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Kein Kraut gegen Fremdenhatz?

Wiener Wahlen: über linksliberales Entsetzen und die Absolution für den rosaroten Kapitalismus


13. Oktober 2010
von Willi Langthaler

Häupl konnte einem richtig Leid tun. Die Krise wurde für beendet erklärt, die Arbeitslosigkeit ist gering zumal im europäischen Vergleich, bisher gab es unter dem Titel „Sparen nach Rettungspaketen“ noch keine tieferen sozialen Einschnitte. Im Gegenteil: vergangenes Jahr wurde der Gratiskindergarten eingeführt. Eine populistische Volksbefragung vor den Wahlen segnete Wien mit 24-Stunden-U-Bahnbetrieb an den Wochenenden. Einige Tage vor den Wahlen packte Häupl als Zuckerl noch die Abschaffung der Wehrpflicht aus. Asyl und Zuwanderung wurden begrenzt und wie noch nie zuvor für Integration getrommelt. Allerorts wird Wien Reichtum und eine exzellente öffentliche Verwaltung bescheinigt. Und trotzdem wählen diese Volltrotteln den spätpubertären HChe Strache?!


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Kommentatoren, Spindoktoren und Politiker sind überfordert. Paradoxerweise mögen sogar jene ein Körnchen Wahrheit gefunden haben, die meinen, dass der SPÖ das Jubelgeschrei vom Ende der Krise geschadet hätte. Häupl selbst bemerkte am Wahlabend: „Die soziale Frage ist überdeckt worden.“

Tatsache ist, dass je weiter man im gesellschaftlichen Stufenbau hinunter geht, das Ressentiment gegen Immigranten, zusammengefasst unter dem Feindbild Islam, gewaltige Kraft entfaltet – auch ohne unmittelbare soziale Notlage wie Arbeitslosigkeit etc.

Die Abgrenzung gegenüber dem Islam ist richtig gehend identitätsstiftend geworden. In dieser Form ist das kulturchauvinistische Ideologem gegen den Feind von außen-unten wesentlich integrativer als der altdeutsche Rassismus. Plötzlich sind weiße, christliche Europäer willkommen und umworben. Noch vor zehn Jahren waren sie Tschuschen und Serbien musste sterbien. Aber dem Antiimperialismus abgeschworen und als Bollwerk gegen den Islam gehören sie auf einmal zu uns.

Auch die Erklärung durch Lohndruck greift nur vermittelt. In einer Gesellschaft, die hauptsächlich Reichtum verwaltet, die Arbeitssklaven in Asien für sich produzieren lässt, Putzen und andere Hilfsarbeiten überhaupt nicht mehr selbst machen will, ist nur ein kleines soziales Segment durch ungelernte Arbeitskraft bedroht (die Hauptfeindbilder Moslems, Roma, Schwarze, etc.). In der Realität sind es eher die ausgebildeten Osteuropäer, die Konkurrenz darstellen, aber die werden ja eingemeindet.

Diese antiislamische Identität hat eine derartige Kraft, dass sie weit in den Mittelstand, den Liberalismus, das alte Bürgertum, ja selbst in die Linke hinein reicht. Parteipolitisch gesprochen sind alle mit eingeschlossen. Geritten wird dieses Siegespferd bei uns aber ausschließlich von der FPÖ. In anderen europäischen Ländern gibt es das Ressentiment genauso, nur wird es unterschiedlich benutzt. In Frankreich, Holland oder Dänemark geht es viel tiefer in die Institutionen hinein, während dem aufgeklärten Absolutisten Häupl vorgeworfen wird, ein Antirassist zu sein.

Das Phänomen hat die gleiche Struktur, Funktion und potentiell auch Kraft wie der historische Antisemitismus,. Das antisemitische Muster in seiner radikalsten Form ist heute unverdaulicher biologistischer Rassismus. Der übergroße Teil der Islamfeinde weist solche Vorwürfe wütend zurück und geht selbstmitleidig zur vermeintlichen Selbstverteidigung über. Man stehe für die Errungenschaften der Aufklärung, für die freien Frauen, gegen die islamische Barbaren. Selbst die FPÖ gibt sich vom Nazi-Faschismus geläutert und wirft den Moslems ganz im zionistischen Mainstream Antisemitismus vor. Die Nazis sind nun die Anderen, wir die aufgeklärten Antifaschisten. Welch unglaubliche ideologische Verdrehungen.

Die SPÖ mag den Kapitalismus gezähmt haben und ihn hervorragend verwalten. Sie glaubt die Krise in den Griff bekommen zu haben, gleich als zweiter hinter den einsamen Giganten und roten Kapitalisten Chinas. Einmal abgesehen davon, dass die Krise auch bei uns nicht ausgestanden ist und nochmals zuschlagen wird, befindet sich die westliche Gesellschaft als ganze in einer umfassenden Krise der Zivilisation. Die traditionellen Werte, seien sie bürgerlich oder sozialistisch, sind marginalisiert, alles aufgelöst in nihilistischem, individualistischem Konsumismus. Und wenn der einzig wirkliche Wert, der bisher ständig wachsende Konsum, wenn dieses scheinbare unveräußerliche Recht als Quintessenz der westlichen Zivilisation nicht mehr dauerhaft garantiert scheint, dann kommt es zu Rissen, Sprüngen und Verwerfungen. Daher der Kulturchauvinismus derjenigen, die vom sozialen Ausgleich profitieren, ihn aber von der Globalisierung zu recht gefährdet sehen. Da erscheint dann der aufgeklärte Absolutismus des auf den globalisierten Kapitalismus vertrauenden Mittelstandes mit seinem Fürsten Häupl den Unterschichten, die die islamischen Arbeitsimmigranten als Symbol des Freihandelsregimes aussperren wollen, als Arroganz der Macht – auch das wieder zu recht. In dieser verzweifelten Identitätssuche mutiert ein sonnenstudiogebräunter Diskohase, der beim Sprechen aus Angst automatisch in eine verkrampfte Angriffshaltung geht, auf einmal zum Robin Hood.

Dennoch: der Block der Macht hat noch immer drei Viertel aller Stimmen auf sich vereinigen können. Die absolute Mehrheit will den rosaroten Kapitalismus. Das mag vernünftiger und plausibler sein, aber aus einer sozialrevolutionären und antiimperialistischer Sicht nicht besser als das Ressentiment der Unterschicht. Der schlimmste Fehler wäre es angesichts der „rechten Bedrohung“ das vermeintlich kleinere Übel, die preisgekrönten Kompromissler und Kapitalismus-Verwalter zu unterstützen, also den Bock zum Gärtner zu machen.

P.S. an die um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zu späten antiklerikalen Kulturkämpfer: Das alte Bürgertum als soziopolitischer Block befindet sich in Wien überhaupt am Verschwinden. Der dominante liberale Mittelstand wird von der SPÖ repräsentiert. Die ÖVP wandelt sich von der Massenpartei dieses Blocks zur Kaderpartei und Exekutive des Geldadels und der Wirtschaftselite.

[Das Bild zeigt die Podiumsdiskussion im Österreichisch-Arabischen Kulturzentrum (OKAZ) mit dem Titel „Wie bedrohlich ist der Islam?“. Von links: Johann Herzog, FPÖ; Zerife Yatkin, Grüne; Michael Graber, KPÖ; Alfred Almeder, Moderator; Omar al Rawi, SPÖ; Günther Barnet, BZÖ]
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