In Ägypten ist Wahlbetrug bei Parlaments- und Kommunalwahlen keine Neuigkeit. Auch bei Präsidentschaftswahlen geht die Regierung auf Nummer sicher: Der Präsident ist der einzige Kandidat.
Offener Wahlbetrug
Dabei ist der Wahlbetrug in Ägypten keine versteckte Angelegenheit. Er findet nicht erst subtil bei der Stimmenauszählung statt, sondern bereits bei Kandidatur, Wahlwerbung, Stimmenabgabe und Betreten der Auszählungsräumlichkeiten durch die Beobachter. Kandidaten werden schikaniert, willkürlich nicht angenommen oder ihre Unterlagen verschwinden. Gerichtsbeschlüsse, die zugunsten der Kandidaten fallen, werden von der Exekutive einfach ignoriert. Wahlveranstaltungen von Oppositionskandidaten werden von den Sicherheitskräften bzw. von zivil bekleideten „Schlägern“ gesprengt. Schaffen es die Kandidaten bis zur eigentlichen Wahl, so stehen die Schläger (und manchmal uniformierte Polizisten) in umstrittenen Wahlkreisen vor den Wahllokalen und hindern die Wähler daran, ihre Stimme abzugeben. Bestehen diese auf ihrem Recht, brechen gewaltige Auseinandersetzungen aus, die zugunsten der Polizei enden. Wahlbeobachtern von Oppositionskandidaten wird häufig der Zutritt zu den Lokalen verboten. Danach können auch gewaltige Beschlagnahmen der Stimmboxen stattfinden, wobei diese zu unbekannten Orten transportiert werden. Juristische Anfechtungen der Ergebnisse sind sehr kompliziert und werden von der Exekutive nicht immer berücksichtigt. Das sind die Merkmale von Wahlen in Ägypten, die eine absolute Mehrheit der „Demokratischen Nationalen Partei“ garantieren.
Wahlen 2005 im Zeichen der Opposition
All diese Phänomene begleiteten die Wahlen von 2005, bei denen die Opposition trotz der Schikanen und der Fälschungen auf etwa 22 Prozent der 520 Parlamentssitze kam. Damals fanden die Wahlen im Zeichen eines Aufschwungs der ägyptischen organisierten Opposition statt, sodass in manchen Fällen Aktivisten und Journalisten die Irregularitäten bei den Wahlen eindämmen konnten. Das Regime stand unter internationalem und internem Druck und musste eine Zunahme der Anzahl der Oppositionssitze im Parlament tolerieren. Unabhängige Kandidaten aus dem Umfeld der verbotenen Bewegung „Moslemischer Brüder“ zogen ins Parlament ein. Rigoroser war das Regime beim Ausschließen von Kandidaten der säkularen „Kifaya“-Bewegung, wie etwa dem populären Nasseris Hamdin Sabahi.
Wahlen 2010: Regierung ohne Opposition
2010 stand die Opposition schlechter da: Massive Repression, die Ohnmacht der Linken und der Opportunismus der Moslemischen Brüder sorgten dafür, dass „Kifaya“ nicht über die elitären Kreise hinausreicht und auch dafür, dass sie allmählich aus den Medien verschwindet. Der Beschluss der Oppositionsgruppen, die Wahlen zu boykottieren, wurde von den Moslemischen Brüdern nicht mitgetragen und somit zunichte gemacht.
Die Wahlen fanden unter den bekannten Bedingungen statt. Das Ausbleiben einer Massenbewegung der Opposition und die Zuversicht des Regimes, dass es keine bedeutende internationale Kritik geben würde, führten zu einer „überwältigenden“ Mehrheit für die offiziellen Kandidaten. Kein einziger Kandidat der Moslemischen Brüder (88 Sitze im Jahr 2005) konnte durchkommen, wobei 27 Kandidaten für die zweite Runde qualifiziert waren. Die moderate linke „Tagammu’“-Partei erhielt in der ersten Runde fünf Sitze und die liberale Wafd-Partei zwei (12 Sitze im Jahr 2005).
Die Wahlfälschung nahm diesmal einen ganz offenen Charakter an – insgesamt gingen nur 12 Sitze an andere Parteien – und stieß tatsächlich kaum auf Kritik aus dem Ausland (das Inland macht dem Regime weniger Angst). Daher wurde die zweite Wahlrunde in den unentschiedenen Wahlkreisen von allen Oppositionskandidaten boykottiert. Um die Offensichtlichkeit der Fälschung zu verschleiern, übte die Regierung Druck auf Oppositionskandidaten aus, ihre Kandidatur beizubehalten. Mehr noch, sie sah sich dazu gezwungen, die Wahlen zugunsten von angeblichen Oppositionellen zu fälschen. Die Wafd-Partei musste vier ihrer Kandidaten aus der Partei ausschließen, die sich von diesem Angebot der Regierung bestechen ließen. In Summe gewann die Regierungspartei 420 der 508 Parlamentssitze. An offiziell „unabhängige“ Kandidaten gingen weitere 70 Sitze. Aufgrund der erwarteten Wahlfälschungen überstieg die Wahlbeteiligung laut offiziellen Angaben nicht 35 Prozent sowie 25 Prozent in der zweiten Runde. Menschenrechtsorganisationen sprechen von 10 Prozent und 5 Prozent in den jeweiligen Wahlrunden.
Schon das offizielle Wahlkomitee musste die Ergebnisse in 14 Wahlkreisen annullieren, nachdem bewaffnete Anhänger der Regierungskandidaten Wahlboxen zerstört hatten. Zudem wurde achtzig Einwänden der Oppositionskandidaten vom Gericht stattgegeben. Die Kläger warten derzeit auf weitere Instanzen.
Sicherung der Macht für die Mubarak-Familie
Sowohl der Verlauf als auch die Ergebnisse deuten auf die Senilität des ägyptischen Regimes hin, das gerade im Zeichen der Machtvererbung innerhalb der Familie Mubarak und angesichts der kommenden Präsidentschaftswahlen ein entspannteres Klima bräuchte. Da der Präsident als einziger Kandidat vom Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit „gewählt“ wird, bevor er zur Volksabstimmung steht, ist diese Mehrheit im Parlament essenziell für die Mubaraks. Laut ägyptischen Analysten wurde der Plan von Safwat Scherif, Generalsekretär der Regierungspartei, die Zweidrittelmehrheit durch eine Dezimierung der Parlamentssitze der Moslemischen Brüder zugunsten harmloser Oppositionsparteien zu sichern, von Jamal Mubarak, Sohn des Präsidenten und Chef des Politbüro der Partei, übertrieben. Das Ergebnis war ein massive Verringerung des erlaubten Oppositionsanteils im Parlament. Der hauchdünne Schleier der Demokratie, mit dem sich das Regime bedeckte, ist nun endgültig verschwunden.
Senil feiert die Regierungspartei ihren „Sieg“ über die Opposition. Regierungsmedien sprechen von einer klugen Kampagne der Demokratischen Nationalen Partei, oppositionelle Wahlkreise durch mehr Volksnähe zurückzugewinnen.
Es ist noch offen, ob sich die jetzigen Proteste der Oppositionsgruppen über das bekannte Maß von Kifaya hinaus entwickeln werden. Die Moslemischen Brüder, die größte Oppositionsbewegung, haben bisher die Teilnahme an einer gemeinsamen Strategie der Opposition verweigert. Ihre Teilnahme an den Wahlen torpedierte den Boykott der Opposition. Dafür kandidierten sie in nur 30 Prozent der Wahlkreise, damit sie für das Regime keine Bedrohung darstellen. Doch dieses zeigte sich diesmal kompromissunwillig. Der Ausgang stellt eine Provokation ohnegleichen seitens der Regierung dar und erfordert eine Antwort der Opposition. Die Moslemischen Brüder, die bisher eher zu Kompromissen mit dem Regime tendierten, stehen vor einem Test ihrer Glaubwürdigkeit als Opposition.
Glaubwürdigkeitsverlust gilt auch für die westlichen Staaten, die in Mubarak einen wichtigen Alliierten in der Region sehen. Die westlichen Regierungen und Medien, die bei den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 viel weniger Indizien auf Wahlbetrug brauchten, um eine Kampagne gegen den Iran zu starten, verurteilten den Zynismus des ägyptischen Regimes in keinerlei Hinsicht. Vielmehr beschäftigen sich die Medien mit den Haifisch-Attacken auf Touristen im Roten Meer.