jedoch die Szene, die sich draußen zwischen Nashet-Aktivisten und zwei älteren PFLP-Wachmännern abspielte, die direkt neben dem Zentrum Wache schoben:
– Genosse, du hast einen Generator. Kannst du uns etwas Elektrizität leihen?
– Unser Generator ist zu klein, er reicht gerade mal für den Kühlschrank und zwei Lampen!
– Bitte Genosse… es ist immerhin Leila Khaled, die zu uns kommt…
– Selbst wenn es Arafat persönlich wäre, der Generator ist zu schwach!
– ….
– Außerdem war Leila eine Kämpferin. Sie war im Gefängnis und kennt die Dunkelheit!
Zweiter Wachmann:
– Es ist besser so. Soll sie ruhig mit eigenen Augen die schlimmen Zustände der PFLP in diesem Camp sehen!

Diese Diskussion wurde von dem glücklichen Umstand, dass der Strom zurückgekehrt war, unterbrochen, vom Timing her passend zu Leila Khaleds Verspätung. Die Ventilatoren rannten, die Hitze ein wenig erträglicher machend, der Raum war gefüllt mit Nashet-Mitgliedern, internationalen und palästinensischen Aktivist/innen, darunter auch ein politischer Repräsentant der PFLP im Camp, als Leila endlich ankam.
Zwischen den Palästinensern war die Begrüßung warm und herzlich, wie das Zusammentreffen alter Genossen. Bei den anderen Teilnehmer/innen herrschte die neugierige Stille, mit der man eine lang erwartete Berühmtheit betrachtet.

Nun waren alle auf ihrem Platz, Leila gegenüber den Gästen auf der improvisierten Bühne, zwischen Vertretern von Nashet und Sumud sitzend. Das Meeting konnte beginnen.
Enrico, einer der Sumud-Vertreter, eröffnete die Gesprächsrunde, indem er Leila willkommen hieß und die Sumud-Delegation vorstellte. In seiner Rede hob er den speziellen Charakter von Sumud, der es von anderen NGOs unterscheidet, hervor. Diese würden ihre eigentliche Arbeit von der Politik trennen und sehr oft, durch selektives Finanzieren, die politische Kultur der Partnerorganisation korrumpieren. Er erklärte die Herangehensweise von Sumud mit den Schlüsselbegriffen „Volontärsarbeit und Widerstand“, was Sumud von kirchlichen und institutionalisierten Wohltätigkeitsorganisationen deutlich unterscheide. Für ihn stellen letztere Instrumente zur Unterwanderung von politischen und sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt dar, um deren Kultur und Identität zu untergraben. Diese Organisationen seien, um es gleich beim wahren Namen zu nennen, ein anderes Gesicht des Imperialismus.
Doch es ist Leila Khaled, über die wir hier berichten möchten….

Nun war sie an der Reihe. Die Kameras und Aufnahmegeräte liefen, müde Aktivist/innen sammelten ihre letzten Energiereserven, um der Rede konzentriert folgen zu können, der Dolmetscher spitzte die Ohren… und da war sie.
Da wir auch die Anwesenheit der palästinensischen Aktivist/innen berücksichtigen mussten, deren Englischkenntnisse sehr limitiert waren, hielt Leila ihre Rede auf Arabisch, mit englischer Übersetzung.
Nach einigen Begrüßungsworten an die Delegation und Anerkennung für die Wichtigkeit solcher politischer Solidarisierung (sie erwähnte dabei auch, dass es vor 50 Jahren nicht üblich war „weiße Gesichter“ oder fremde Sprachen hier im Camp zu sehen bzw. zu hören), wechselte sie auch schon zum Hauptthema. Es gäbe Leute, die schon seit 62 Jahren im Camp leben und von der Welt lediglich als humanitäre Fälle betrachtet werden. Weiters hielt sie fest, dass die Palästinenser Zeugen eines der größten Verbrechen unserer Zeit seien und es endlich an der Zeit sei, dass sie diese Angelegenheit in ihre eigenen Hände nähmen.
Sie erinnerte daran, dass das palästinensische Volk 20 Jahre lang, seit seiner Vertreibung 1948 bis zum Krieg 1967, auf die Umsetzung ihres Rechts auf Rückkehr laut UN-Resolution 194 gewartet hat. Diese Resolution war 1948 eigentlich eine der Vorrausetzungen für die globale Zustimmung zur Gründung des Staates Israel. Statt diese Resolution jedoch in die Tat umzusetzen, wurde 1967 auch noch das verbliebene Palästina okkupiert.

„Die Welt begann erst uns zuzuhören, als wir Taktiken angewendet haben, die als solche selbst zum umstrittenen Thema wurden, sogar mehr noch, als das eigentliche Problem der Palästinenser.“ Sagte Leila Khaled, bevor sie über ihre Aktionen sprach. Kurz darauf wurde die Stille von Gelächter durchbrochen, als Leila den Übersetzer korrigierte, weil dieser das Wort „Kidnapping“ statt „Hijacking“ benutzt für die Übersetzung aus dem Arabischen hatte. Es gibt viele Fotos von Leilas Gesichtsausdruck während dieser Szene.

Ihr Gesicht wurde jedoch sofort wieder ernst, als sie erzählte, warum die Flugzeuge entführt wurden und welchen Einfluss diese Aktionen auf die palästinensische Sache und auf die Beziehung zur globalen Befreiungsbewegung hatten.
„Als die Welt in Folge der Flugzeugentführungen fragte ‚Wer sind die Palästinenser?’, waren es nicht diese Aktionen, die der palästinensischen Sache ein Gesicht gaben, sondern die palästinensische Revolution, die Befreiungsbewegung. Das ist der Grund, warum Befreiungskämpfer weltweit sich uns angeschlossen haben.“
Sie wies die Bezichtigung, dass ihre Taten terroristischer Natur seien mit folgenden Worten zurück: „Wer hat den Terror in unser Land gebracht? Es war der Zionismus und der Westen mit ihm. Es war ihr Kolonialprojekt.“ Für sie stehen die Palästinenser an vorderster Front in einer globalen Konfrontation zwischen den Völkern der Welt und dem Imperialismus.

Anschließend nahm sie Stellung zu den Manipulationen der zionistischen Medien, die jede Kritik gegen Israel als Antisemitismus bezeichnen. Sie zitierte israelische Denker und Akademiker, wie z.B. Ilan Pappe, dessen Leben im „gelobten Land“ alles andere als einfach war und der dieses schließlich verlassen musste. Ein weiterer Name, den sie nannte, war Noam Chomsky, der das Land gar nicht erst betreten durfte.
„Es waren meine anti-zionistischen Reden in Europa, weshalb sie mir die Einreise verweigert haben, nicht weil ich ein Flugzeug entführt habe“ erzählte Leila Khaled, um zu veranschaulichen, wie verwundbar die zionistische Ideologie gegenüber politischer Kritik ist.

Weiters prangerte sie die wirtschaftlichen und akademischen Beziehungen Europas zu Israel an und unterstrich dabei vor allem die neuen Vereinbarungen zwischen der EU und Israel, für sie ein weiterer Beweis des zionistischen Eindringens in europäische Institutionen. Sie hob die Wichtigkeit einer internationalen Koordination von anti-imperialistischen Bewegungen, vor allem durch moderne Kommunikationstechnologien, hervor. Dabei erinnerte sie an das Treffen des Anti-Imperialisten Camps in Assisi, Italien, wo sich Aktivist/innen aus der ganzen Welt trafen. Die palästinensische Teilnahme am Camp zeuge von der gegenseitigen Solidarität, schließlich wäre einseitige „Liebe“ auch nicht von Dauer. „Wir lieben euch sehr und wir wissen, dass ihr uns liebt. Das ist der Grund, warum wir keine Angst haben und weshalb wir letztendlich gewinnen werden.“

Sie beendete ihre Rede mit einer Einladung an alle Teilnehmer/innen, ihre Heimatstadt, das besetzte Haifa, zu besuchen. Wieder machte sich ein Lächeln auf den Gesichtern der Zuhörer breit, als sie den Glanz in Leilas Augen wahrnahmen, während sie über die Schönheit ihrer Stadt sprach, die sie, wie sie meinte, bisher nur „aus der Luft“ gesehen hätte.

Der Widerstand trägt nicht nur Waffen

Die nachfolgende Publikumsdiskussion konzentrierte sich auf die Natur des Konfliktes in Palästina und auf den Widerstand, 40 Jahre nach seiner Entstehung.
Leila Khaled beschrieb drei verschiedene Formen, die der organisierte palästinensische Widerstand in seiner Geschichte annahm: bewaffneter Kampf, Volksaufstand und bewaffneter Volksaufstand.
Sie definierte Israel als Teil des kolonialistischen und kapitalistischen Systems. Dementsprechend breit ist die Bandbreite an Fragen, an denen sich der Konflikt äußert, angefangen beim Konflikt um das Land selbst, bis zum Konflikt Geschichte, Terminologie und Denken.

Leila Khaled sieht schon die reine Existenz der Palästinenser/innen, sei es in ihrem Land oder außerhalb in den Camps, als eine Form des Widerstandes gegen ihre Auslöschung aus der Geschichte. Sie warnte davor, palästinensischen Camps in den angrenzenden Ländern aufzulösen und deren Bewohner in weit entfernte Länder in Europa oder Südamerika (bereits geschehen mit den im Irak lebenden Palästinensern) zu schicken.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Widerstandes sind für sie die weltweiten BDS-Kampagnen zum Boykott Israels. Diese zeigen auch den Apartheidcharakter Israels auf, vergleichbar mit den einstigen Zuständen in Südafrika.
Der Widerstand hat viele Formen, doch nur der bewaffnete Widerstand hat die Macht den Kampf zu entscheiden.

Opposition gegen beide Regierungen

Leila Khaled sieht die PFLP als politische Opposition sowohl gegen die Regierung in Gaza als auch gegen jene in Ramallah, die beide unter der Besatzung gegründet wurden und insofern nicht Ausdruck der palästinensischen Souveränität über das eigene Land sein können. Bezüglich der momentanen Situation prangerte sie die Teilung der palästinensischen politischen Bewegungen in zwei Lager an. Für sie käme das einer neuen „Nakba“ (Vertreibung der Palästinenser 1948) gleich. Sie rief deswegen zur nationalen Einheit basierend auf einem Widerstandsprogramm auf.

Sie wies noch einmal auf die Position der PFLP zum Oslo-Prozess hin, die diesen abgelehnt hatte, insbesondere da während den Verhandlungen die zionistische Besatzung weiter andauerte.
Was die islamistische Widerstandsbewegung angeht, sieht sie diese als neu entstandene Bewegung an, mit der die PFLP im Widerstand gegen die Besatzung durchaus kooperieren könnte. Auf der anderen Seite prangert sie jedoch die soziale und politische Teilung der palästinensischen Bevölkerung an, denn diese sei durch religiöse Kräfte hervorgerufen worden.

Leila Khaleds Ansicht nach hat die Hamas “den Widerstand geköpft und die Regierung für sich beansprucht”. Sie kritisierte den Konflikt zwischen den beiden Gruppen um die Vorherrschaft in Gaza, wobei berücksichtigt werden müsse, dass es sich bei diesem Stück Land um ein einziges großes Gefängnis handele. Sie hielt die Welt an, die demokratische Entscheidung der Palästinenser anzuerkennen: „Die Demokratie, an die wir glauben, ist das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung und nicht einfach nur, Wahlen nach schwedischen oder amerikanischen Standards abzuhalten. Wir leben unter Besatzung und Gaza war schon vor den Wahlen abgeriegelt, nicht erst danach. Die Blockade hat sich nach den Wahlen nur deshalb verstärkt, weil ihnen die Farbe der gewählten Regierung missfallen hat.“ Sie erinnerte daran, dass die PFLP den Wahlausgang respektiert hatte und im Parlament in Unterstützung für die von Hamas gebildete Regierung gestimmt hat, da sie ein Widerstandsprogramm vertraten. Andererseits sieht sie die Machtübernahme durch die Hamas als horizontalen und vertikalen Bruch in der palästinensischen Bewegung, die den Kampf insgesamt schwächt.
Während sie die Bewegung gegen die Belagerung Gazas befürwortete, warnte sie gleichzeitig vor einer Depolitisierung des Kampfes und einer Ablenkung von der Besatzung selbst, denn diese sei die Wurzel des Problems.

„Unser Hauptwiderstand muss der Besatzung gelten“ mahnte Leila Khaled, in Anlehnung an das Dokument der nationalen Versöhnung, unterzeichnet von palästinensischen Gefangenen unterschiedlicher Fraktionen, unter anderem Fatah und Hamas, als Basis für eine Einigung. Sie machte beide Parteien gleichermaßen für die fehlende Umsetzung verantwortlich. Leila Khaled vermied, es eine klare Antwort auf die Frage zu geben, ob die Kollaborateurs-Behörde in Ramallah sich je einem Widerstandsprogramm anschließen würde. Stattdessen berief sie sich auf die „Kreativität der Palästinenser“, die es schließlich möglich machen werde, eine Lösung zu erzielen.

Taktik und Strategie

Für Leila Khaled kann ein Ende der Besatzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens nur als politische Forderung, die von der Befreiungsbewegung erhoben wird, und auf der Basis internationaler Resolutionen möglich werden. Ein strategisches Ziel des Widerstandes soll der „demokratische Staat Palästina, in dem alle Menschen in Gleichheit leben und den Flüchtlingen das Recht auf Wiederkehr zuerkannt wird,“ sein.

Sie räumte ein, dass die Aktivitäten des Widerstandes im Westjordanland abgenommen hätten und erklärte dies mit der doppelten Verfolgung durch die israelische Besatzung und die PNA. Allerdings dementierte sie, dass die PFLP den Widerstand aufgegeben hätte: „Wir haben unseren Widerstand nicht gebrochen. Wir schießen immer noch drüben in Gaza. Jedoch nicht im Westjordanland, weil wir dort nicht die Möglichkeiten haben. Abgesehen davon hat eine Revolution im Allgemeinen ihre Höhen und Tiefen, je nach Zielen und Möglichkeiten. Wir haben Dayton und die Israelis. Wenn die palästinensische Regierung uns nicht verhaftet, tun es die Israelis. Wir haben nicht vor, unsere Partei in den Selbstmord zu treiben.“

Leila Khaled, eine Integrationsfigur in der PFLP, ist weithin für ihren Optimismus bekannt und so schloss sie ihre Rede auch sehr positiv mit aufmunternden Worten für die internationalen Gäste sowie die palästinensischen jungen und alten Kämpfer aus dem Camp.
„…wir formieren uns immer wieder neu… aus Sicherheitsgründen kann ich jedoch nicht mehr sagen. Unser Generalsekretär, und viele andere unserer Kader sind noch immer im Gefängnis. Denkt Ihr, wir werden diese Leute einfach opfern? Die PFLP war immer noch für eine Überraschung gut.“

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