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Euro: Der Sachzwang, die Farce und das soziale Massaker

25. Juni 2011

Die Entstehung der Euro-Krise in einem Absatz: Nach der Einführung der Einheitswährung hat die deutsche Bourgeoisie und ihre Regierung mit gewaltigem Lohndruck und Sozialraub eine Hyperkonkurrenzfähigkeit der Exportindustrie erreicht (von 2001 bis 2006 ist die Summe aller Löhne und Gehälter in Deutschland inflations-bereinigt gefallen.) Südeuropa, dessen Industriestruktur durch die Globalisierung ohnehin angegriffen war (deutsche Werkzeugmaschinen kann man nach China verkaufen, portugiesische Textilien weniger), konnte dabei nicht mithalten.


Und die herrschenden Eliten in Südeuropa begannen den abhängigen und untergeordneten Charakter der Wirtschaftsstrukturen zu verstärken: Eine Immobilienblase in Spanien, ein ausufernder und parasitärer griechischer Staatsapparat als Selbstbedienungsladen der Oligarchie. Ergibt insgesamt eine gewaltige Verschiebung relativer Konkurrenzfähigkeit. Das hat zu ausufernden Defiziten im südeuropäischen Außenhandel geführt, in der Zeit niedriger Zinsen und gewaltiger Liquidität vor der Finanzkrise war die Finanzierung dieser Defizite aber nicht besonders schwierig. Mit der Finanzkrise war die Liquidität weg und die Gesamtschulden wurden auf einmal als relativ hoch erkannt. In Griechenland betrafen diese Schulden den staatlichen Sektor, in Spanien ausschließlich die privaten Haushalte und die Banken, Portugal war eine Mischung. Italien hat die Schuldenbonanza ausgelassen, die sinkende Konkurrenzfähigkeit hat einfach zu extrem schwachem Wachstum geführt.
Eine insgesamt unhaltbare Position. Im Frühjahr 2010 stockt die Finanzierung und Refinanzierung der Schuldenberge – der Kaiser war nackt.
In ihrer grenzenlosen Weisheit haben die europäischen Eliten dann beschlossen die Kosten und die Last der Anpassung ausschließlich und vollständig auf die Steuerzahler der Defizitländer abzuwälzen. Die konnten sich am wenigsten wehren.

Wenn wir die Probleme des Euro ein bisschen auseinanderanalysieren, dann fallen drei Themenbereiche ins Auge, die natürlich miteinander verbunden sind.

Konkurrenzfähigkeit

Südeuropa fehlt Konkurrenzfähigkeit. Die kann ganz grundsätzlich über vier Methoden wieder hergestellt werden: Man kann Löhne und Preise in den Krisenländern senken. Das funktioniert über eine fortgesetzte Wirtschaftskrise, wahrscheinlich über ein Jahrzehnt. Für die Betroffenen eine Katastrophe. Nur weil die Löhne um 25 Prozent fallen, geht die Miete nicht mit hinunter.

Auf der anderen Seite kann man die relative Konkurrenzfähigkeit Griechenlands heben, wenn in Deutschland höhere Löhne bezahlt werden. Die deutsche Industrie und die „Wirtschaftsweisen“ der Bundesregierung halten das dann für die „Bestrafung der Fleißigen“ – das copyright für den Ausspruch hält der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz. Ein lustiger Kerl: die Fleißigen sind offensichtlich nicht jene, die das Zeug bauen, das die deutsche Industrie verkauft – wir würden vermuten, dass diese eine Bestrafung in Form von Lohnerhöhungen durchaus akzeptieren würden. Die „Fleißigen“ des Wolfgang Franz sind die Chefs jener, die wirklich arbeiten. Die dürfen natürlich nicht durch höhere Löhne für ihre Beschäftigten bestraft werden.

Nächste Möglichkeit für die Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit: Eine Steigerung der Produktivität samt Umbau der südeuropäischen Industriestruktur. Das geht nicht über gigantische Sparpakete, sondern mit großen staatlichen Investitionen und müsste von anderen EU-Staaten mitfinanziert werden. Den Griechen und Spaniern würde das ein soziales Massaker ersparen. In Zeiten, in denen die kapitalistischen Eliten durch die Sowjetunion unter Druck gesetzt wurden, nannte man ein solches (unvergleichlich größeres) Hilfsprojekt Marshall-Plan – in Zeiten wo die kapitalistischen Eliten weniger Druck verspüren, haben wir wahrscheinlich eine „Belohnung der Faulen“ und so etwas darf es nicht geben.
Letzte Möglichkeit ist der Austritt aus dem Euro und eine dann folgende Abwertung. Das wäre dann mit einem sofortigen Kollaps des Bankensystems verbunden, sowie wahrscheinlich höheren Inflationsraten. Für die Mittel- und Unterschichten aber sicher eine akzeptable Alternative.

Schuldenberge

Das nächste Problemfeld ist die Höhe der Gesamtschulden. Diese sind in einigen EU-Ländern problematisch geworden, neben Portugal, Griechenland und Spanien auch in Irland (bereits EU-Finanzhilfe beantragt), Italien und Belgien. Wegen der großen Verbindlichkeiten des Bankensystems in Osteuropa könnte man auch Österreich auf die Liste setzen, das aber im Augenblick nicht auf dem Radar der Finanzmärkte auftaucht. Staatsschulden (sowie die Schulden des Bankensektors, die seit der Finanzkrise routinemäßig dem Staat umgehängt werden) werden zu jenem Zeitpunkt problematisch, zu dem die Finanzmärkte vermeinen Schwierigkeiten zu erkennen. Zu diesem Zeitpunkt werden dann höhere Zinsen verlangt, und das macht die Schulden dann zu teuer.

Bei zu hohen Staatsschulden gibt es dann zwei Möglichkeiten: Man kann mit einem wütenden Sparprogramm versuchen die Neuverschuldung zu senken. Wenn aber die Sparanstrengungen zu groß sind, dann helfen sie nicht mehr wirklich, weil das staatliche Sparen die Wirtschaft umbringt und eine ruinierte Wirtschaft auch keine Steuern bezahlt. Gäbe es in Griechenland heute ein Wirtschaftswachstum, das dem deutschen oder österreichischen vergleichbar wäre, wäre das griechische Staatsdefizit angesichts der rabiaten Sparerei bereits jetzt relativ niedrig. Sicher unter fünf Prozent des BIP – damit wäre die griechische Schuldenkrise praktisch gelöst, die Gesamtschulden im Vergleich zum BIP würden bereits sinken. Nur wächst Griechenland nicht wie Deutschland. Die Sparmaßnahmen entziehen der Wirtschaft Nachfrage, diese sitzt in einer schweren Rezession fest, die Neuverschuldung liegt bei 10 Prozent des BIP und die Gesamtschulden im Vergleich zum BIP explodieren. Bei einer Arbeitslosigkeit von 16 Prozent fällt das Steuern eintreiben eben schwer. Dabei ist die Situation in Ländern mit zu geringer Wettbewerbsfähigkeit schwieriger. Belgien, Österreich oder Irland können oder könnten rückläufige Inlandsnachfrage zu größeren Teilen mit steigenden Exporten auffangen. Auch in Griechenland boomt der Export wegen der sinkenden Löhne und dem im Vergleich höheren Wachstum in anderen europäischen Ländern – eine jährliche Steigerung von über 10 Prozent. Aber er steigt von einer zu geringen Basis, um einen wirklichen Unterschied zu machen. 10 Prozent von wenig ist nicht sehr viel. Für eine schnellere Steigerung müsste man investieren können, das ist aber schwierig – weder in Griechenland noch in Spanien vergeben die ums Überleben kämpfenden Banken noch Kredite an Mittelbetriebe.

Die zweite Möglichkeit ist das Streichen der Staatsschulden, oder wenigstens eines Teils. Mit einiger Wahrscheinlichkeit führt das zum Zusammenbruch der jeweiligen Bankensysteme, die auf einem großen Teil der Staatsschulden sitzen. Ein Haufen Leute verliert sehr viel Geld. Kein Wunder, dass die Oligarchie erst einmal versucht die Bevölkerung kaputt zu sparen. Wenn eine solche Aktion nicht in Abstimmung mit großen internationalen Gläubigern passiert (wenn also EU und IWF einem – wenigstens teilweisen – Schuldenerlass nicht zustimmen und weiter Geld zur Verfügung stellen), dann bleibt dabei auch das Problem der Finanzierung des laufenden Staatsdefizits. Auch ohne Zinszahlungen ist etwa der griechische Staatshaushalt nicht ausgeglichen. Wenn man die Schulden streicht, dann wird es erst mal schwierig neues Geld zu bekommen – die Sparmaßnahmen müssten noch einmal verschärft werden. Für die griechische Bevölkerung mach so ein Schritt also nur Sinn, wenn gleichzeitig die Oberschicht zur Finanzierung des Staates gezwungen wird.

Finanzsektor

Für die Regierungen außerhalb der Defizitländer stellt die Stabilität des Finanzsektors eigentlich das größte Problem dar. „Lehman Brothers“ heißt der Präzedenzfall: Eine große Pleite kann Schockwellen auf den Finanzmärkten auslösen. In Griechenland haben deutsche und französische Banken mit 35 beziehungsweise 50 Mrd. Euro Verlustrisiko – das ist nicht mehr besonders viel, die Eurostaaten und die EZB haben ihnen schon einen guten Teil der Risiken abgenommen. Sollte aber Griechenland pleite gehen (und die Staatsschulden reduzieren müssen) könnten andere Länder ebenfalls unter Druck kommen. Weiter steigende Zinsen für die Staatsschulden Spaniens könnten unangenehm werden und eine italienische Pleite versenkt mit Sicherheit das Finanzsystem der Euro-Zone. Sprecher der Uni Credit verlautbaren daher: Sollte Griechenland zahlungsunfähig werden, würde „der Markt“ am nächsten Morgen Spanien „massakrieren“.

Noch ein Problem: Wenn die Ratingagenturen Griechenland als „credit event“ einstufen (Schulden werden nicht mehr bedient), dann löst das eine größere Menge von Kreditausfallsversicherungen („Credit Default Swaps“) aus. Damit werden im Augenblick Positionen abgesichert, aber auch auf eine Staatspleite gewettet. Kein Mensch weiß, wer die CDS hält und niemand weiß, wer dann zahlen muss – und ob einzelne Zahlungspflichtige dann nicht zusammenbrechen könnten. Das Risiko ist unberechenbar.
Klingt vertraut nach der Finanzkrise von 2008: Das Bankensystem hält zuwenig Eigenkapital, umgibt sich mit esoterischen Kreditderivaten, die insgesamt Risiken nicht schmälern, sondern völlig unberechenbar machen – und verlangt daher bei großen Turbulenzen immer wieder nach Rettung. Unter dem Schutz der staatlichen Rettungsschirme können dann die Vergütungen der Manager weiter erhöht werden.

Rettungspakete

Angesichts dieser Bedrohungsbilder stümpern die Euro-Regierungen durch die Krise. Zwei Dinge sind ganz oben auf der Agenda: die Faulen (Griechen und andere Sünder) müssen bestraft werden. Die Fleißigen (Oligarchen) muss man beschützen. Die Eurostaaten übernehmen die griechischen Staatsschulden. Die EZB rettet das griechische Bankensystem mit immer weiterer Liquidität, die griechische Oberschicht hebt diese Liquidität dann von ihren Bankkonten ab und bringt ihr Vermögen im Ausland in Sicherheit. Dann dreht die EZB durch, weil sie bei einem Zahlungsausfall Griechenlands ebenfalls Geld verliert (die EZB sitzt auf griechischen Staatsanleihen von 70 Mrd.), von den Euro-Staaten ihrerseits gerettet werden müsste und dabei das Gesicht verliert. Deshalb darf man seit Juni 2011 über einen Schuldenschnitt für Griechenland nicht einmal mehr diskutieren, ohne dass Notenbankpräsident Trichet oder sein Nachfolger Bini Snaghi die Apokalypse heraufbeschwören.

Die Absurditäten gehen weiter: Die irischen Banken müssen vom Staat gerettet werden, damit die deutschen, britischen und französischen Banken nicht Pleite gehen. Dann ist der irische Staat pleite und muss von den Steuerzahlern der restlichen Euro-Staaten gerettet werden. Die faulen Iren müssen dann ihre Hausaufgaben erledigen und schrecklich bestraft werden, mit drakonischen Einsparungen.

Aus der Logik der Oligarchie macht das vielleicht noch Sinn, besonders stümperhaft ist dann aber die Zusammenstellung der Rettungspakete. Aus Populismus sind die Summen immer so knapp, dass ein Zusammenbruch gerade noch verhindert werden kann. Aber niemals groß genug, dass die Finanzmarktpanik einmal vorbei wäre und die „Ansteckungsgefahren“ abklingen würden. Bei jeder neuen griechischen Turbulenz ziehen auch die Zinsen für Spanien und Italien in die Höhe.

Die tatsächlichen Summen der Rettungspakete sind bisher nicht besonders groß: Österreich hat bisher etwa 2,3 Mrd. an den griechischen Staat verborgt (nicht verschenkt), die Hypo Alpe Adria bedeutet dagegen ein Ausfallsrisiko von 20 Mrd. und das Bankenpaket von 2008 war mit Risiken über 120 Mrd. verbunden. Nüchternes Krisenmanagement verträgt sich scheinbar etwas schlecht mit chauvinistischem Griechen-Bashing.

Dabei ist eines klar: Je länger die europäischen Regierungen keine klare Linie finden (sofortiger Schuldenschnitt, oder endgültige Übernahme der griechischen Staatsschulden durch die Euro-Zone), um so weiter steigt die Wahrscheinlichkeit einer unkontrollierbaren Entwicklung. Die griechische Oligarchie hat längst ihr Geld im Ausland in Sicherheit gebracht – was aber, wenn es einen allgemeinen „Bankrun“ gibt, wenn Sparer und Unternehmen massenhaft beginnen ihre Bankguthaben abzuheben? So etwas bringt jedes Bankensystem um, wenn nicht andere Banken oder die Zentralbank aushelfen (denn das Geld ist ja zu größten Teilen nicht auf der Bank, sondern längerfristig verliehen). Wird die EZB bereit sein praktisch unbegrenzt Liquidität bereitzustellen – und gegen welche Sicherheiten? Könnte sein, dass am Ende des Tages die Euro-Zone nicht mehr nur die griechischen Staatsschulden übernehmen muss, sondern auch alle Bankverbindlichkeiten garantieren muss. Heißt: Je länger man zögert, desto teurer wird es.

Sein müsste das alles nicht. Auch nicht im Kapitalismus. Etwas weniger verbohrte, verkommene und ideologische Eliten hätten ein besseres Paket zusammengebracht. Eine ordentliche (kapitalistische) Regulierung des Finanzsektors, mit ordentlichen Anforderungen für das Eigenkapital (Anfang des 20. Jahrhunderts haben Banken 20 Prozent Eigenkapital vorgehalten) und einem Verbot von esoterischen Derivaten – damit die Ritter der Marktwirtschaft nicht ständig vom Staat gerettet werden müssen. Eine ordentliche (kapitalistische) Nachfragesteuerung in Deutschland (und dem Rest der nordeuropäischen Überschussländer) – hat es auch schon mal gegeben. Ein (kapitalistischer) Marshallplan für Südeuropa. Kapitalverkehrskontrollen (Beschränkungen, wie viel Geld von Konten abgehoben und in das Ausland transferiert werden darf), um die Liquidität der Banken aufrecht zu halten – üblich bis in die 1970er Jahre. Eine Finanzierung von Staatsschulden über Zwangsanleihen für Vermögende, dort wo die Zinsen sonst zu hoch werden – alles schon gehabt. Oder gemeinsame Anleihen der Euro-Zone um die Märkte zu beruhigen. Und ein Streichen von Staatsschulden auf ein Maß, dass sie letztlich bedienbar macht.

All das bedeutet aber letztlich, dass die Oligarchie die Krise mit bezahlen müsste und darauf hat sie keine Lust. Ein bisschen ausholend – denn diese Aussage trifft nicht nur für Europa zu: Zur längerfristigen Überwindung der kapitalistischen Krise bräuchte es ein Minimum an sozialem Ausgleich. Und das scheint uns nicht in Sicht.

Eine solche Politik wäre den Elitenprojekten der letzten Jahre diametral entgegen gesetzt: Umverteilung von Unten nach Oben, Sakralisierung der Finanzmärkte, Peripherisierung Südeuropas und deutsches Exportwunder. Wir würden daher davon ausgehen, dass die kapitalistischen Eliten ihre Krise nicht ordentlich beherrschen werden. Angesichts der sagenhaften Stümperei ist im Sommer 2011 ein „griechischer Unfall“ möglich, der die Schockwirkungen der Lehman-Pleite in den Schatten stellt. Und auch wenn der Unfall ausbleibt, weil ausreichend Geld lockergemacht wird, scheint es für die südeuropäischen Krisenstaaten kaum eine Perspektive jenseits der fortgesetzten sozialen Katastrophe zu geben.

Wir würden empfehlen nicht darauf zu warten, ob die Oligarchie noch zu Verstand kommt. Ein Streichen der Staatsschulden, Zwangsanleihen und Kapitalverkehrskontrollen, ein Investitionsprogramm unter Kontrolle der Allgemeinheit und echten sozialen Ausgleich bekommt man im erbitterten Widerstand gegen die Eliten.

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