Site-Logo
Site Navigation

Assad stößt das Volk ab, ebnet dem Imperialismus den Weg

Demokratie und Verfassungsgebende Versammlung sind legitime Forderungen


27. Mai 2011
von Willi Langthaler

Seit Wochen lässt Assad mit militärischen Mitteln die Proteste in Syrien niederschlagen. Nach dem Muster der USA behauptet das Regime, dass es sich um vom Ausland gesteuerte islamistische Terroristen handle.


Wir sind nicht geneigt alles zu glauben, was die westlichen Medien uns vorsetzen. Zu oft, ja systematisch, haben sie sich als Werkzeug im Dienste ihrer Staatskanzleien erwiesen. Doch auch die Behauptungen der Damaszener Herrschenden sind wenig überzeugend. Ohne vor Ort zu sein, ohne über direkte Informationen zu verfügen, können und müssen wir uns mit Hilfe der politischen Interpretation ein eigenes Bild machen:

Die Bewegung findet im übergeordneten Kontext einer arabischen, demokratischen Revolte statt, die sich gegen die imperialistische Architektur der Region richtet. Insbesondere im in jeder Hinsicht führenden arabischen Land, Ägypten, hat der Sturz einen tiefgreifenden Prozess der Massenmobilisierung ausgelöst, der den Staat tendenziell dem Griff der globalen Oligarchie zu entziehen versucht. Die Ausstrahlung in die Region ist enorm.

Syrien ist neben Ägypten das zweite Zentrum der arabischen Welt und weist eine lange Tradition des Befreiungskampfs auf. Entsprechend vielgestaltig ist die Opposition. Es gibt wie überall in der arabischen Welt prowestliche Kräfte (meist versteckt, nur ganz wenige offen), es gibt unterschiedliche islamistische Gruppen und eine historische Linke, der neben den diversen Kommunisten auch die nasseristischen, panarabistischen Kräften entstammten.

Wir wagen zu behaupten, dass die gegenwärtigen Proteste eine Bewegung ägyptischen Typs sind. Nicht nur, dass die Ereignisse am Nil die Inspiration gaben. Nur eine demokratische Orientierung hat Legitimität, kann auf Mehrheiten hoffen, kann die Demarkationen zwischen den Oppositionsgruppen transzendieren. Jede andere Orientierung wäre politischer Selbstmord.

Tatsächlich haben sich wichtige Oppositionsgruppen mit einer demokratischen Plattform artikuliert, und zwar im Land selbst, trotz der Repression. Sie haben sich mit der Damaszener Erklärung von 2005 eine Plattform gegeben, die die Stoßrichtung deutlich zeigt: Demokratisierung durch Reform und Dialog mit dem Ziel des Endes der Ein-Parteien-Herrschaft der Baath sowie einer verfassungsgebenden Versammlung. Auch die Muslimbrüderschaft unterzeichnete diese Erklärung, selbst wenn sie immer wieder in Form einer On-Off-Relationship schwankte. Einige ihrer Exponenten disqualifizierten sich dadurch, dass sie in der irakischen und libyschen Logik den äußeren Druck des Imperialismus suchten. Doch das ist im Text selbst nicht enthalten, der weiterhin ein wichtiger Referenzpunkt bleibt.

Auch im Angesicht der scharfen Repression der letzten Wochen riefen viele dieser Gruppen nicht zum Sturz der Baath auf, sondern ließen die Hand weiter ausgestreckt zum Dialog – auch wenn die Massen auf der Straße vermutlich andere Schlussfolgerungen ziehen werden. Assad, seinerseits den Dialog ständig im Mund führend, schlug diesen jedoch de facto aus.

Vollmundig spricht Assad seit einem Jahrzehnt von Reformen, die nicht und nicht kommen wollen. Bedrängt von der Bewegung hob er formal den Ausnahmezustand auf, ohne an der Realverfassung irgend etwas zu ändern. Diese Maßnahme konnte nicht anders denn als Kosmetik zu verpuffen.

Denn der ein halbes Jahrhundert währende Ausnahmezustand und die Einparteienherrschaft gehören zusammen und bedingen sich gegenseitig. Wer über die Aufhebung des Ausnahmezustands spricht, darf auch über eine demokratische Verfassung nicht schweigen, sonst meint er es nicht ernst.

Politisch legitimiert sich die Diktatur (die im Gegensatz zu Ägypten oder Tunesien die Chuzpe hat, nicht einmal Demokratie zu mimen), dass sie a) Garant des Antiimperialismus und b) des friedlichen Zusammenlebens der verschiedenen Konfessionen (Säkularismus) sei. Wenn sie die Zügel schleifen ließe, käme es zum konfessionellen Bürgerkrieg und schließlich zur Machtübernahme versteckt oder offen prowestlicher Kräfte (mit Hilfe islamistischer Terroristen). Das Volk sei also unreif selbst zu entscheiden. Und wenn es nach 50 Jahren noch keinen Schritt vorwärts hin zur demokratischen Reife gekommen ist, so darf man getrost annehmen, dass auch weitere 50 Jahre nicht ausreichen werden.

Konfessionelle Gefahr?

Niemand kann abstreiten, dass es in der vielfältigen Nahostregion die Gefahr konfessioneller und nationaler Konflikte gibt. Einige der Spannungen haben länger zurückliegende, historische Gründe und hängen mit der kolonialen Entstehung der Staaten und der sie regierenden Oligarchien zusammen. Andere werden neu initiiert, meistens gerade um von der Politik der Herrschenden abzulenken.

Der Konfessionalismus ist in der Substanz ein Herrschaftsinstrument. Vor allem der prowestliche Block um Saudi-Arabien, Mubarak mit eingeschlossen, bediente und bedient sich seiner. Das Regime Mubarak hetzte gegen Schiiten, obwohl es in Ägypten gar keine gibt. Auch an den Spannungen zwischen Moslems und Christen war das Regime Mubaraks nicht unbeteiligt. Aber auch die USA setzen diese Karte immer wieder ein (siehe Irak).

Die Baath-Partei nimmt für sich in Anspruch säkular zu sein. Formal stimmt das und steht sogar in der Verfassung. De facto artete die Machtkonzentration in den Händen einer kleinen Clique konfessionell aus. Im Irak hatte sich das Baath-Regime mit der Machtübernahme Saddams und der Stilisierung des iranisch-schiitischen Erzfeindes immer mehr sunnitisch aufgeladen. In Syrien war das nicht viel anderes. Die Kontrolle der Assad- Familie sowie das allawitische Netzwerk an der Macht laden richtiggehend zu konfessionellen Reaktionen ein. Diese Art von auf eine konfessionelle Gruppe gestützte Diktatur, wie säkular sie sich auch immer geben mag, gießt Öl ins Feuer des Konfessionalismus.

Auf der Seite der Gegner Assads sind zweifelsohne ebenfalls konfessionalistische Kräfte am Werk. Das sind die Salafiten, die das ganz offen machen, und über den Libanon vom saudischen (Kultur)block Unterstützung erhalten. (Die Einschränkung auf Kultur deswegen, weil die saudische Königsfamilie vor der demokratischen Revolte mehr Angst hat ihnen Assad missfällt. Die Moslembrüder versuchen öffentlich ein demokratisches Programm in den Vordergrund zu rücken, doch gibt es aus vielerlei Gründen auch dort einen konfessionellen Unterton.

Doch ist das nicht ausreichend, um der Behauptung des Regimes über einen konfessionellen Aufstand zu folgen. Auch wenn ein konfessionelles Moment durchaus vorhanden ist, ist es weder in den offiziellen Positionen der Oppositionsgruppen noch in den Forderungen der Massen dominant. Es ist in keiner Weise gesagt, dass sich die reaktionären, konfessionalistischen Kräfte durchsetzen werden. Die Ereignisse in Ägypten und die politische Großwetterlage tendiert hin zu einer demokratischen Bewegung.

Ähnlich wie in Ägypten wird es in Syrien ausreichend politische Intelligenz geben um zu sehen, dass demokratische Fortschritte nur in einem Block der Linken mit einem Teil der islamischen Kräfte zu erzielen sein werden – genauso wie es in Ägypten möglich war. Im Übrigen ist auch in Ägypten die Gefahr des Scheiterns nicht gebannt. Den Versuch ist die Revolte allemal wert. Wenn die Bewegung eine Chance hat, dann als demokratische. Im Gegenzug würde nichts mehr den Konfessionalismus anheizen, als eine Niederschlagung.

Antiimperialist oder Stabilisator?

Assad ist im Block mit dem Iran und er gewehrt der Hisbollah und der Hamas Unterstützung. Das ist nicht wenig und dafür zählten die Neokons ihn zur Achse des Bösen. Das erklärt auch den wachsenden Druck des Westens auf das Regime. Ein Waffenembargo über Syrien hätte gewiss einen anderen Sinn als die Demokratiebewegung zu unterstützen.

Jedoch bleibt das Regime sowohl für den Westen als auch für Israel ein berechenbarer Feind besser als eine unkalkulierbare Revolte, die die Region restlos in Flammen setzen würde. Nichts würde die Öldiktaturen am Golf mehr erschüttern als ein Doppelschlag Ägypten-Syrien im arabischen Zentrum. Daher das saudische Gewährenlassen Assads. Der Hauptgeschädigte durch die Bewegung ist der saudische Machtblock. Das mag auch der Grund dafür sein, dass sich Teheran gar so verhalten gegenüber Damaskus zeigt. Die Islamische Republik selbst scheint sich, gepanzert hinter dem schiitischen Konfessionalismus, vor der demokratischen Revolte sicher zu wähnen.

Der Westen hat an der Sanktionsspirale zu drehen begonnen oder weiter weitergedreht. (Die USA hatten ja schon lange Sanktionen verhängt.) Er fordert ein Ende der Repression, aber das Regime als ganzes wird vorerst einmal nicht in Frage gestellt. Zu sehr diente und dient es als Stabilisator, zumal in einer Zeit der Volksrevolten.

Das Regime mag sich mit einigen antiimperialistischen Positionen Legitimität verschafft haben. Doch ein Freund der Volksbewegungen war die Baath nie. Als die libanesische Linke gemeinsam mit den Palästinensern Mitte der 70er Jahre knapp davor stand, den Staat zu erobern, war es Assad der sie mit militärischen Mitteln stoppte. Damit war der Weg frei für den konfessionell eingefärbten Bürgerkrieg. Antiimperialismus ist also nur willkommen, wenn er wohl dosiert, kontrollierbar und handzahm daherkommt.

Libysches Szenario?

Die derzeit laufende schrittweise Niederschlagung der Bewegung kann die Sache im Sinne des Antiimperialismus nur schaden. Einerseits bietet man dem Westen einen Vorwand zur Eskalation von Sanktionen bis hin zu einer Militärintervention. (Allerdings sind wir davon noch entfernt und der Krieg gegen Libyen steckt in einer Sackgasse. Nach Afghanistan, Irak, Libyen wird man es sich sehr genau überlegen, einen weiteren neokolonialen Krieg anzuzetteln.) Andererseits treibt man die Opposition in die Hände der Gegner, sei es nun der saudische Block oder der Westen selbst. Denn wer mit dem Rücken zur Wand steht nimmt in der Not auch Hilfe vom Teufel an. So geschehen in Libyen.

Doch Syrien ist nicht Libyen. Das Levante-Land ist eine der Heimstätten des antikolonialen Kampfes. Die Volksbewegung wird sicher nicht mit fliegenden Fahnen zu den ehemaligen Kolonialmächten übergehen. Aber einige Oppositionsgruppen mögen das durchaus tun. Das (falsche) Kalkül dahinter ist immer das gleiche, ob im Irak oder in Libyen: den Imperialismus für die eigenen Zwecke nutzen und in letzter Konsequenz sich von ihm benutzen zu lassen.

Die politische Verantwortung für die Eskalation trägt das Assad-Regime. Denn die Forderung nach Demokratie ist legitim und durchaus nicht konterrevolutionär, prowestlich oder gar islamistisch. Die Weigerung des Regimes, auf solche Forderungen einzugehen, führt zu einer weiteren Entfremdung von den Massen.

Der Antiimperialismus braucht jedoch die Massen. Die Massenmobilisierung, die demokratische Beteiligung des Volkes ist auf längere Sicht der einzige Garant des Antiimperialismus. Dabei kommen natürlich auch reaktionäre Erscheinungen ans Tageslicht. Doch angesichts der globalen und regionalen Lage stehen die Chancen auf den Erfolg antiimperialistischer Kräfte gut. Hingegen läuft bei fortlaufender Repression der offizielle, zelebrierte Antiimperialismus des Regimes Gefahr, durch Verlust der Massenunterstützung nunmehr von der Rolle des Stabilisators für den Westen zu leben, was praktisch eine weitere Aushöhlung der antiimperialistischen Position bedeuten würde.

Armut versus Reichtum

Im Vordergrund stehen gegenwärtig demokratische Rechte. Doch es ist keine liberale Mittelstandsbewegung wie die „Grünen“ im Iran. Der Kampf gegen das Assad-Regime ist engsten verbunden mit dem Kampf gegen die Magnaten und Tycoons die mit diesem verwoben sind und in den letzten Jahren gewaltige Reichtümer angehuft haben. Die Reste der staatlich kontrollierten Wirtschaft mögen in Syrien stärker sein als in Ägypten oder Tunesien. Aber die neoliberalen Rezepte wurden auch von Damaskus angewandt – übrigens die einzigen verwirklichten Versprechen der von Assad versprochenen Veränderungen. Die implizite Verbindung mit sozialen Forderungen der Armut, wie sie in Tunesien höchst und in Ägypten in etwas geringerem Maße präsent sind und mitschwingen, ist auch in Syrien gegeben. Nicht umsonst stützt sich die Macht des Regimes nicht nur auf die Allawiten und Christen, sondern auch auf diese Business-Elite, ungeachtet der Tatsache, dass diese meist sunnitisch ist.

Perspektiven

Der Ausgang der syrischen Revolte ist nicht abzusehen. Bis dato kam es in Damaskus selbst noch zu keinen größeren Demonstrationen, während in den anderen Städten die Repression vermutlich ihre Wirkung zeigt. Wahrscheinlich ist, dass sich der Konflikt in die Länge ziehen wird, denn die herrschende Elite ist entschlossen, ihre Position zu verteidigen. Assad selbst wird sogar zum weichen Flügel gezählt. Der schwache Assad selber ist ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Machtzentren des Regimes. Mit einem ägyptischen oder tunesischen Szenario ist also nicht zu rechnen.

Dennoch, die Bewegung zeigt zumindest an, dass das Regime nicht mehr weiter kann wie bisher. In der einen oder anderen Form wird das einfache Volk weiterhin für seine politischen und sozialen Rechte kämpfen und das Regime darauf reagieren müssen. Mittelfristig sind dessen Tage jedenfalls gezählt.

Die Lage ist für mehrere Szenarien offen. Doch risikolose Revolutionen gibt es nicht.

Thema
Archiv