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Tunesien: Das Volk organisiert sich gegen das vorprogrammierte Chaos

Die Offensive des Regimes


16. Januar 2011
Antiimperialistische Koordination

Die Nachricht von Ben Alis Rücktritt kam sehr überraschend und deutet auf einen internen Putsch innerhalb des Regimes hin. Wenn Ben Ali nach einem Monat nicht in der Lage ist, den Aufstand zu beenden, so wird es für seine westlichen Unterstützer (Frankreich, USA) Zeit, nach einer Alternative zu suchen. Wie im Falle von George Bush wird das Übel in der Person des zurückgetretenen Präsidenten verkörpert, damit das Regime und seine wirtschaftliche Politik weiterbestehen können.


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Nach dem Absturz von Ben Ali versucht das Regime, die Forderungen des Volksaufstandes zu hintergehen. Der Parlamentschef, der nach der Verfassung die Funktionen des Präsidenten übernommen hatte, beauftragte den ehemaligen Premierminister Mohammad Ghanushi mit der Bildung einer neuen Regierung der „nationalen Einheit“. Die tunesische Opposition fordert einen vollständigen Rücktritt des Regimes, ein neues Parlament und eine neue Regierung nach freien Wahlen. Verhandlungen zu einer Regierungsbildung finden mittlerweile mit den Parlamentsparteien statt, wobei die realen politischen Kräfte und die Träger des Volksaufstands von diesen Verhandlungen ausgeschlossen sind. Ein Sprecher der verbotenen islamischen Nahda-Bewegung gab in einem Interview mit Al-Jazeera die Bereitschaft seiner Partei bekannt, an Regierungsverhandlungen teilzunehmen.

In Tunesien sind etwa acht „oppositionelle“ Parteien registriert, die für die Bevölkerung kaum repräsentativ sind. Mit diesen Pseudoparteien täuschte das Regime von Ben Ali eine Opposition und die Existenz von einem parlamentarischen System vor. In der Rrealität sind die linken und islamischen Parteien und Gruppen, die tatsächlich über eine Basis verfügen, verboten und verfolgt gewesen. Sowohl die islamischen Aktivisten der Nahda-Bewegung als auch die linken Aktivisten der „Kommunistischen Arbeiterpartei“ und der panarabischen Nasseristischen Bewegung waren Dauergäste in den Gefängnissen des Regimes. Auch der „Kongress für die Republik“, dessen Anführer Monsef Marzouki auch bei den Präsidentschaftswahlen gegen Ben Ali kandidierte, war verboten.

Hingegen lehnt die Mehrheit der tunesischen Kräfte Verhandlungen mit dem Regime ab. Das nach den letzten Wahlen am 12. Oktober 2010 neu zusammengesetzte Parlament, wo Ben Ali den Anteil der Opposition mit 20% festgelegt hatte, ist für eine Regierungsbildung nicht repräsentativ. Die tunesische Verfassung wurde unter dem Regime so manipuliert, dass die Regierungspartei, Tagammu` Dusturi [Verfassungszusammenkunft] eine absolute Mehrheit genießen kann.

Auch im Ausland demonstrieren tunesische Immigranten und fordern den Rücktritt aller Vertreter des Regimes.

Mittlerweile versucht sich das Regime durch programmiertes Chaos zu verteidigen. Nach einem plötzlichen Abzug aller Sicherheitskräfte wüten Plünderungen in mehreren Ortschaften. Öffentliche Einrichtungen werden in Brand gesteckt, Geschäfte geplündert und sogar private Häuser angegriffen. Die Aktionen dürften nach Aussagen der Opposition von organisierten Banden getragen werden. Das Regime verfügte ohnehin über ein großes Netz von Under-Cover- bzw. Zivilpolizisten, die immer schneller und effizienter waren als die uniformierte Polizei. Während diese Banden die Bevölkerung zermürben und in die Defensive drängen, stellt die vom Regime gebildete Regierung „die Beendigung“ des Chaos als höchste Priorität dar. Dadurch erhofft sich das Regime, die eigentlichen Forderungen des Volksaufstands in den Hintergrund zu rücken.

In den verschiedenen Gemeinden bilden sich Volkskomitees, um den Schutz gegen Angriffe zu organisieren. Auch die Armee positionierte sich in den von der Polizei verlassenen Stelle.

Der überraschend schnelle Erfolg des Aufstands, Ben Ali zu entfernen, muss jetzt erst recht verteidigt werden. Das Angebot des Regimes, eine „nationale Einheitsregierung“ zu bilden hat das Ziel, die Opposition zu spalten. Die Offensive des Aufstands wird dadurch abgeschwächt, während das Regime seine Gegenoffensive vorbereitet. Einerseits wird die Bevölkerung durch die kriminellen Aktionen der Milizen terrorisiert, um einen Wunsch nach Wiederkehr der Ruhe zu generieren. Andererseits werden Teile der Opposition durch das politische Scheinangebot bestochen. Gegen „Chaos, Plünderungen und islamischen Terror“ ist es für das Regime auch einfacher, international politische Unterstützung zu bekommen.

Der tunesischen Opposition mangelt es an politischer Führung. Nach dreiundzwanzig Jahren Unterdrückung durch das Regime ist die Opposition als organisierte Kraft stark geschwächt. Priorität sollte es nun sein, die Kräfte neu zu organisieren und eine politische Front zu bilden, um eine Relativierung der ersten Erfolge der Bewegung zu verhindern.

Antiimperialistische Koordination
Wien, 16.01.2011

Anhang:
Legale „Parteien“ in Tunesien

1. Bewegung der Sozialdemokraten. Legal seit 1983. 14 Sitze
2. Partei der Volkseinheit: legal seit 1983, 11 Sitze
3. Soziale Emanzipationspartei: legal seit 1988, zwei Sitze
4. Demokratische Progressive Partei: legal seit 1988. Keine Mandate
5. Demokratische Einheit: Legal seit 1988, Keine Mandate
6. Demokratischer Bund für Arbeit und Freiheiten: legal seit 2002, keine Mandate
7. Bewegung für Erneuerung: ehem. Kommunistische Partei. Legal seit 1993, drei Mandate
8. Partei der Grünen für Fortschritt: legal seit 2006, keine Mandate

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