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Saudi Arabien und die Medienblasen des US-Justizministeriums

Über das angebliche Mordkomplott des Iran gegen den saudischen Botschafter in den USA


1. November 2011
Prof. Madawi Rasheed, London

Die saudische Führung glaubt, nur ein Golfkrieg mit dem Iran kann sie aus ihrer jetzigen existenziellen Krise retten. Jedoch kann Saudi-Arabien diese Schlacht nicht ohne die US-amerikanische und israelische Unterstützung führen. Eine solche Konfrontation könne außer Kontrolle geraten und für Saudi-Arabien und die kleinen Golfstaaten einen unvorsehbaren Ausgang haben.


Die Anschuldigungen des US-Justizministeriums über die Verwicklung des Iran in ein Komplott zur Ermordung des saudischen Botschafters in Washington sind unklar und nicht überzeugend. Denn sie beruhen auf einem Szenario, in dem iranisch-amerikanische Agenten und mexikanische Drogenschmuggler in ein und demselben Film zusammengestellt sind, der dem saudischen und israelischen Publikum vorgeführt werden soll. Die Geschichte bettelt in der internationalen und europäischen Gesellschaft förmlich um Glaubwürdigkeit. Parallel dazu wird die öffentliche Meinung auf einen möglichen neuen Konflikt am Golf eingestimmt, besonders nachdem die iranisch-saudischen Beziehungen einen Tiefpunkt erreicht haben. Grund dafür sind die Veränderungen durch den „arabischen Frühling“. Die Saudis haben mit Ägypten ihren wichtigsten Alliierten in der Region verloren, ebenso ihre Glaubwürdigkeit in Bahrain und Jemen. Ihr Versuch, die historische Wende zu ihren Gunsten zu kanalisieren, indem sie Petrodollar an lokale Agenten pumpen, ist gescheitert. Die Veränderungen auf der arabischen politischen Landkarte werden bestimmt nicht zugunsten der verbleibenden Repressionsregime sein.

Die saudische Führung glaubt, nur ein Golfkrieg mit dem Iran kann sie aus ihrer jetzigen existenziellen Krise retten. Jedoch kann Saudi-Arabien diese Schlacht nicht ohne die US-amerikanische und israelische Unterstützung führen. Eine solche Konfrontation könne außer Kontrolle geraten und für Saudi-Arabien und die kleinen Golfstaaten einen unvorhersehbaren Ausgang haben.

Die unbewiesenen Anschuldigungen der USA an den Iran sind ein Ausdruck der Hilflosigkeit von Washington selbst und seiner saudischen Verbündeten gegenüber den überraschend gekommenen Aufständen in der Region.

Wenn der Iran tatsächlich hinter dem Mordkomplott stünde, müsste man sich die Frage stellen, wie naiv er im Zusammenhang mit den Beziehungen zu arabischen Ländern und insbesondere zu Saudi-Arabien ist. Wie würde ein Mord am saudischen Botschafter dem Iran nützen? Ist dieser Botschafter zur ausschlaggebenden Person geworden, der die Geschicke der saudischen Politik lenkt und dessen Liquidierung eine radikale Veränderung der saudischen Verhältnisse bis hin zum Sturz des Regimes herbeiführen könnte?

Es wäre sehr naiv zu glauben, dass der Iran die Leichtsinnigkeit hat, gegen eine Person zu verschwören, die nicht mehr als ein ersetzbarer Funktionär des saudische Regimes ist. Der Iran hat wichtigere Karten in der Hand, die gegen das saudische Regime eingesetzt werden können, ohne einen solchen internationalen Skandal und weitere Sanktionen zu provozieren. Deswegen würde sich der Iran von einer solchen politisch nutzlosen Aktion fernhalten, die vielmehr nach einem Gefallen der USA an das verzweifelte saudische Regime aussieht.

Die Krise in der Region findet vor dem Hintergrund einer ausweglosen internen Lage in Saudi-Arabien statt. Dem Regime mangelt es aufgrund des hohen Alters des Königs und seiner Stellvertreter an einer dynamischen Führung, die fähig wäre, sich mit den internationalen und nationalen Krisen auseinanderzusetzen. Daher gibt es auch viele Spekulationen über eine „versteckte Hand“, die das Tagesgeschäft sowie die Sicherheits- und Außenpolitik lenkt.
Auf gesellschaftlicher Ebene nimmt die Spannung sichtbar zu. Die Fragen der politischen Gefangenen, Arbeitslosigkeit, Korruption lösen vielerlei Proteste aus. Trotz der finanziellen und politischen Beruhigungsspritzen werden diese Stimmen lauter. Anstatt diese Fragen in einer umfassenden Reformagenda zu behandeln, antwortet das Regime mit Repression in der Form von Verhaftungswellen und Anschuldigungen, für den Iran zu arbeiten. Dieser Diskurs, der die internen Krisen exportiert und mit „ausländischen Verschwörungen“ verbindet, ist auf den Versuch des Regimes zurückzuführen, vor dieser noch nie dagewesenen Spannung zu flüchten.
Die nicht belegte Geschichte des Mordversuchs am saudischen Botschafter kann daher als eine armselige Medienblase betrachtet werden. Die USA selbst befinden sich in einer politischen und sozialen Krise und stehen vor Neuwahlen. Sie versuchen nicht nur ihren saudischen Verbündeten aus ihrer internen Krise, sondern auch sich selbst aus der Ausweglosigkeit in der arabischen Region und auch im Rest der Welt zu helfen. Während die saudische Führung heute eine interne politische und Führungskrise zu bewältigen hat, stehen die USA vor der internationalen Herausforderung, nach einem Jahrzehnt aus außenpolitischem Versagen in vielerlei Regionen (Afghanistan, Irak, Palästina, Pakistan) ihre Führungsrolle zu sichern. Dazu kommen auch die internationalen Veränderungen. Die unipolare Welt der USA kommt durch neue Kräfte wie Russland und China zusehends unter Druck. Washington will an diesen Wechsel nicht glauben, der durch die wirtschaftlichen Verhältnisse zustande kommt und nicht durch die Militärgewalt, die sowohl in den Dörfern von Afghanistan als auch in den arabischen Hauptstädten ihre Niederlage erlebt.

Kann das noch nicht belegte Mordkomplott die untergehende Großmacht und ihre Verbündeten aus dieser existenziellen Krise führen? Die Nachrichten vom iranischen Komplott bleiben ein mediales Instrument für einen verzweifelten Versuch von Washington und Riad, die internationale Öffentlichkeit für Projekte zu gewinnen, die lediglich den Interessen der befreundeten Regime dienen.

Werden diese Anschuldigungen mit glaubhaften Beweisen belegt, so hat das iranische Regime ebenfalls einen Tiefpunkt im strategischen Denken erreicht. Das iranische Regime weiß, dass Mordversuche an Botschaftern nur zu verstärkter internationaler Isolation und potentiell zu Kriegen führen. Jedoch ist es schwer vorstellbar, dass es die Naivität besitzt, eine filmreife Aktion zu planen, in der die Hauptdarsteller der saudische Botschafter, ein Restaurantbesitzer und ein mexikanischer Drogenschmuggler sind.

Dennoch finden solche amerikanischen Filme ihr Echo im saudischen Inland. Schuld daran ist ein Medienapparat, der sein Publikum verachtet, nichts außer politische Propaganda vermittelt und für politische Projekte wirbt, die der Region bislang nur Tragödien und blutige Kriege gebracht haben.

Ähnliche Konfrontation mit dem Iran wurde schon in der Vergangenheit versucht. Sie brachten Saudi-Arabien keine Siege, sondern die Ausblutung der wirtschaftlichen Ressourcen und die Bedrohung der regionalen Sicherheit.

Jede militärische Konfrontation unter US-amerikanischem und israelischem Schirm wird die Region tiefer in Schwierigkeiten treiben, von denen weder Erdölquellen noch die regionale und internationale Wirtschaft verschont bleiben werden.

Besonders Saudi-Arabien ist für diese Art Konfrontation nicht vorbereitet und schon gar nicht mit der jetzigen Führung und angesichts der gespannten innenpolitischen Situation. Saudi-Arabien muss endlich zur Überzeugung kommen, dass die alten Fehden zwischen den USA und dem Iran, die vor dreißig Jahren mit der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran begannen, uns nicht betreffen. Die nationalen Interessen des Landes sollen über den US-Fehden und den Provokationen des Irans stehen. Wenn selbst die USA und der Iran wie im (Falle des Irak bewiesen) koexistieren können, so sollen sie auch andere Koexistenzformeln finden, ohne uns in den Abgrund zu ziehen und ohne eine Konfrontation in unserem Land und auf Kosten unserer Sicherheit und Ressourcen.

Die saudische Führung muss sich vom iranischen Komplex befreien. Dies ist außenpolitisch nur auf diplomatischem Wege und innenpolitisch durch eine Versöhnung mit der Gesellschaft möglich, bei der auch dem konfessionellen Diskurs ein Ende gesetzt wird.
Bedauernswerterweise ist die jetzige saudische Führung unfähig, sich auf ein neues Zeitalter hin zu bewegen, besonders weil ihre internen Krisen zunehmen und ihre praktisch gelähmte Spitze dem vergangenen Jahrhunden angehört. Mit den brennenden arabischen Themen kann diese Führung nur einerseits mit Verschwörungen und andererseits mit dem Glauben an sie agieren. Sie glaubt, dass ihre Medienimperium, das die filmreifen Darstellungen der USA über Mordkomplotte übernehmen in der Lage sind, die interne Spannung gegen einen Außenfeind zu kanalisieren, der angeblich unsere Sicherheit auflauert und neuerdings versucht, unsere Botschafter im Ausland zu schnappen.
Es ist fraglich, ob diese Führung eines Tages aufwacht und die Landesinteressen statt jener der USA beachten würde.

Prof. Madawi Dasheed ist eine Schriftstellerin und Akademikerin von der Arabischen Halbinsel.

Aus dem Arabischen von Ali Nasser

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