Große Aufregung: Österreich hat „sein Triple-A“ verloren; und Politiker wie Journalisten betragen sich wie hysterische Eltern zu Schulschluss. Aber ungleich diesen, versuchen sie uns gleichzeitig hinters Licht zu führen. Denn ihnen ist dies durchaus willkommen, man kann sie vereinzelt geradezu lächeln sehen – sie versuchen es für ihre Politik zu nützen. Dabei lügen sie schlichtweg. Denn was steht tatsächlich in der Aussendung von Standard &Poor’s (S&P)?
Das Rating und seine Herabstufung sind ausschließlich von den negativen Effekten der Mitgliedschaft in der Eurozone bestimmt. S&P betonen ausdrücklich die in ihrer Sicht positiven Punkte: die stabile Regierung und die vorhersehbare Wirtschaftspolitik. Und sie heben darüber hinaus hervor: „Wir betrachten Österreichs Wirtschaft als wohlhabend, diversifiziert und hoch wettbewerbsfähig. Wir erwarten auch, dass sich der Lauf der fiskalischen Konsolidierung beschleunigen wird.“
Aber:
„Die Ergebnisse des EU-Gipfels vom 9. Dezember 2011 und die darauf folgenden Erklärungen der Entscheidungsträger lassen uns glauben, dass dieses Abkommen keinen wirklichen Durchbruch darstellt. … Wir glauben schließlich, dass es die Ursache der Krise nur teilweise erkennt, wenn es die gegenwärtigen Schwierigkeiten auf fiskalische Leichtfertigkeit (profligacy) an der Peripherie der Eurozone zurückführt. Aus unserer Sicht sind die Finanzprobleme der Eurozone ebenso sehr die Folge äußerer Ungleichgewichte und der Auseinanderentwicklung in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen dem Kern und der Peripherie. Wir glauben daher, dass ein Reformprozess ausschließlich auf Grund eines Austeritätsprogramms kontraproduktiv ist, da die Inlands-Nachfrage wegen der wachsenden Sorge um den Arbeitsplatz und das verfügbare Einkommen sinken wird und damit die Steuerbasis aushöhlt.“ Die Agentur argumentiert also in fast links-keynesianischer Weise gegen die „Spar“-Hysterie und das konzertierte Rückfahren des Konsums.
Und im Blick auf Österreich heißt es weiter: „Die Eurozone mit ihrem Kontext könnte den Prozess {der Fiskalkonsolidierung] scheitern lassen. … Österreich hat stabile Zahlungsbilanz-Überschüsse. Nach unserer Meinung sind die Risiken der Außenverbindlichkeiten bescheiden und kommen hauptsächlich vom Bankensektor, der sich in Mittel- und Osteuropa stark exponiert hat. Aus unserer Sicht könnten die Banken von negativen Entwicklungen bei den Haupthandelspartnern sowie von ihren Investitionen dort, etwa in Italien und Ungarn, leiden. Weitere Regierungshilfe für sie wird u. U. erforderlich.“
So weit, so schlecht. Aber der Bundeskanzler, sein Vize und die unsägliche Fekter dürfen natürlich nicht bekanntmachen, was S&P wirklich sagen. Diese fast sozialdemokratische Sorge wegen des Abwürgens der Wirtschaft richtet sich zu deutlich gegen die EU und den Euro. Der beginnt nun auch den Kunden von S&P zu schaden. So nutzt es also die österreichische Regierung für ihre Zwecke. Fekter konnte sich ihre Freude bei der ersten Stellungnahme ja nicht wirklich verbeißen. Und auf ihre Kettenhunde in der Journaille können sie sich verlassen. Die sind auch zu faul, um die kurzen Texte wirklich zu lesen. Und so gibt es von der „Presse“ bis zu „Österreich“ nur einen Tenor: „Mehr Sparen bitte. Das wollen alle“ (Fellner). In der Aussendung von S&P steht zwar das exakte Gegenteil, aber „Österreich“ hat es ja amtlich, dass es seine Nachrichten oft erfindet…
Nicht etwa, dass die Agentur Moses und die Propheten ist. Einmal abgesehen von ihren Interessen – sie ist schließlich im Dienst der Banken unterwegs – sind die Herren Krämer und Gill auch schlampig und auf ihre Weise politisch: Die Aussendung zur BRD stimmt mit der zu Österreich in zwei Dritteln des Textes, dem, der sich auf die Eurozone bezieht, wortwörtlich überein. Dann aber heißt es: „Unsere Sicht gibt die lange Tradition vorsichtiger Finanzpolitik [in der BRD] wieder. Auch glauben wir, dass die deutsche Wirtschaft ihre Fähigkeit, schwere wirtschaftliche und finanzielle Schocks zu absorbieren, gezeigt hat. … Diese Stärken bleiben und balancieren aus unserer Sicht das schwächer als erwartete europäische politische Umfeld aus.“ Dass, im Vergleich, die BRD bis auf 2010 durchwegs schlechter gefahren ist als Österreich, und nicht nur statistisch wegen der Ex-DDR, sondern auch im Westen; dass Österreichs Haupthandelspartner keineswegs Ungarn oder Italien ist, sondern mit gewaltigem Abstand eben die BRD, dazu würde ein Blick auf die Statistik ausreichen. Nur fehlt, wie es scheint, bei einem kleineren Land Interesse und Zeit, wenn es gerade nicht bankrott geht.
Es gibt allerdings einen Punkt, der dabei durchaus von erheblicher Bedeutung ist: Das Rating der BRD ist ebenso wie jenes der USA eine ganz eminent politische Angelegenheit. Die USA sind das politische Bollwerk des globalen Kapitalismus, auch wenn sie in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit seit Jahrzehnten nach hinten rutschen. Aber die Financiers und die Spekulanten können auf den politischen Willen der US-Führung vertrauen, gegen alle Umstände die Interessen des Finanzkapitals hoch zu halten. Die BRD scheint in dieser Sicht eine ähnliche Rolle in Europa zu bekommen. Sie gilt den Agenturen und deren Interessen als Fels in der Brandung möglicher Kontestation. Bevor nicht die (kapitalistische) Welt untergeht, kann man sich auf sie verlassen. Es scheint die Funktion der SPD-Grünen-Regierung mit ihrer noch brutaleren Sozialpolitik gewesen zu sein, diese Bild noch einmal stärker zu festigen.
18.1.2012