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Berliner Senat versucht Redeverbot gegen Awni al Kalemji zu erzwingen

7. April 2011
Von Initiativ e.V.

Revisionsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht


Im Juni 2009 hatte das Berliner Verwaltungsgericht das gegen den irakischen Besatzungsgegner Awni al Kalemji erlassene Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgehoben. Gegen dieses Urteil hatte die beklagte Seite, der Berliner Senat, Revision eingelegt. Das
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Revision nun zugelassen.

Die Vorgeschichte

Im Frühjahr 2006 begab sich Awni al Kalemji, Sprecher der Irakischen Patriotischen Allianz (IPA), auf eine Vortragstour durch Deutschland. Doch die ersten Vorträge in Berlin und Hamburg wurden durch massiven Polizeieinsatz verhindert, Awni al Kalemji festgenommen und schließlich abgeschoben. Im Herbst 2006 ging der Beliner Senat einen Schritt weiter
und verhängte ein bundesweites Aufenthaltsverbot. Gegen Kalemji wurde der Vorwurf erhoben, dass er mit der politischen Unterstützung des irakischen Widerstands die „öffentliche Sicherheit und Ordnung der BRD beeinträchtigt.“ Bei der Rechtfertigung der Einschränkung der politischen Freiheiten zugunsten der Staatsraison war man erstaunlich offen: „Kalemjis Billigung des Widerstands beinhaltet eine Beeinträchtigung der Grundinteressen der Gesellschaft, gerade wenn es um auswärtige Belange der BRD geht, hier das Verhältnis zum Irak und den USA“ [Behördliche Ausweisungsverfügung vom 27.09.2006, Geschäftszeichen IV Z BO 1, Seite 2]. Ein Strafverfahren wegen „Aufforderung zu Straftaten“ musste die Staatsanwaltschaft mangels Substanz bereits 2006 einstellen. In der
Folge legte Kalemjis Anwalt Heinz-Jürgen Schneider Klage gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot ein. Im Sommer 2009 gewann Kalemji den Prozess – die Verbotsverfügung des Berliner Senats wurde gekippt. Diese Verbotsverfügung wird nun im Revisionsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht erneut verhandelt.
Deutsche Bündnisverpflichtungen In der Revisionsbegründung wiederholt der Berliner Senat seine Ansicht, dass das irakische Regime völkerrechtlich sanktioniert und die irakische
Widerstandsbewegung illegitim sei. Kalemji, marxistischer Exponent des politischen Widerstands, weist dies von sich. Vielmehr betrachtet er alle unter der Besatzung eingeführten Institutionen (inkl. Verfassung) als illegal – womit er völlig im Einklang mit Geist und Buchstaben der Haager Landkriegsordnung und der Vierten Genfer Konvention ist.

Über eine Million Irakerinnen und Iraker wurden seit 2003 von Besatzungs- und irakischen Regierungstruppen getötet oder fielen der sektiererischen Gewalt zum Opfer, die von Washington und seinen Verbündeten angeheizt wurde. Mehr als zwei Millionen sind ins Ausland geflohen, die gleiche Zahl wurde zu Binnenflüchtlingen. In einem Land, in dem ein großer Teil der Vertreter der politischen Opposition und des Widerstands gegen die ausländische Besatzung eingesperrt, verschleppt, getötet oder vertrieben wurde und in dem nach wie vor 50.000 Besatzungssoldaten operieren, von Demokratie zu reden ist absurd. (1)
Was den SPD-LINKE-Senat tatsächlich antreibt, ist das diplomatische und bündnispolitische Verhältnis der BRD zu den USA zu schützen. Hierzu Kalemjis Anwalt Heinz-Jürgen-Schneider: „Die Unterdrückung einer politischen Auffassung ist aber nicht zulässig und verstößt gegen
Grundrechte. Die (Rede-) Freiheit des Klägers steht nicht zur Disposition staatlicher Organe und richtet sich nicht nach der deutschen Nahostpolitik, den Bündnisverpflichtungen, politisch-diplomatischen Erwägungen oder Rücksichtnahmen. […] Militäroperationen gegen militärische Ziele, die einen Besatzungsstatus haben, sind völkerrechtlich legitim. Was Militäroperationen gegen Regierungstruppen betrifft, zeigt die Entwicklung der Gesamtregion des Nahen Ostens seit Ende 2010 welche politische Dynamik besteht und was das für eine völkerrechtliche Bewertung bedeutet.“

Aktuelle Erklärung von Awni al Kalemji

„Das irakische Volk reagierte auf Krieg und Besatzung und brachte eine politische wie auch militärische Widerstandsbewegung hervor. Die Stärke des Volkswiderstandes zwang die US-Besatzer, ihre Vorgehensweise zu ändern.
Schließlich kündigten sie ihren Truppenabzug an – tatsächlich haben sie sich lediglich auf große Militärbasen auf ureigenem irakischen Territorium zurückgezogen. Mit etwa 50.000 Soldaten bleibt Irak das Land mit der zweitgrößten US-Militärpräsenz weltweit! Die US-Militärmacht bleibt das Rückgrat des Regimes in Bagdad.

So setzt sich nicht nur die Besatzung fort, sondern auch das Elend, das unser Volk ertragen muss. Während die kollaborierenden Eliten enorme Profite machen, indem sie das Öl rauben, kann der Großteil des Volkes fast nicht überleben. Die Landwirtschaft ist am Boden, die zerstörte Infrastruktur verbleibt in Ruinen, immer noch herrscht ein eklatanter Mangel an sauberem Trinkwasser und elektrischer Versorgung. Obwohl unsere Naturressourcen zu den reichsten dieser Welt gehören, ist unser Volk gezwungen zu hungern. Nichts scheint sich zum Besseren zu wenden.

Als in der arabischen Welt die demokratischen Bewegungen gegen die pro-westlichen Diktatoren entstanden sind, gingen auch in Irak Menschen auf die Straße. Auch Irak ist eine auf „Teile und Herrsche“ aufgebaute Diktatur, mit dem Unterschied, dass das Regime direkt durch die US-Truppenpräsenz abgesichert wird. Folglich setzt sich der Widerstand gegen die maskierte Besatzung und ihre Marionetten fort. Der Fakt, dass das irakische Regime die
anwesenden US-Truppen formal akzeptiert hat, macht diese damit nicht legitim.“

Wir wehren uns gegen die Versuche des Berliner Senats, politische Freiheiten zu opfern, um außen- und bündnispolitischen Erwägungen des deutschen Staates zu genügen. Wird das Redeverbot gegen Kalemji rechtskräftig, entsteht zudem ein weitreichender Präzedenzfall, der
gegen viele andere unerwünschte Meinungen verwendet werden kann. Dem widersetzen wir uns mit allen zulässigen Mitteln.

Verteidigt das Völkerrecht.
Reise- und Redefreiheit für Awni al Kalemji.

Initiativ e.V., im März 2011

(1) http://jghd.twoday.net/stories/irak-die-vergessene-besatzung/

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