Die Euro-Zone hat zwei miteinander verbundene Probleme. Nummer eins: die Höhe der Schulden in Südeuropa, nicht nur jene der Staaten, sondern auch jene des Bankensystems. Nummer zwei: Die verloren gegangene Konkurrenzfähigkeit der peripheren Volkswirtschaften, die es schwierig macht die aufgelaufenen Schulden zu bedienen.
Auf einer Vielzahl von Krisengipfeln haben sich die Regierungen der Euro-Zone für folgende Vorgehensweise entschieden: Südeuropa bekomme keine Schulden erlassen, alle müssen sparen und als Überbrückungsfinanzierung für Notfälle gibt es einen Euro-Rettungsschirm.
Das hat nicht besonders gut funktioniert. Wenn alle gleichzeitig sparen, gibt es kaum eine Möglichkeit die relative Konkurrenzfähigkeit Spaniens, Griechenlands oder Italiens zu heben. Wenn alle sparen, gibt das außerdem einen verallgemeinerten Wirtschaftseinbruch (am schlimmsten in Südeuropa), das macht die Bedienung relativ hoher Schulden erst recht schwierig. Und im Rahmen des allgemeinen Abschwungs muss dann immer schärfer gespart werden: Für Italien wird etwa eine Reduzierung staatlicher Ausgaben um fünf Prozent des BIP gefordert – das geht niemals ohne schwere Rezession und damit auch fallende Steuereinnahmen. Im Rahmen eines solchen Szenarios schrumpfender Wirtschaft ist der Panik-Modus der Finanzmärkte durchaus verständlich. Merke: „Der Markt“ fordert ununterbrochen Sparpakete und Bestnoten der Rating-Agenturen, gerät dann aber in Panik, wenn sich die Politik bemüht seinen Forderungen nachzukommen. Als Art Treppenwitz wird Österreich just in dem Moment von der Finanzmarktpanik erfasst, als die Regierung eine „Schuldenbremse“ im Verfassungsrang verkündet. „Schuldenbremse zu spät“ kann dann die Presse schreiben (und noch mehr Sparpaket, noch schneller fordern) – aber in Wahrheit muss jedem klar sein, dass Österreich kein Problem laufender Defizite hat, sondern ein Problem mit der Exponierung seines Bankensystems gegenüber Italien und Osteuropa. Gerade gegenüber Osteuropa sind da ein paar neoimperiale Ambitionen gründlich in die Hose gegangen. Dieses Problem wird nicht verschwinden, auch wenn man Beamte und Frühpensionisten verhungern lässt, oder wundersame Verwaltungs-„Strukturreformen“ durchführt. Österreich hat kein Schulden-, sondern ein Austeritätsproblem – die Sparerei bringt die Banken um, und die wollen dann wieder gerettet werden.
Am Dienstag, den 15. November ist der erste Plan der Euro-Zone gescheitert. Mit der kommenden Abstufung von Frankreich, Österreich und wohl noch einigen anderen, wird der „Euro-Rettungsschirm“ sich nicht mehr finanzieren können. Die Abstufung durch die Rating-Agenturen ist sicher, da braucht man keine amerikanische Verschwörung bemühen: AAA bedeutet, dass es praktisch unmöglich ist, dass solche Schulden ausfallen. Wenn die jetzige Entwicklung einfach weiterläuft, ist es nicht nur nicht unmöglich, sondern sogar äußerst wahrscheinlich, dass Frankreich und Österreich Pleite gehen. Die Marktpanik ist ja auch durchaus begründet.
Jetzt gibt es ein paar Möglichkeiten. Entweder man macht weiter wie bisher, spart alle kaputt, geht dann pleite. Die Euro-Zone zerfällt dann ziemlich sicher. Angesichts des geistigen Zustands der europäischen Oligarchie nicht unwahrscheinlich.
Oder man macht das, was „der Markt“ wirklich will (im Gegensatz zur ideologischen heißen Luft): Man lässt die EZB etwa 1000 Mrd. Euro drucken, damit Staatsanleihen kaufen und zusätzlich glaubhaft versichern, dass es, wenn nötig, noch ein paar Billionen gibt. Wahrscheinlich führt das nicht einmal zu einer besonders höheren Inflation. Die USA haben noch mehr gedruckt – nichts passiert. Japan druckt seit einem Jahrzehnt Geld, hat ein grottenschlechtes Rating – dafür keine Inflation und die niedrigsten Zinsen für Staatsschulden aller Industriestaaten. Was der Markt auch noch akzeptiert, wären Sondersteuern auf Geld und Immobilienvermögen in Italien und Spanien von vielleicht 20 oder 30 Prozent des BIP (die privaten Geldvermögen betragen ein Vielfaches der Wirtschaftsleistung). Beides passt nicht zur wirtschaftspolitischen Orthodoxie, angesichts des Abgrundes vor dem die Euro-Zone steht, würden wir dennoch vermuten, dass der Selbsterhaltungstrieb der Oligarchie über ihre Ideologie siegt. War bisher meist der Fall.
Das entscheidende Problem der Euro-Zone, die auseinander fallende Konkurrenzfähigkeit der Volkswirtschaften, lässt sich damit allerdings nicht lösen, oder nur, wenn die Notenpresse südeuropäische Defizite bis in alle Ewigkeit finanziert – ausgeschlossen, dass Deutschland so etwas akzeptiert. Was immer an kurzfristigen Rettungsaktionen durchgeführt werden kann, langfristig gibt es nur zwei Alternativen. Entweder die Euro-Zone explodiert, oder die Eliten stimmen einem Mindestmaß an sozialem Ausgleich zu. Das bedeutet kräftige Lohnerhöhungen in Nordeuropa, eine Abkehr von der Exportorientierung und eine koordinierte nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik. Dass der Selbsterhaltungstrieb der Oligarchie so weit geht, das darf bezweifelt werden. Einige äußerst turbulente Jahre stehen bevor.