An der Oberfläche ist das Sparpaket ein gewaltiger Angriff auf die Interessen einer breiten Mehrheit der österreichischen Bevölkerung. Insgesamt nicht ungeschickt gemacht, mit ein paar Alibi-Vermögenssteuern und kleinen Verschlechterungen für Großverdiener, sollen hauptsächlich Staatsbedienstete und Pensionisten die Euro- und Bankenkrise bezahlen und perspektivisch ein völlig sinnloses „Nulldefizit“ herstellen.
Der „Fiskalpakt“ ist schließlich der totale Angriff auf die Demokratie. Wer den Vorgaben des Kahlschlags nicht folgt, dem drohen die Strafen der EU-Kommission. Ungarn und Belgien wurden schon verwarnt, weil beschlossene Budget-Pfade nicht eingehalten wurden. Das Ganze folgt dem bekannten Muster neoliberaler und europäischer Politik: Wesentliche Entscheidungen werden der Arena der Demokratie entzogen und entweder kaum zu kontrollierenden „Experten“ und Beamten überantwortet (der EU-Kommission, oder der Europäischen Zentralbank), oder über starre Verträge verrechtlicht und einzementiert.
Blickt man ein bisschen hinter die Fassade des neoliberalen Kahlschlags und Demokratieabbaus, dann zeichnen sich noch andere Dinge ab. Fiskalpakt, europaweit koordinierte Sparpakete und auf der anderen Seite eine beispiellose Lockerung der Geldpolitik durch die EZB, alles gemeinsam ist die Antwort auf die Krise der Euro-Zone. Aber eine Antwort, deren Scheitern praktisch vorprogrammiert ist und die deswegen das Risiko einer großen Depression bringt.
Grundsätzlich spricht nichts gegen eine lockere Geldpolitik. Die Finanzspritzen der EZB haben bisher einen Kollaps des Bankensystems und einen Kollaps der südeuropäischen Staatsfinanzen verhindert. Aber um in Südeuropa eine langfristig tragfähige Verschuldung zu erreichen, braucht es eine größere Dosis Wachstum, ein bisschen Inflation und eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem europäischen Zentrum. Um Wachstum nicht abzuwürgen und ein wenig Inflation zuzulassen, dürfen staatliche Sparanstrengungen nicht zu groß sein. Die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Euro-Zone kann realistischer Weise nur über kräftige Lohnsteigerungen und eine expansive staatliche Budgetpolitik in den wettbewerbsfähigen Ländern des Zentrums (Deutschland, Niederlande, Österreich, Skandinavien) erreicht werden, die gleichzeitig auch für Nachfrage nach südeuropäischen Waren sorgt.
Gemacht wird das Gegenteil. Südeuropa wird kaputtgespart und die gleichzeitigen nordeuropäischen Sparpakete (besonders hart etwa in den Niederlanden) ruinieren die Konjunktur vollständig und verhindern auch einen Ausgleich der relativen Wettbewerbsfähigkeit. Einer Finanzierung staatlicher Konjunkturmaßnahmen über die höhere Besteuerung der Oligarchie wird rabiat bekämpft. Vor einem solchen Hintergrund bringen die Liquiditätsspritzen der EZB in erster Linie eine Verstaatlichung (oder „Vereurozonung“) privater Risiken – und schließlich auch die Verstaatlichung von Verlusten: die italienische Staatsverschuldung von 120% des BIP wäre bei ordentlichem Wirtschaftswachstum kein Problem, angesichts der kommenden tiefen Rezession ist sie kaum zu tragen.
Eigentlich ist ein wenig unklar, was sich die europäischen Eliten bei der koordinierten Budgetkonsolidierung eigentlich gedacht haben. Eine solche Politik ist neoliberal – aber auch suizidal. Worauf wird gehofft? Dass plötzlich der Privatsektor wild zu investieren beginnt, um die wegbrechende staatliche Nachfrage aufzufangen? Nachdem das schon vor 2007 nicht ausreichend der Fall war, kann man diese Hoffnung als Glaube an eine liberal-kapitalistische Wunderheilung bezeichnen. Hofft man, dass ganz Europa es dem deutschen Exportmodell gleichtut und das Ausland die Konjunktur der Eurozone stützt? Aber Handel spielt sich in erster Linie innerhalb von EU und Eurozone ab, damit scheint das völlig illusorisch. Außerdem: Wer soll denn das ganze Zeug kaufen, für das in Europa die Nachfrage fehlt? Oder will man, dass das kaputte Bankensystem eine neue Immobilienblase finanziert? Derweil sieht es nicht so aus, als ob das gelingen könnte und es sei auch darauf hingewiesen, dass die hohen Staatsschulden erst durch das Platzen der letzten Blase entstanden sind.
Ohne die gewaltigen Schuldenlasten würde ein solcher Kurs eine tiefe Rezession im Süden und eine lange Stagnation im Norden Europas bedeuten. Aber angesichts der gewaltigen Schulden wird der radikale Schrumpfkurs irgendwann den Finanzsektor zerlegen. Das riecht eher nach Depression. Ökonomisch ist der Schiffbruch der europäischen Politik daher mehr als wahrscheinlich.
Letztlich ist auch ein institutionelles Scheitern der europäischen Politik praktisch gewiss. Der Transfer von Entscheidungen weg von nationalen Parlamenten hin zu automatischen Rechtsnormen und Brüsseler Bürokraten mag für die neoliberalen Oligarchen ganz praktisch klingen – umzusetzen ist er nicht, oder wenigstens nicht auf Dauer. Spanien hat ein Budgetdefizit von über acht Prozent, für 2012 mit der Kommission aber eine Marke von 4,4 Prozent vereinbart. Angesichts von 50 Prozent Jungendarbeitslosigkeit ist das nicht zu erreichen, und selbst die konservative Regierung hat keine Lust das zu versuchen. Vielleicht sind die Kommission und Deutschland dazu in der Lage Ministerpräsident Rajoy das Administrieren einer nationalen Katstrophe aufs Auge zu drücken – aber wie oft wird das gut gehen? Wann finden sich Stimmen in der italienischen Bourgeoisie, die für einen solchen Crash-Kurs nicht mehr zu haben sind? Dann können die EU-Eliten (unter allerhand Marktpanik) entweder ihren Fiskalpakt wieder aufschnüren – oder die Eurozone fliegt endgültig auseinander.
Nötig wäre ein Politikwechsel raus aus der Katastrophe, ein Minimalprogramm gegen eine neue Depression: Der Fiskalpakt muss weg, die Demokratie wieder hergestellt werden. Ein öffentliches Programm für Investitionen und Beschäftigung, auch und vor allem in Südeuropa. Ein Ende des Lohndumpings und eine Politik des sozialen Ausgleichs. Die Staatsschulden müssen auf ein realistisches Maß zusammengestrichen werden, die bankrotten Banken zwangsweise rekapitalisiert und vergesellschaftet werden. Sofortige Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, um die Panik der Finanzmärkte endlich in den Griff zu bekommen. Sollte das mit Deutschland, Merkel und der Euro-Zone nicht zu haben sein, dann eben gegen Deutschland und dessen Exportmodell und nötigenfalls auch außerhalb der Eurozone.
Eine solche Politik ist mit großen Verwerfungen und einer Fülle an Problemen verbunden. Aber Demokratie und die Perspektive auf echte wirtschaftliche Entwicklung (statt der Bereicherung einer kleinen Minderheit) ist durchaus einige Opfer wert. Für die Banken wollen wir nicht mehr bluten.