Es gibt auf der Linken eine Tendenz, sich gegen den Abbau staatlicher Defizite und für eine Finanzpolitik der leichten Hand stark zu machen. Wen wundert’s? Ist doch das Null-Defizit zum Schlachtross der härtesten Konservativen geworden. Damit wird ein Programm des künftigen Sozialabbaus, der Umverteilung nach oben und des Klassenkampfes von oben gerechtfertigt. Aber Aufpassen! War es nicht Kreisky – derselbe Kreisky, der 1976 (in den „Salzburger Nachrichten“ vom 4. Mai) kategorisch festhielt: „Solange ich regiere, wird rechts regiert!“ – , der auch einmal (8. 4. 1979 in der „Arbeiter-Zeitung“) etwas davon brabbelte, dass ihm ein paar Milliarden Schulden weniger Kopfzerbrechen machten als Arbeitslose? Allein das sollte uns vorsichtig machen!
Diese pseudo-keynesianische Politik war nichts anderes als der Wunsch einer Sozialdemokratie im Wandel zum technokratischen Konservativismus, den Einen, den Eliten und der Oligarchie nicht weh zu tun, und den Anderen, den unteren Mittelschichten, die aus Tradition und Gewohnheit noch immer zur SPÖ tendierten, auch einige Krumen des Kuchens zukommen zu lassen.
Als Keynes 1936 seine große Arbeit schrieb, stand er voll auf dem Boden der neoliberalen Theorie – außer in einem Punkt: Der Radikalliberale nahm gegen seine Fachkollegen die Wirklichkeit zur Kenntnis: Selbst in der Großen Depression hatte die Theoretiker noch immer behauptet, es gäbe keine unfreiwillige Arbeitslosigkeit. Da Keynes aber so ganz und gar in derselben Theorie drinnen stand, musste er erst beweisen, dass die Wirklichkeit tatsächlich Wirklichkeit sei. Das tat er, wie es ökonomische Theoretiker bis heute tun: Er stellte einige wenige neue Annahmen auf, ohne sie im Geringsten zu beweisen. Keynes war von der Ausbildung her Mathematiker gewesen; aber er hat nie eine statistische oder ökonometrische Untersuchung durchgeführt. Aber er behauptete Folgendes. Konsum ist eine abnehmende Funktion des Einkommens. Hohe Einkommen geben einen kleineren Anteil für Konsum aus als niedrige, auch wenn sie absolut natürlich wesentlich mehr konsumieren. Und diese mikroökonomisch und im Querschnitt kaum zu bestreitende Regel interpretierte er makroökonomisch und für wachsende Wirtschaften. Bei zunehmendem Wohlstand würde anteilsmäßig weniger konsumiert und mehr gespart werden. Nun wuchs seit einem Jahrhundert das Sozialprodukt. Daher war für ihn und seinen Popularisator Hansen klar: Zunehmender Wohlstand muss schließlich zu Stagnation führen, weil mit anteilsmäßig geringerem Konsum eine Nachfragelücke auftritt.
Wir können heute natürlich zeigen, dass diese neue Stagnations-Hypothese falsch ist, dass die Spar- und Investitionsquoten makroökonomisch nicht ständig gestiegen, sondern sogar gefallen sind. Bei aller Skepsis gegenüber ihren Statistiken haben die USA doch einen der höchsten Werte für das BIP pro Kopf. Aber sie haben keineswegs eine hohe, sondern eine der niedrigsten Sparquoten. Wir kommen darauf sofort zurück.
Die Sozialdemokraten der Nachkriegszeit nutzten Keynes Idee von der Nachfragelücke zur Konjunkturpolitik. Die Krisen konnten sie auch nicht verhindern, weil in einer nicht geplanten Wirtschaft Krisen der einzige Mechanismus sind, wie das Werkel auf Dauer doch funktionieren und „Fehlallokationen“ (Über-Akkumulation sektoral und im Allgemeinen) zu bereinigen sind.
Aber kommen wir auf die Nachfragelücke und sodann auf die staatlichen Defizite zurück.
Seit Jahrzehnten sinkt die Lohnquote, der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, zuerst nur die um den steigenden Anteil der Unselbständigen bereinigte, seit Längerem auch die rohe Lohnquote. 1978 hatte sie mit 77,2% einen Höchststand der Nachkriegszeit erreicht. 2006 machte sie nur mehr 64,4% aus. Seitdem ist sie krisenbedingt leicht gestiegen. (In Abschwüngen sinken zuerst die Profite.) Dazu ist zu sagen, dass in diesen rohen Daten auch die Höchsteinkommen der Generaldirektoren etc. enthalten sind, nicht aber etwa die kargen Einkünfte der prekären „Neuen Selbständigen“. Das ist keine österreichische Erscheinung. Das lässt sich überall in der westlichen Welt feststellen, und meist noch viel ausgeprägter.
Die Gewinne sind hoch, und sie steigen weiter. Und ebenso hoch und steigend präsentieren sich die allerobersten Einkommen, jene der unmittelbaren Exekutoren des Kapitals, also die „Bonusse“ etc. Die aber werden zu einem großen Teil weder konsumiert noch produktiv investiert. Sie gehen in die Finanzsphäre und erzeugen eine Geldschwemme. Wir haben also einerseits potenziell eine Nachfragelücke und gleichzeitig eine Geldschwemme. Und hier soll nun der Staat mittel Defiziten einspringen?
Das ist, aus meiner Sicht, das gerade Gegenteil linker Politik. Denn was wäre die Logik, um die Geldschwemme und die Nachfragelücke bzw. die Defizite gleichzeitig zu bewältigen? Doch wohl nicht weiteres deficit spending! Man müsste die Gewinne wieder entsprechend besteuern, die Körperschaftssteuer also z. B. verdoppeln, auf den Wert vor Lacina. Und man müsste die Grenzsteuersätze für hohe Einkommen drastisch erhöhen. Da facto haben wir ja in Österreich eine flat tax. Bei den Selbständigen-Einkommen gibt es derart viele „Gestaltungsmöglichkeiten“, also Wege der legalen Steuervermeidung, dass sie relativ weniger hoch besteuert werden als die Unselbständigen. Bei den hohen Gehältern unter den Unselbständigen aber wirkt das Steuerprivileg des Jahres-Sechstels (13. und 14. Monatsgehalt) regressiv. Je höher die wirklich hohen Gehälter sind, umso weniger bezahlen sie an Einkommenssteuer. Allein die Abschaffung dieses Privilegs – bei gleichzeitiger Änderung der Steuer-Tarife – würde schon eine Menge bringen.
Im 19. Jahrhundert meinte ein französischer Ökonom (Leroi-Beaulieu), die beste Lösung für Staatsanleihen wären die sogenannten „ewigen Renten“, also Schuldverschreibungen, die nicht mehr zurück gezahlt werden, aber ihren Käufern eines Einkommens (so hieß dies ganz richtig) auf Dauer einen garantierten Zins auszahlten. Das war ganz im Interesse der oberen Mittelklasse, welche sich solche Renten anschafften. Wollen ausgerechnet Linke heute wieder den Wohlhabenden solche Renten verschaffen?