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Volkszorn gärt in Jordanien

Perspektive einer Demokratiebewegung in Jordanien


14. Februar 2011
Eid El-Sane’ - Amman

Den fünften Freitag hintereinander demonstrierten die Jordanier im Zentrum der Hauptstadt Amman und in anderen Orten des Landes für mehr politische Freiheiten und eine transparentere Wirtschaftspolitik. Der neoliberale Kurs des jordanischen Regimes führt vermehrt zu Massenverarmung. Gekuppelt mit Repressionspolitik und Vetterwirtschaft nimmt die Entwicklung einen Kurs ähnlich jener von Tunesien und Ägypten. Die jetzigen Proteste richten sich gegen die vom König eingesetzte Regierung und ihre neoliberale Wirtschaftspolitik.


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In Jordanien garantiert das Wahlgesetz dem Regime ein dem Thron treues Parlament. Der „Nationale Kongress“ besteht aus zwei Kammern, dem Parlament und dem Senat, wobei letzterer gänzlich vom König eingesetzt wird. Auch die Regierung wird vom König eingesetzt und vom Parlament bestätigt. Entstehen große Differenzen zwischen König und Parlament, so ist der König zu jeder Zeit in der Lage, das Parlament aufzulösen und neue Wahlen einzuberufen.

Nach Jahren politischer Repression und Korrumpierung seitens des Regimes ist die organisierte Opposition in Jordanien relativ zahnlos. Seit Jahresbeginn versammeln sich jordanische Aktivisten wöchentlich in „Tagen der Zorn“, um gegen die Regierung zu protestieren. Die wachsende Teilnahme und die Einschüchterung des Regimes durch den Fall des tunesischen Diktators motivierten die politischen Parteien zur Teilnahme. So schlossen sich die Moslemischen Brüder, die Jordanische Kommunistische Partei und die sozialdemokratische Einheitspartei den Protestierenden an. Alle drei Parteien sind weniger an einer Konfrontation mit dem Regime interessiert und wirken bei den Protesten eindämmend.

Am Freitag, 11. Februar fanden in Amman an mehreren Orten Demonstrationen statt. Die von den Moslemischen Brüdern organisierte Demonstration stand im Zeichen der Solidarität mit dem ägyptischen Volksaufstand. Sie begann nach dem Freitagsgebet vor dem Regierungssitz und endete friedlich vor der nahen ägyptischen Botschaft. Die Brüder lenkten den „Volkszorn“ auf Mubarak.

Die zweite Demonstration wurde von unabhängigen Jugendgruppen organisiert und fand im Zentrum Ammans statt. Als die Demonstranten die Forderung der jordanischen Polizei, sich aufzulösen, nicht befolgten, tauchten Gruppen von Schlägern in Zivil auf, die den Demonstranten in ägyptischem Stil drohten und angriffen. Die Demonstranten ignorierten anfangs die Provokationen der Schläger und versuchten, den Demonstrationszug fortzusetzen. Als diese wiederholt versuchten, die Schutzkette der Demonstranten zu durchbrechen und die Lage eskalierte, kehrte der Demonstrationszug um und endete vor der Hussein-Moschee in der Altsstadt. Die jordanische Polizei beobachtete die Angriffe der Schläger von der Ferne und weigerte sich, die Demonstranten zu beschützen.

Wie in anderen arabischen Ländern gärt in Jordanien langsam der Volkszorn. Die traditionelle Opposition wird von den Massen überrumpelt. Beim Versuch, die Massen einzuholen, dient diese als Instrument des Regimes, die Protestbewegung aufzufangen. Der Charakter der Proteste ist wie überall sowohl politisch als auch sozial. Wenn die Opposition über die Forderung nach politischen Freiheiten einig ist, so ist sie bei den sozialen Forderungen gespalten. Die Moslemischen Brüder waren zwischen 1958 und 1989 die einzige erlaubte politische Gruppe im Land. Somit verfügen sie über die größte Basis und eine effiziente Infrastruktur. Auch wenn sie die Forderung des Volkes nach politischen Freiheiten, Transparenz, nationaler Souveränität und gegen die Normalisierung mit Israel mittragen, so haben sie es nie zu einer offenen Konfrontation mit dem Regime gebracht. Auf den sozialen Aspekt der Bewegung reagieren die Brüder nicht. Wie in den anderen arabischen Ländern bedeutet der soziale Charakter der Bewegung ein erstmaliges Entgleiten der Massenbewegung aus den Händen der islamistischen Gruppen. Als sich diese dem zweiten „Zornfreitag“ anschlossen, kam es beinahe zu Handgemengen mit den Kadern der Linke um die Kontrolle über die Demos. Die folgenden Freitage liefen getrennt: Die Brüder die Bewegung in Solidarität mit Ägypten kanalisierend und die Jugend in der Stadt gegen die Regierung.

Das Regime, das aus dem Sturz von Ben Ali lernen wollte, gab Zeichen von Nachgiebigkeit. Er gab den ersten Forderungen der Massen nach und löste die verhasste Regierung von Primärminister Rifai auf. Zur Enttäuschung der Opposition beauftragte der König Maarouf Bakhit (eine weitere Trägerfigur der neoliberalen Politik und ehemaliger Botschafter in Tel Aviv), eine neue Regierung zu bilden. Nun setzt das Regime seine Politik mit anderen Gesichtern im Amt fort. Dass einige Persönlichkeiten der Opposition in die neue Regierung aufgenommen wurden, diskreditiert weiter eben die traditionelle Opposition.

Das seit dem Schwarzen September 1970 verbreitete Bild von Regime-treuen Jordanier und oppositionellen Palästinensern (immerhin seit 1948 70% der Bevölkerung) stimmt schon lange nicht mehr. Die weitgehende Privatisierung erhöhte die Arbeitslosenrate bei den Ostjordaniern, die bisher den Staatsapparat und die staatliche Betriebe dominierten. Das Entstehen von Mafia-artigen Regime-Strukturen schwächte den Einfluss der jordanischen Großstämme und beeinträchtigte das traditionelle Bündnis zwischen Krone und Beduinenstämmen, die sich in ihren Existenz bedroht fühlen. Auch auf der palästinensischen Seite schwächte die weitgehende Verarmung den städtischen Mittelstand, der für Stabilität im Verhältnis mit dem Regime sorgte. Die neue Volksbewegung bildet sich auf sozialer und demokratischer Basis und überschreitet zum ersten Mal seit den Sechzigern die identitären Grenzen der Jordanier und Palästinenser.

Die Bewegung steckt noch in den Kinderschuhen und kommt angesichts des weitgehenden Zögerns der traditionellen Parteien und beim Fehlen der Gewerkschaftlichen und studentischen Strukturen einem politischen Waisenkind gleich. Jedoch war sie in der Lage, zum ersten Mal seit dem Aufstand von 1989 Tausende Menschen für ein innenpolitisches Thema auf die Straße zu bringen. Noch richtet sich der Protest gegen die Regierung, ohne den König in Frage zu stellen. Das könnte sich jedoch ändern, wenn letzterer nicht in der Lage ist, rechtzeitig in tiefgreifendere Reformen einzuwilligen.

Eid El-Sane’ – Amman

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