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Italien solidarisch mit Griechenland

24. Februar 2012
Von Aug und Ohr - Gegeninformationsinitiative

Ebenso wie bei Ungarn und Italien, maßt sich die Troika, Europas diktatorische Kernregierung - bestehend aus Europäischer Kommission (dem exquisiten Gremium der europäischen Staatschefs), Europäischer Zentralbank und dem Internationalem Währungsfonds - auch im Falle Griechenlands an, dessen Gesetzeslage von außen gewaltsam zu verändern und soziale Errungenschaften brutal abzubauen, ohne daß der Bevölkerung das geringste Mitspracherecht gewährt wird.


Insbesondere werden die landesweit geltenden Kollektivverträge systematisch, wie in den anderen „exemplarischen“ Staaten, außer Kraft gesetzt und durch betriebsinterne Vereinbarungen oder gar auf Einzelpersonen zugeschnittene Verträge ersetzt: damit werden Errungenschaften der Arbeiterbewegung mit einem Strich zunichte gemacht. Das Arbeitsgesetz wird, wie in Italien und Ungarn, unterlaufen, verstümmelt und langfristig zerschlagen, und sogar der Mindestlohn wird gekürzt. Man schreckt schon gar nicht vor Angriffen auf die Ärmsten zurück, und dies mit der vollen Komplizität der Nea Dimokratia und immer noch eines Großteils der Sozialdemokraten.

Dagegen stellen sich die offiziell-staatsnahen Gewerkschaften, stellt sich die Kommunistische Partei mit ihrer mächtigen Gewerkschaftsbewegung PAME, stellt sich, wenngleich in abgemildeterer Form, das Links-Bündnis Syriza, stellen sich linke kommunistische Gruppen und nicht zuletzt eine Unzahl von radikal linken Gruppen, Initiativen und Massenorganisationen, unter denen die Bewegung „De pliróno“ (Ich zahle nicht) besonders hervorzuheben ist (1).

Die Italiener, die ebenfalls von massiven Kürzungen und einer immer stärker werdenden Verarmung betroffen sind, verstehen die Probleme Griechenlands nur allzu gut – weil sie sie am eigenen Leib verspüren.

Der politische Ausdruck dieses praktischen Verständnisses ist Solidarität, internationalistische Solidarität, und deren zwei Grundvoraussetzungen sind: Informieren und Organisieren.

Ohne Information und Organisation geht es nicht. Man kann sagen, daß die mangelnde Solidarität mit den Kämpfen der griechischen Bevölkerung sehr konkret auch auf ein informatorisches Manko zurückzuführen ist. Die Desorientiertheit der (ohnehin zerfallenden) Linken in Mittel-, West- und Nordeuropa hat als unmittelbare Folge kleinbürgerliche Organisationsunwilligkeit und Apathie. Eine gewisse „alternative“ Griechenland-Berichterstattung in deutscher und besonders englischer Sprache sperrt außerdem konsequent Nachrichten über kommunistische Kämpfe welcher Tendenz auch immer aus oder verschiebt sie an den Rand, und vermittelt somit der kleinbürgerlichen metropolitanen Linken ein verzerrtes Bild der griechischen Realität.

Das hat sich am Beispiel des Mordes an einem Gewerkschaftler der KKE am prägnantesten gezeigt: die antiautoritäre und „undogmatische“ Linke in Europa war, uninformiert, desinformiert und unmotiviert, nicht im geringsten dazu bereit, gegen diesen Mord auf die Straße zu gehen – als wäre nicht ein Staatsmord ein Staatsmord! Diese antikommunistische Zensurlinke spielt das Spiel der Polizei, des Kapitals und der Europäischen Union. Eine ihrer effizientesten Waffen, die sie gegen die Restlinke einsetzt, ist die politische Apathie – über die schon Ludwig v. Friedeburg gescheite Traktate schrieb.

Anders eine Organisation in Italien!

Am 15. Februar stattete das Comitato No Debito (2) der Vertretung der Europäischen Kommission in Rom einen Blitzbesuch ab, der zu einer kurzfristigen Besetzung wurde. In einem Protestschreiben, das dem italienischen Vertreter bei der Europäischen Kommission ausgehändigt wurde, wurden die Zwangsmaßnahmen, von denen die Griechen betroffen sind, aufgelistet und angeprangert. Zur Kürzung des Mindestlohns und der Abschaffung von 15.000 Stellen im öffentlichen Dienst kommt noch einiges hinzu: „Die Privatisierung und der Ausverkauf des öffentlichen Dienstleistungssektors, aus dem viereinhalb Milliarden Euro erzielt werden sollen, die Zerschlagung des Gesundheitssektors, die Zerstörung des öffentlichen Schulwesens.“ … (3)

In Italien gibt es eine immer stärker werdende Bewegung gegen die Privatisierung öffentlicher Strukturen, die im vergangenen Jahr mit dem Referendum gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat. Monti strebt natürlich weiter eine forcierte Privatisierung an, trotz des positiven Ausgangs des (bindenden!) Referendums, aber diese zynische, diktatorische Arroganz hat die Mobilisierung nur noch weiter vorangetrieben und gleichzeitig das Verständnis für die Privatisierungsvorlagen, die nun Griechenland betreffen, in Italien verstärkt.

Die Dokumentation zu Griechenland und das Programm der Organisation, die anfang Oktober vergangenen Jahres in Rom unter Beteiligung des Basisgewerkschaftsbündnisses USB (Unione Sindacale di Base) und zahlreicher linkskommunistischer Organisationen sowie von Vertretern von Massenbewegungen (No Tav) gegründet worden war (4), wurden bei dieser Gelegenheit an den Kommissionspräsidenten Barroso geschickt, und der Druck der Organisation und der hinter ihr stehenden Öffentlichkeit war immerhin so stark, daß der Vertreter Italiens bei der Kommission Battistotti sich bereit erklärte, in den Räumen der Europäischen Kommission in Rom eine öffentliche Veranstaltung über EU-Strategien und den Fiskalpakt unter Beteiligung der Aktivisten der Organisation No debito durchzuführen (3).

In dem Aufruf, der anläßlich der Besetzung verfaßt wurde, heißt es weiter: „Die Europäische Zentralbank fordert die sofortige Umsetzung ihres Vorhabens nicht so sehr aus Gründen budgetärer Natur, sondern weil sie, im Widerspruch zur Demokratie, fürchtet, daß das griechische Volk bei den schon bald, im April, stattfindenden Wahlen ein Parlament wählen könnte, das sich dem Diktat Brüssels und Frankfurts in geringerem Ausmaß unterordnet. … Was in Griechenland passiert, erfordert von uns nicht nur die unerläßliche Solidarität mit einem Volk, das an der Krise, die da entstanden ist, nicht schuldig ist. Die harten Maßnahmen dienen dazu, Banken (insbesondere französische und deutsche) zu retten, die schon jahrelang mit der griechischen Staatschuld spekulieren. Aber die Brutalität des Angriffs hat insbesondere die Aufgabe, den anderen Völkern Europas klarzumachen, was sie erwartet, nämlich eine drastische Senkung des Lebensstandards.“ Abschließend heißt es: „ Die Völker dieses Kontinents müssen mit einem Kampf auf europäischer Ebene gegen diese Verknappungspolitik Widerstand leisten.“ (5)

Am 17. 2. fanden sich etwa hundert Leute vor dem griechischen Konsulat in Bologna ein. Thema der Kundgebung, die von No debito veranstaltet wurde, an der unter anderem auch das Basisgewerkschaftsbündnis USB teilnahm, war explizit die Solidarität mit den griechischen Arbeitern und Arbeiterinnen (6), eine Kategorie, die die „Antiautoritären“ scheuen wie der Teufel das Weihwasser.

Am 18. 2. fand eine Kundgebung in Pisa statt. Das dortige Komitee formuliert mit wohltuender Schärfe: „Griechenland wurde für die Banker von Brüssel und Berlin in ein großes Laboratorium verwandelt, wo die Demokratie außer Kraft gesetzt werden kann und diese verbrecherischen Strategien umgesetzt werden können, die ein ganzes Volk praktisch verhungern lassen, wo sich eine vorgelagerte Front des Wirtschaftskrieges befindet, der sich gegen alle europäischen Völker richtet, wo´s keine Konzessionen geben darf. …“ (7)

No debito dringt sogar schon in kommunale Institutionen ein! Am 24. Februar findet um 17 Uhr 30 in der Sala Multimediale der Gemeinde Neapel eine öffentliche Versammlung zum Thema Rüstungskosten statt („Sacrifici e tagli per tutti, ma non per i mercanti di morte!“, Opfer und Abzüge bei allen, nur nicht für die Gschäftsleute des Todes!) (8). Krieg und neokapitalistischer Raubzug werden immer im Zusammenhang gesehen, Antikriegsinitiativen und Initiativen für „soziale Rechte“ sind nicht ungesund voneinder getrennt. Auch dafür steht No debito. Inzwischen ist Neapel selbst zu einem kleinen Laboratorium für den Kampf gegen die neoliberalistische Raubpolitik geworden, worüber an anderer Stelle zu berichten sein wird.

Für die kommenden Wochen ist eine Kundgebung vor dem Fernsehen (RAI) geplant. Der Protest gilt unter anderem der systematischen Unterdrückung der Forderungen der Protestbewegung (9). Am 17. März veranstaltet No debito unter Beteiligung eines breiten Spektrums von Kräften in Mailand eine landesweite Demonstration mit der Losung: „Besetzen wir die Börse!“ (10)

Für den 17. 2., war eine Kundgebung vor der deutschen Botschaft in Rom angekündigt, Anlaß war der geplante Besuch der Frau Merkel in der italienischen Hauptstadt, den sie aus innenpolitischen Gründen nicht wahrnehmen konnte. Mangels eines sichtbaren Objekts wurde die Kundgebung abgeblasen.

Die europäischen Initiativen müssen sich enger miteinander befassen. Etwas ist klar: Die Intensität der griechischen Bewegungen bewirkt auch Veränderungen der Kräfteverhältnisse im Parteiensystem. Die Tendenz, sich gegen die EU zu stellen, sich von ihr zu emanzipieren, wird immer stärker.

Die KKE ist eine absolute EU-Gegnerin, die Demokratische Linke hält sich zwar für eine weitere Zusammenarbeit mit der Pasok offen, stellt sich aber gegen das Memorandum (der Troika), in Syriza, bisher euroreformerisch und moderat EU-kritisch, wird, auf Grund der Veränderungen im Bündnis, die EU-Gegnerschaft immer stärker.

Vor einer Woche haben Meinungsumfragen für die Wahlen folgende Zahlen prognostiziert: 12,5% für die KKE, 12% für Syriza, 12% für die Demokratische Linke. Die Pasok sinkt auf 15% herab. Die Linksparteien werden also auf beinahe 40% geschätzt. Ob man´s nun mit dem Parlamentarismus hält oder nicht: Die Zahl ist der Ausdruck neuer Kräfteverhältnisse an der Basis (11).

Die Scharfmacher der Troika wehren sich schon präventiv gegen die abzusehenden politischen Entscheidungen einer künftigen griechischen Regierung, die sich mit Sicherheit vehementer gegen das Diktat der EU und der Troika wenden wird. Poul Thomsen, oberstes Kontrollorgan des IWF in Griechenland, hat, wie zahlreiche Zeitungen berichteten, in einem Interview mit der erzkonservativen Kathimeriní kürzlich erklärt, daß unabhängig davon „wer immer nach den Wahlen an der Macht sein wird, es garantiert sein“ müsse, „daß er sich an die Ziele und die Grundlagen des Abkommens“ halten wird (11). Damit wird den Griechen im Namen der Banken das Recht abgesprochen, über ihre Politik zu bestimmen.

Griechenland wird vom Währungsfonds seine Politik vorgeschrieben, der Internationale Währungsfonds dirigiert die griechische Innen- und Außenpolitik. Das ist die Richtung, die auch in Ungarn und Italien Platz greift. Die nationalen Regierungen sind suspendiert, es herrschen strategische Finanzkapitäne.

Ist dies letztlich nicht eine Fortsetzung der griechischen Diktatur mit anderen Mitteln?

Am vergangenen Samstag den 18. 2. ließ jedoch eine internationale Welle von Solidarität mit der griechischen Bevölkerung aufhorchen, sie gibt Hoffnung. Die Junge Welt berichtet: „In Paris versammelten sich mehr als 2000 Menschen auf der Place Trocadéro und marschierten zur griechischen Botschaft. Kundgebungen fanden u. a. in London, Berlin, Amsterdam, Barcelona, Brüssel, Köln, Kopenhagen, Dublin, Lissabon, Stockholm und Nicosia statt. Demonstrationen wurden auch aus New York und Chicago gemeldet (12).

Eine Solidaritäts- und Protestbewegung, die unter dem Sigel „Wir sind alle Griechen“ schon seit längerer Zeit existiert, hat am vergangenen Samstag neuen Antrieb erhalten. Diese weltweite Bewwegun kann Einiges aus der italienischen übernehmen.

Es wurden in Italien radikale, unabhängige, das heißt von den Gelben nicht zu gängelnde, Gewerkschaften geschaffen, die zum politischen Kernsubjekt wurden, die sich, über die Branchenforderungen hinaus, für die internationalistische Solidarität einsetzen und sich damit das allgemeinpolitische Mandat im Sinn einer zusätzlichen Kampfes für übergewerkschaftliche Ziele, angeeignet haben, wogegen in Deutschland ja eine scharfe gesetzliche Schranke gesetzt ist. Das italienische Basisgewerkschaftsbündnis USB (Unione sindacale di Base) stellt sich außerdem gegen die EU, gegen das Militärbudget, gegen die Kriegspolitik, und man scheut sich nicht, in Italien die Zentralen der kapitalistischen Macht, die Börse etwa, anzugreifen. Italiens Lektion: von den Lohnabhängigen muß es ausgehen, der (träge) politisierte Ausbildungssektor ist unzureichend. Deutschland wird bei diesen Mobilisierungen nicht verschont. Deutschland liegt Europa wie ein Klumpen im Magen.

Den Deutschen verdanken die Griechen schon eine harte, verzopfte Fremdherrschaft unter König Otto, die nationalsozialistische Besetzung und den Hungerkrieg, der von den Nazis gegen die griechische Bevölkerung geführt wurde – ähnlich wie gegen die Bevölkerung des Ghettos in Warschau.

Der jetzige Hungerkrieg wird schon wieder – hauptsächlich – von Deutschen betrieben, von ihrer Wirtschaftspolitik und durch die von Rassismus nur so strotzenden Anmerkungen der Frau Merkel und der bairischen Politiker.

Der neoimperialistischen Hetze gesellen sich die Österreicher zu, mit ihren drei Bildzeitungen: „Heute“, „Österreich“ und „Kronenzeitung“.

Das Land, das eine wesentliche Entscheidung in Europa herbeiführen wird, Italien nämlich, und zwar aufgrund seiner Größe, aufgrund seiner außerparlamentarischen Linken, auf Grund seiner neuen, unabhängigen Gewerkschaften und deren Bündnis mit den neuen Massenbewegungen in Vicenza, im Val di Susa, denen gegen die Privatisierungen und schließlich dank seiner Solidarität mit dem griechischen Widerstand, von diesem Land wird es auch, neben den Kämpfen in Griechenland selbst, abhängen, ob die Kämpfe in Griechenland von einer neuen politisch-wirtschaftlichen Diktatur mit Beihilfe Europas erstickt werden, bzw. ob ein Polizeistaat neuen Typs entstehen wird, oder ob die Politik in Europa von einem Geflecht von radikal linken Organisationen und Parteien bestimmt und geführt wird und die griechischen Erfahrungen darin eine Art Avantgarde bilden können. Dazu müssen die einzelnen Länder sukzessive aus der EU und aus der NATO aussteigen.

Was in Ländern wie Italien, und dazu Spanien und Portugal, an organisatorischer Finesse entsteht, muß vom politisch trägen und verfaulten Mittel-, West- und Osteuropa genauestens und dankbar beobachtet werden. Scharfe, radikale, ungewöhnliche Erfahrungen können auch auf andere Länder umgelegt werden.

Verhindern wir eine neue Junta, verhindern wir eine europäische Wirtschaftsjunta!

(1) www.kinimadenplirono.gr
(2) „No debito“ (Betonung auf dem e), wörtlich: „Keine Schuld(en)!, Kurzform, analog zu No Tav, für „(Noi) Il debito non lo paghiamo“, etwa: Diese Schulden (die Staatsschuld) zahlen wir nicht). Debito ist hier also als Ellipse für debito publico zu verstehen, ein Terminus, der dem deutschen „Staatschuld“ entspricht. http://www.nodebito.it/
comitatonazionale@nodebito.it
Facebook: http://www.facebook.com/comitatonodebito

(3) Il comitato „No debito“ irrompe nella sede romana, manifesto, 16. 2. 2012 ; Etwas ausführlicher wird die Aktion in altracittà berichtet: Roma, i No Debito occupano la sede della Commissione Europea, altracittà, 16. 2. 2012 http://altracitta.org/. Altracità, giornale della periferia, ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Blog altracittà. Das manifesto und altracittà sind die einizgen Zeitungen, die von der Aktion berichtet haben.
(4) Noi il debito non lo paghiamo: Report dell’Assemblea del 1° ottobre,
http://tesoro.usb.it, 3. 10. 2011
(5) „Solidarietà con il popolo greco“, Aufruf, http://www.nodebito.it/
(6) Bologna. Solidarietà con il popolo greco, contropiano, 18. 2. 2012 http://www.contropiano.org/it/
(7) Pisa Volantinaggio e Presidio, contropiano, 18. 2. 2012
(8) Napoli – Iniziativa No Debito, contropiano, eventi
(9) Vogliono fare in Italia quello che stanno facendo alla Grecia, Rete dei communisti, 13. 2. 2012
(10) http://www.nodebito.it/, Iniziative e appuntamenti del Comitato No Debito
(11) Michelangelo Cocco: Grecia, ore contate. O default o miseria, manifesto 7. 2. 2012
(12) Ruf zur Solidarität, Junge Welt, 20. 2. 2012

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