1. Die Delegation, die unter der Federführung der Antiimperialistischen Koordination (AIK) aus Wien organisiert wurde hat uns einen sehr guten Einblick in die aktuelle Situation verschafft. Wir haben Vertreter verschiedenster Organisationen getroffen: der radikalen Linken (Sozialistische Partei, Nationale Front – Workers Party), der Islamischen Arbeiterpartei, der Muslimbrüderschaft – Jugendorganisation, einen katholischen Geistlichen, den wir insbesondere zur Einschätzung bzw. zur Positionierung der christlichen Minderheit der Kopten (ca. bis zu 10% der Bevölkerung) befragt haben und einen bedeutenden Intellektuellen der nasseristischen (linksnationalistischen)Bewegung.
2. Zwei wesentliche Dinge haben sich nach all den Gesprächen herauskristallisiert: Erstens ist der Prozess der Revolte/Aufstandes/Revolution viel tiefgehender als wir erwartet haben. Damit meine ich nicht das Gefühl, das jede und jeder Linker haben muss, wenn er aus Europa in ein Land mit echter gesellschaftlicher Bewegung fährt. Der Korken ist raus, und viele Teile der Gesellschaft sind in Bewegung. Es bilden sich nicht nur neue Vereinigungen und Parteien, sondern auch Gewerkschaften. Der herrschende Militärrat muss Stück für Stück bestimmten Forderungen nachgeben und er tut es zum Teil auch. Auch wenn er es eigentlich nicht will. Er kann den Korken nicht wieder drauf stecken. Das heißt nicht, dass der Militärrat Teil des revolutionären Lagers wäre. Im Gegenteil in ihm repräsentiert sich momentan am stärksten die alte Oligarchie, die Zeit braucht um eigene neue Parteien und Personen in Stellung zu bringen. Womit wir beim zweiten Punkt angekommen wären: Es sind sich alle einig, dass die Wahlen im September von der Muslimbruderschaft gewonnen werden. Dies schürt bei niemanden Angst (nur hier im Westen). Wie hoch sie gewinnen ist unklar. Das Problem ist vielmehr, dass sie natürlich von Seiten der Opposition die Konservativsten im Bezug auf Verfassungsreform/Demokratisierung/Wirtschaftspolitik sind. Was den Konflikt mit dem Dreigestirn (USA, Israel, Saudi-Arabien) angeht, allerdings werden auch sie nicht um den Konflikt herumkommen. Jede wirtschaftliche Veränderung (und damit ist noch nicht eine antikapitalistische gemeint) wir zwangsläufig zum kleineren oder größeren Konflikt führen. Von außenpolitischen Veränderungen ganz zu schweigen. Der Imperialismus wird alles und zwar alles tun, um eine Regierung, die auch nur im Entferntesten die Interessen der Bevölkerung in Bezug auf wirtschaftliche und souveräne Entwicklung des Landes vertritt, zu verhindern. Ohne Zugeständnisse ans Volk wird es aber nicht gehen. Der Konflikt mit dem Dreigestirn ist vorherbestimmt.
Initiativ e.V.
Duisburg, den 06.05.2011