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Ägypten: Revolution wieder am Tahrir-Platz

Repressionspolizei ist zurück


1. Juli 2011
Mohammed Aburous

Der Kairoer Tahrir-Platz ist wieder von Protestierenden dauerbesetzt. Nach der Rückkehr der verhassten Polizei der „Zentralsicherheit“ und derer gewaltsamen Umgang mit Demonstranten, wollen letztere auf der Straße bleiben, bis Forderungen des Volksaufstands erfüllt werden. Von der Aktion distanzierten sich diesmal einige wesentliche politische Kräfte. Jedoch sind die Revolutionäre wieder am Tahrir-Platz.


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Eine Lange Nacht am Tahrir

In der Nacht von 28. auf den 29. Juni kam es am Tahrir-Platz und im Zentrum Kairos erneut zu Straßengefechten zwischen ägyptischen Aktivisten und den zurückkehrenden verhassten Truppen der „Zentralsicherheit“.
Begonnen haben die Auseinandersetzungen, als eine Gruppe von Angehörigen der Märtyrer des Aufstands von Personen in Zivil angegriffen wurde und am Betreten einer Gedenkfeier für die Märtyrer gehindert wurde. Bei der Feier wurde gefordert, die Verantwortlichen am Mord an mehr als 800 Demonstranten zur Verantwortung zu ziehen.
Die Angehörigen der Märtyrer und hunderte Aktivisten bewegten sich in Richtung Innenministerium. Nach heftiger Auseinandersetzung vor dem Ministerium beschlossen die Demonstranten, zum Tahrir-Platz zu ziehen. Die Kundgebung am Platz wurde von tausenden Polizisten der „Zentralsicherheit“ angegriffen. Polizisten und Schläger versuchten die Kundgebung gewaltsam aufzulösen. „Es regnete Tränengasbomben“ beschrieb ein Teilnehmer die Szene am Tahrir. Über Nacht wuchs die Anzahl der Demonstranten zu Tausenden, als die Nachricht von der Rückkehr der „Zentralsicherheit“ verbreitet wurde. Die Auseinandersetzungen dauerten die ganze Nacht, bis das Innenministerium seinen Rückzugsbefehl an die Polizisten gab. Laut Angaben des ägyptischen Gesundheitsministeriums gab es über eintausend Verletzte, von denen die meisten an Erstickungen bzw. Vergiftungen durch Tränengas litten. 49 Aktivisten wurden verhaftet und zu 15 Tagen Untersuchungshaft verurteilt.
Ein zusätzliches Motiv für die schnelle Mobilisierung war ein beängstigendes Kommunique des Innenministerium zum Beginn der Proteste, der die Protestierende als Schläger bezeichnete und ein falsches Bild der Ereignisse wiedergab, das an die Rhetorik der Mubarak-Ära erinnerte.
Ägyptische Menschenrechtsgruppen verurteilten die Anwendung exzessiver Gewalt seitens der Polizei. Die ägyptische Journalistin Nouara Nagm beschrieb die Vorgehensweise der Polizei als bloße Rache. „Sie wollen sich für ihre Demütigung im Jänner rächen“.
Andere Beobachter bringen diese und den Angriff der Schläger mit dem zuvor angekündigten Gerichtsurteil in Verbindung, die Kommunalräte aufzulösen. Dort dominierte noch die Partei des alten Regimes.
Seit dem ersten Kommunique ähnelte die Reaktion des regierenden Militärrats jener des Regimes unter Mubarak: eine Verdrehung der Tatsachen, Verschwörungstheorien, Verharmlosung der Opferzahlen und falsche Behauptungen. Das Regime war erst nach acht Stunden Auseinandersetzungen gezwungen, die Polizei abzuziehen. Die Ankündigung eines „Untersuchungskomitees“ durch das Regime stellt nichts Neues dar, besonders wenn sogar die bekannten Verantwortlichen an den Morden vom Jänner noch immer nicht hinter Gitter sind.

Die Ereignisse lenkten jedenfalls die Aufmerksamkeit auf die Familien der Opfer und den Umgang der Staatsorgane mit den Angehörigen der Ermordeten und mit den durch Verletzungen Behinderten, die keine Behandlung bekommen. Unter diesem Druck stellte der Militärrat die Gründung eines Fonds in Aussicht, der sich um diese Gruppe von Betroffenen kümmern soll.

Der Militärrat, eine neue Auflage des alten Regimes

Der Militärrat hat bisher keinerlei vertrauenerweckende Maßnahmen ergriffen. Vielmehr nützt er die Differenz innerhalb der Bewegung, um das alte Regime wiederherzustellen. Er reagiert auf den Druck der Massen, nimmt jedoch die Geste zurück, sobald die Lage sich beruhigt. Auch die ersten populären außenpolitischen Gesten (wie etwa das Einfrieren des Erdgasexports, Lockerung der Gaza-Blockade, Verbesserung der Beziehungen mit dem Iran und dem Sudan) wurden sukzessive zurückgenommen. Auch in der Lohnfrage hat sich bis auf die Lohnerhöhungen für Angehörige der Armee und der Polizei wenig getan.

Hingegen zeigte die Erlassung von Repressionsgesetzen per Dekret (Parteiengesetz, Schlägergesetz und Streikverbot) den autoritären wirtschaftsliberalen Charakter des Regimes in einer neuen Auflage. Offiziere, die sich während des Volksaufstands im Jänner und Februar den Massen angeschlossen hatten, wurden vor Militärgerichten zu langen Haftstrafen verurteilt.

Revolution als Waisenkind

Während sich die Moslemischen Brüder und einige liberale Gruppen von den Ereignissen distanzierten und auf die Ergebnisse der angekündigten offiziellen Untersuchung warten möchten, riefen mehrere Basisgruppen der ägyptischen Demokratiebewegung zu erneuter Dauerkundgebung am Tahrir-Platz. Mittlerweile ist der Platz wieder besetzt. In Abwesenheit der Polizei regulieren die Demonstranten den Autoverkehr am Platz. Eine Blockade des Verkehrs wäre ein guter Vorwand für das Regime, die öffentliche Meinung für eine Räumung der Demonstranten einzunehmen.

Ein Sprecher der Moslemischen Brüder wies den Aktivisten die Schuld zu und warf den Demonstranten vor, sich von „Agitatoren des alten Regimes“ provozieren und verleiten zu lassen, um „das Verhältnis zischen Volk und Sicherheitskräften zu verschlechtern“. Der den Moslemischen Brüdern nahe stehende Präsidentschaftskandidat bezeichnete bei einer Rede in der südlichen Industriestadt Mahala Demonstrationen als sinnlose Zeitverschwendung.
Aus dem Nichts tauchten auch mehrere „Jugendinitiativen“ auf, die sich von der Aktion distanzierten und die Auflösung der Kundgebung fordern. Demonstranten am Tahrir werden sowohl vom Staat als auch von einem Teil der oppositionellen Kräfte als „Schläger“ bezeichnet.

Dieselben Fronten der Debatte über jene Mobilisierung und über den Sinn von Straßenprotesten zeigen sich heute in Hinblick auf die Kundgebung am Tahrir-Platz.
Seit dessen gewaltsamer Räumung am 8. April und dem Referendum zur Verfassungsänderung ist die ägyptische Opposition in zwei Lager gespalten. Einerseits ziehen die Moslemischen Brüder und ein Teil der liberalen Kräfte eine Deeskalation mit dem Militärrat vor und setzen auf die angekündigten Septemberwahlen, wo wieder eine Zivilregierung entstehen soll.

Auf der anderen Seite verlangen die politischen Kräfte des Aufstands sofortige sichtbare Reformen, wie etwa die Bestrafung der für die Repression Verantwortlichen, Korruptionsbekämpfung, Freilassung der Gefangenen, Entschädigung der Opfer sowie tiefgreifende wirtschaftliche Reformen. Dazu kommen auch die Blockade von Gaza und das Erdgasabkommen mit Israel, das von der korrupten Mubarak-Gruppe unterzeichnet wurde.

Während die erste Gruppe alle Themen auf einen Zeitpunkt nach den Wahlen verschieben möchte, will die zweite der Revolution Legitimität verleihen und sie vor einer Gegenbewegung seitens des Regimes beschützen. Sie fordert eine konstituierende Versammlung und eine neue Verfassung.

Diese Debatte ist jener der Mobilisierung vom 27. Mai ähnlich. Damals hatte eine Großdemonstration am Tahrir-Platz stattgefunden, welche die Durchsetzung der Forderungen des Volksaufstands gefordert hatte. Die Demonstration hatte trotz den expliziten Aufrufen der Moslemischen Brüder, nicht teilzunehmen, stattgefunden. Dieses Ereignis hatte die spezifische Größe jeder Seite gut reflektiert.

Der „geplante“ neue Aufstand ist spontan ausgebrochen

Die geplante Mobilisierung vom 8. Juli, die ursprünglich von den politischen Kräfte ausgerufen wurde, die am 25. Jänner am Tahrir-Platz waren, wurde somit von den Ereignissen überholt.
Der Tahrir-Platz ist im Moment von entschlossenen Gruppen besetzt, die einer neu ausgerüsteten und rachsüchtigen Sicherheitspolizei gegenüber stehen. Hinter dieser Polizei steht ein Militärrat, der das Alte möglichst bewahren will, ein Staatsapparat, der den Volksaufstand entführen möchte und sich ohne Veränderung zu reproduzieren versucht. Dazu kommen jetzt Teile der Opposition, die mit dem Abgang Mubaraks das Ziel des Aufstands als erreicht sehen. Sie würden das alte Regime beibehalten, wenn sie zu einem Teil davon werden.
Dass der Volksaufstand von neuem ausbricht, dass haben mehrere inländische und ausländische Beobachter prophezeit. Dies kann jedoch früher kommen als man glaubte.

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